Ashley Mcneil, die Eizellenspenderin, Los Angeles
Vor Kurzem hat Ashley Mcneil auf ihrer Facebook-Seite vier Fotos hochgeladen. Die Bilder stifteten Verwirrung. So hatten ihre Freunde sie noch nie gesehen.
Ashley Mcneil ist 19 Jahre alt, studiert Biologie in Long Beach, im Süden von Los Angeles, und wenn sie lacht, dann tut sie es so laut, dass sich die Studenten auf dem Campus umdrehen. Hunderte Fotos kann man auf ihrer Seite anklicken, Ashley an Weihnachten, Ashley in der Wüste, Ashley am Strand, Ashley in der College-Küche.
Die vier Fotos zeigen sie als Mutter – mit Zwillingsbabys in den Armen. Die Babys heißen Anna und Alisha. Sie sehen ihr ähnlich. Ende Oktober 2012 sind Anna und Alisha per Kaiserschnitt aus dem Bauch von Jessica Sanchez geholt worden. Ashley Mcneil und Jessica Sanchez sind sich nie begegnet.
Ein paar Stunden nachdem sie die Fotos auf ihre Facebook-Seite gestellt hat, will eine Freundin wissen: »WAS? Du hast Kinder bekommen?« Ashley Mcneil textet schnell zurück und beschreibt die Situation so, wie sie ist: »Nein, nein, nein! Ich habe Eizellen gespendet, also sind sie meine Babys, aber nicht MEINE Babys.«
Nach Annas und Alishas Geburt ist sie nach San Diego gefahren, um die Babys einmal in den Armen zu halten. Sie war so aufgeregt, dass ihr Freund beschloss, sie könne nicht alleine hinfahren. Auf dem Weg die Küste hinunter beschäftigte sie ein einziger Gedanke: Was sie wohl empfinden und ob sie Ähnlichkeiten in den Gesichtern der Zwillinge suchen werde. »Ich hatte mir vorgenommen, mich nicht mit den Babys verbunden zu fühlen«, sagt sie heute, Wochen nach der Visite. Es ist ihr geglückt. Als sie die Babys in den Armen hielt, sagt sie, »war es eher komisch zu denken, dass die beiden ein Resultat aus meiner Eizellenspende sind. Ich habe nicht gefühlt, dass das meine Mädchen sind.«
Die Väter, Jasmin, Anna und Alisha
San Diego, im November, es sind 23 Grad. Jürgen Haase sitzt im T-Shirt im Garten einer Ferienwohnung und gibt Anna eine Flasche Milch. Es ist Babymilch aus dem Supermarkt, fertig angerührt. Anna und Alisha sind jetzt sieben Tage alt. Drei Wochen vor dem geplanten Termin sind sie auf die Welt gekommen, sie sind so winzig, dass sie in ihren Strampelanzügen zu verschwinden scheinen.
Jürgen Haase war gerade mit seinem Lebenspartner Axel in einer Kinderpraxis in San Diego, um Anna und Alisha untersuchen zu lassen. Ein Routinecheck, die Ärztin war zufrieden. Im Warteraum saß ein anderes schwules Paar mit einer Tochter. Sie beglückwünschten die Papas aus Deutschland und wollten wissen, wie alt die Babys seien. Dann wurden Jürgen und Axel Haase aufgerufen. Die Ärztin wog die Babys, notierte, wie sie schlafen, trinken, verdauen. Sie tippte Zahlen in ihr Smartphone, auf dem eine App die Daten zu einem Gesamtbild formte. Zum Abschied sagte sie: »Guten Rückflug! Wir werden euch vermissen.«
Anna ist eingenickt beim Nuckeln, Jürgen Haase dreht die Flasche und sagt: »Hier in Kalifornien ist Leihmutterschaft etwas ganz Alltägliches. In Deutschland nicht, und trotzdem hat dort jeder eine Meinung darüber.« Wobei nur die wenigsten auch eine Ahnung hätten.
Es sei ja so: Männer, die eigene Kinder haben wollten, bereiteten sich jahrelang darauf vor und wälzten jedes Für und Wider. Er legt Anna an die Schulter, sie rülpst. »Viele Hetero-Familien gehen kaputt, lassen sich scheiden, wenn plötzlich Kinder da sind, weil sie sich zu wenig Gedanken gemacht haben. Das kann uns nicht passieren.« Drinnen, in der Ferienwohnung, legt Axel Haase Alisha ins Babybett, dann beginnt er im Internet günstige Flüge nach Düsseldorf zu suchen. In ein paar Tagen wird Familie Haase wieder zu Hause sein, in Neuss. Mit zwei Töchtern mehr.
Axel und Jürgen Haase sind seit 26 Jahren zusammen. Axel Haase ist 47 Jahre alt, sein Partner 46. Ihr verflixtes siebtes Jahr hatten sie, sagt Axel Haase, »als wir drei Jahre zusammen waren«. Seitdem sind sie unzertrennlich. Axel hat Industriekaufmann gelernt, jetzt ist er Hausmann. Jürgen Haase ist Geschäftsführer einer Papierhandelsagentur. Sie haben viel von der Welt gesehen, doch irgendwann spürten sie: Ihnen fehlt etwas. Der Wunsch nach einem Kind wurde größer. Axel Haase hat schon mit zwanzig Jahren entschieden, dass er Kinder haben wollte. Wie, das war ihm nicht klar. Damals gab es keine Frauen, die bereit waren, ihre Eizellen einem schwulen Paar zu verkaufen.
Alles haben Jürgen und Axel Haase versucht, um eine Familie zu gründen. Haben überlegt, Kinder in Pflege zu nehmen oder Kinder mit einem lesbischen Paar zu teilen. Doch sie wollten eigene Kinder. Sie sind sogar nach Afrika geflogen, um ein Kind zu adoptieren, weil schwule Paare in Deutschland nicht gemeinsam Kinder adoptieren dürfen. Doch die Wege wurden immer zwielichtiger.
Im Internet lasen sie dann, dass sie Kinder durch eine Leihmutter bekommen könnten. Auf eigene Faust, ohne eine Agentur, fuhren sie nach Mumbai und schauten sich Fertilitätskliniken an. In einer unterschrieben sie einen Vertrag, entschieden sich für eine indische Eizellenspenderin, Axel Haase lieferte eine Samenprobe. Insgesamt zehn Eizellen der Spenderin wurden befruchtet. Beim ersten Versuch wurden fünf befruchtete Eizellen in die Gebärmutter einer indischen Leihmutter transferiert, doch keine der fünf nistete sich ein. Nach dem zweiten Versuch erhielten Axel und Jürgen dann die Nachricht, dass ihre indische Leihmutter schwanger sei.
Die Freude über Jasmin war groß. Die Fassungslosigkeit über das, was danach geschah, auch.
Eineinhalb Jahre musste Axel Haase mit Jasmin in Indien ausharren, weil sich das deutsche Konsulat weigerte, für das Baby einen Reisepass auszustellen: In Deutschland gilt Leihmutterschaft als »sittenwidrig«. Ohne Reisepass konnte Jasmin Indien nicht verlassen. Eineinhalb Jahre lebte Axel mit Jasmin in Indien, unfreiwillig. Rechtsanwälte und Gericht beschäftigten sich mit ihrem Fall. Jürgen Haase ist in der Zeit achtmal nach Indien geflogen, den Rest der Wartezeit überbrückten sie mit Skype-Gesprächen. Axel Haase fühlte sich in Indien gefangen. Die Perspektivlosigkeit, sagt er, »war eine Qual«.
Wie die Perspektivlosigkeit und die Anspannung auf Jasmin gewirkt haben mögen? Die Väter wissen es nicht. Was sie wussten: dass Jasmin kein Einzelkind bleiben sollte. So erkundigten sie sich, wo Leihmutterschaft noch möglich ist. Sie landeten bei »A Perfect Match«, einer Agentur in Kalifornien. Hier werden Frauen vermittelt, die ihre Eizellen spenden, und Frauen, die ihre Bäuche für Geburten »vermieten«.
Bei »A Perfect Match« kostet eine Leihmutterschaft dreimal so viel wie in Indien, dafür kann man mit dem Kind nach Deutschland einreisen. Denn jedes Kind, das in den USA geboren wird, bekommt einen US-Pass, und in der Geburtsurkunde stehen die Namen beider Väter. »Es ist verrückt«, sagt Jürgen Haase. »In San Diego hat es nur zwei Wochen gedauert, bis wir für Anna und Alisha US-Pässe bekommen haben. In Indien mussten wir eineinhalb Jahre um einen deutschen Pass kämpfen.«
Heute ist Jasmin zweieinhalb Jahre alt, sehr aufgeweckt und beliebt bei den Kindern der Tagesmutter in Neuss. Sie tanzt bei jeder Gelegenheit. Nimmt das Smartphone von Jürgen Haase und schaut fasziniert das Gangnam-Video an. Oft tanzt Jürgen Haase mit, er sammelt Musik aus den Achtziger- und Neunzigerjahren. Jasmin nennt ihre Eltern Papa Axel und Papa Jürgen. Noch nie hat sie gefragt, wo ihre Mutter sei. Dafür fragen manchmal Erwachsene, ob Jasmin »die Mama« vermisse. Jürgen Haase sagt dann: »Kinder vermissen etwas, was sie kennen. Wir sind für sie die Eltern, also vermisst sie nichts.«
Die Geburt, San Diego
Ende Oktober, drei Wochen vor dem offiziellen Geburtstermin, bekommt Axel Haase einen Anruf, dass bei der Leihmutter die Wehen begonnen haben. Axel Haase ist mit Jasmin bereits seit Anfang des Monats in San Diego. Schnell fährt er Jasmin in einen Kindergarten und macht sich auf den Weg ins Krankenhaus. Er ist so nervös, dass er kurz vor der Klinik versehentlich in eine Einbahnstraße biegt. Eine Polizeistreife stoppt ihn. Axel Haase entschuldigt sich und sagt, er erwarte jeden Moment Zwillinge. Der Polizist verzichtet auf einen Strafzettel und sagt: »Enjoy your twins!«
Nach dem Besuch im Krankenhaus schreibt Axel Haase Jürgen eine E-Mail, dass er kommen soll. Er schreibt auch: »Ich habe jetzt zum ersten Mal gesehen, wie die Kinder durch den Bauch strampeln. Wahnsinn!«
Am Mittag kauft er einen Kinderwagen für Zwillinge. Dann treibt ihn der Hunger ins »Filter Café«, dessen Besitzer setzt sich manchmal zu Axel und Jürgen Haase. Sie reden dann über Kindererziehung und schlaflose Nächte. Der Café-Besitzer hat mit seinem Partner ein Mädchen adoptiert. Als ihm Axel Haase erklärte, dass Schwule in Deutschland nicht gemeinsam ein Kind adoptieren können, sagt er: »Ich dachte immer, Deutschland sei fortschrittlich.« Kalifornien ist für schwule Väter ein Paradies: Man sieht hier viele Männerpaare auf den Straßen, die Kinderwagen schieben und Schnuller aus Windeltaschen hervorholen.
Im »Filter Café« klingelt Axel Haases Handy wieder. Es ist der Arzt, er möchte nicht länger warten. Nach 36 Wochen und sechs Tagen ist es so weit: Anna und Alisha werden per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Axel Haase steht in einem Raum neben dem Kreißsaal, er trägt einen weißen Kittel. Die beiden Zimmer sind mit einer Durchreiche verbunden. Er sieht, wie der Bauch von Jessica Sanchez geöffnet wird, er sieht, wie sie seine Töchter herausholen, er hört, wie sie zu schreien beginnen. Jessica Sanchez waren zwei befruchtete Eizellen in die Gebärmutter eingesetzt worden, beide hatten sich gleich eingenistet, Anna und Alisha.
Axel Haase hat einen Fotoapparat mitgebracht, doch die Batterien sind leer. Eine Schwester macht Fotos mit ihrem Smartphone und dreht einen kleinen Film. Anna und Alisha werden untersucht, gewaschen und in Tücher gewickelt, dann beugt sich Axel über seine Töchter. Mit ihren winzigen Händen greifen sie einen Finger seiner Hand. Tränen stehen ihm in den Augen. Er fragt eine Krankenschwester: »Sind die Frau und die Kinder gesund?« Axel und Jürgen hatten sich festgelegt, was sie machen, wenn eines der Kinder mit einer Behinderung zur Welt gekommen wäre: »Wir nehmen sie so, wie sie sind.«
Alisha beginnt zu schreien, Anna auch. Die Leihmutter wird sie nicht stillen, die Babys bekommen Milch aus der Flasche. Auch das hatte das Paar vorher festgelegt. »Welchen Sinn soll das haben, Jessica stillen zu lassen?« sagt Axel Haase. »Dann würde sich ja eine emotionale Bindung einstellen, die wieder abgebrochen wird.«
Bei ausländischen Leihmutterschaften bewegt man sich in einer rechtlichen Grauzone.
Das Auswärtige Amt, Berlin
Auf der Internetseite des Außenministeriums findet sich unter der Überschrift »Leihmutterschaft« eine Warnung: »Falls Sie erwägen, in Indien ein Kind durch eine Leihmutter austragen zu lassen, beachten Sie bitte: Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Ein von einer Leihmutter geborenes Kind eines deutschen Staatsbürgers hat keinen Anspruch auf einen deutschen Reisepass.« Wenn man der Pressestelle des Außenministeriums in Berlin eine E-Mail schickt, wird man schnell zurückgerufen. Weshalb Leihmutter-Kinder, die in Indien geboren werden, keinen deutschen Reisepass erhalten, dagegen aber Leihmutter-Kinder, die in den USA zur Welt gekommen sind? Das Gespräch ist interessant, aber man darf daraus nicht zitieren. Das Thema ist zu heikel, die Gesetzeslage unklar. Das Auswärtige Amt will keine Präzedenzfälle schaffen, auf die sich dann andere Leihmutter-Väter beziehen können.
Anruf bei Tobias Helms, der an der Marburger Philipps-Universität die Professur für Bürgerliches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung innehat. Er ist Experte in Internationalem Familienrecht. Der deutsche Staat, sagt Helms, verbiete Leihmutterschaft »aus Sorge, dass ein Leihmutter-Kind unter Identifikationsproblemen leiden könnte«. Das Verbot solle auch Konflikte verhindern, falls eine Leihmutter das Kind nicht hergebe oder ein behindertes Kind nicht von den Auftragseltern in Obhut genommen werde. Väter wie Jürgen und Axel Haase, sagt er, »bewegen sich bei ausländischen Leihmutterschaften in einer rechtlichen Grauzone«. Helms ist kein Anhänger von Leihmutterschaften. Er sagt: »Das ist ein moralisch und ethisch heikles Thema. Wie belastend ist das etwa für Kinder, die mit so vielen Mitwirkenden auf die Welt gekommen sind?« Er findet es auch »fragwürdig«, dass Leihmütter gegen Bezahlung Kinder austragen. Dennoch hält er es für »nicht befriedigend«, wie das deutsche Recht mit Kindern umgehe, die von Leihmüttern im Ausland für deutsche
Eltern geboren werden. Es sei wünschenswert, dass der Gesetzgeber für diese Fälle Rechtssicherheit schafft. Es sei legitim, wenn der Gesetzgeber versuche, Leihmutterschaften zu unterbinden. »Aber letztlich«, sagt er, »ist das Verbot international nicht mehr durchzusetzen.«
Auch der Bund der Standesbeamten spricht sich für eine Legalisierung von Leihmutterschaften aus. Jährlich engagierten Hunderte kinderlose deutsche Paare Leihmütter im Ausland. Immer häufiger stünden Standesbeamte vor einem Dilemma, weil Wunscheltern ihre im Ausland von einer anderen Frau ausgetragenen Kinder in das deutsche Personenstandsregister eintragen lassen wollten. Dabei komme es aber »wegen des restriktiven Familienrechts« in Deutschland »zu erheblichen Problemen«.
Das Embryonenschutzgesetz von 1991 verbietet die Leihmutterschaft. Heterosexuelle und homosexuelle deutsche Paare fahren deshalb in die USA, nach Tschechien, Indien und nach Südafrika, wo man legal Eizellen kaufen und Leihmütter beauftragen kann. In Deutschland gilt als Mutter diejenige, die ein Kind gebiert. Auch sind nach deutschem Recht die Ehemänner von Leihmüttern Väter der Leihmutter-Kinder – obwohl die Leihmutter-Kinder ja nicht mit dem Samen der Ehemänner der Leihmütter entstanden sind.
Bei Familie Haase ist es im Moment so: Nach US-Recht sind sie beide Eltern von Anna und Alisha, sie stehen beide in der Geburtsurkunde. Noch als die Zwillinge im Bauch der Leihmutter waren, hat ein US-Familienrichter entschieden, dass die Haases ihre Eltern sein werden. Nach deutschem Recht allerdings ist Axel der Vater, Jessica Sanchez die Mutter. Jürgen Haase besitzt kein Sorgerecht. Zurzeit liegt ein Verfahren vor Gericht. Axel und Jürgen Haase wollen, dass die US-Geburtsurkunde von den deutschen Behörden anerkannt und eine deutsche Geburtsurkunde ausgestellt wird. Dann würde Jürgen Haase einen Antrag auf Stiefkindadoption stellen, denn nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz dürfen die leiblichen Kinder des Partners adoptiert werden. »Andere Paare genießen die ersten Monate mit ihren Babys sorglos«, sagt Axel Haase. »Wir müssen einen riesigen bürokratischen Berg bezwingen.«
Ashley Mcneil, die Eizellenspenderin
Es ist Nachmittag, Ashley Mcneil hat gerade Biologiestunde gehabt. Sie sitzt draußen auf dem Campus ihres Colleges in Long Beach auf einer Bank und erzählt, was sie einmal werden möchte: »Neurologin. Das Gehirn fasziniert mich.« Auch Wellen faszinieren sie. Sie macht gerade einen Surfkurs.
Wie sie darauf kam, Eizellen zu spenden? In der Collegezeitung stand eine Anzeige von »A Perfect Match«. Sie bewarb sich und bekam einen Katalog mit 600 Fragen zugeschickt: »Ich habe ein Jahr gebraucht, um alle Fragen zu beantworten«, scherzt sie. Fragen wie: Was war dein Lieblingsessen als Kind? Was ist dein
Lieblingskäfer? Dann hatte sie Skype-Gespräche mit einer Psychologin. Ob sie mitunter Fantasien habe, sich wehzutun, solche Sachen wollte die wissen.
Sie erzählt von den Hormonspritzen, wie überrascht die Ärzte waren, als sie später 32 Eizellen zählten, wie ihr das Laufen schwerfiel am Tag nach der Eizellenentnahme, wie schließlich 18 Eier befruchtet wurden. »Ich weiß nicht, was mit den restlichen befruchteten Eiern passiert«, sagt sie und nestelt an dem Jesuskreuz um ihren Hals. »Sie liegen irgendwo, tiefgefroren.«
Ihre Mutter sei gegen die Eizellenspende gewesen. Ob sie dann selbst auch noch Kinder bekommen könne, habe sie gefragt. Auch ihr ehemaliger Freund war dagegen. Ein Kind brauche eine Mutter, keine zwei Väter, fand er. »Quatsch«, sagt Ashley Mcneil. »Was Kinder brauchen, sind Eltern wie Axel und Jürgen, die ihre Kinder mit Liebe aufziehen.«
Ein paar Monate nach ihrer ersten Eizellenspende hat sie gleich noch einmal gespendet – diesmal für eine schwarze alleinstehende Frau, von der sie nur den Vornamen weiß. Die Frau möchte keinen Kontakt zu Ashley Mcneil. »Vielleicht«, sagt sie, »schämt sich die Frau, dass sie Eizellen von einer anderen Frau benutzt hat …« Auf jeden Fall mag sie es, dass Axel und Jürgen Kontakt zu ihr halten, ihr Fotos schicken und E-Mails. Sie haben sie auch schon nach Deutschland eingeladen. Den beiden ist der Kontakt zu Ashley Mcneil sehr wichtig. »Wir wollen, dass unsere Kinder wissen, wo sie herkommen. Sobald sie fragen, kriegen sie von uns Antworten.« Eine Antwort hat Jürgen Haase schon parat: »Wir erklären ihnen explizit, dass sie Wunschkinder sind.«
8000 US-Dollar hat Ashley Mcneil für die Eizellenspende bekommen. »Das Geld«, sagt sie, »ist es eigentlich nicht wert. Ich habe es schnell ausgegeben.« Sie hat sich einen neuen Laptop gekauft, ihre Schwester nach Disneyland eingeladen und sich ein Flugticket geleistet, um ihren Vater in Oklahoma zu besuchen.
Ihre Eltern sind geschieden.
Deutsches Honorarkonsulat, San Diego
Überall in San Diego wehen an diesem Tag US-Flaggen, das Land gedenkt der
Veteranen. Axel und Jürgen Haase haben nach kurzer Suche den Eingang zum Konsulat gefunden, in einem verspiegelten Hochhaus im Zentrum von San Diego. Gleich werden sie Jessica Sanchez zum ersten Mal nach der Geburt außerhalb des Krankenhauses treffen.
Ein Aufzug bringt die beiden und ihre drei Töchter in den zehnten Stock. Jürgen Haase fragt: »Und? Wo ist deine Brille?« »Ach«, sagt Axel, »vergessen.« Jürgen kramt die Brille seines Ehemanns hervor und lächelt.
Jessica Sanchez sitzt bereits im Besucherzimmer des Konsulats. Sie trägt einen pinkfarbenen Kapuzenpulli. Sie freut sich, als sie die Babys sieht. Es ist die zurückhaltende Freude einer Bekannten. Axel Haase fragt, ob sie Anna in den Arm nehmen möchte. Vorsichtig hält sie die Kleine, schaut ihr ins Gesicht, streichelt einen
ihrer Füße. Als die Konsulatsangestellte zum Fotokopieren den Raum verlässt, erzählt Jürgen Haase, dass es Jasmin schwerfalle, plötzlich zwei Schwestern zu haben. »Vorher war sie im Zentrum unseres Universums.« Jessica Sanchez nickt. Dann sagt sie: »Ich will es wieder machen.« Jürgen Haase ist überrascht. »Wirklich?«
Nach einer Stunde verlässt die Familie das Konsulat, mit deutschen Reisepässen für Anna und Alisha. Sie können jetzt nach Düsseldorf fliegen. Die Männer fragen Jessica Sanchez, ob sie Lust habe, einen Kaffee zu trinken. Gleich neben dem Hochhaus hat ein »Starbucks« geöffnet. Sie sitzen draußen auf der Terrasse des Cafés, ein kräftiger Wind weht. Jessica Sanchez bestellt einen Kakao mit Sahne. Sie fragt, ob es jetzt kalt sei in Deutschland. Es will kein richtiges Gespräch aufkommen. Nach einer halben Stunde brechen alle auf zu ihren Autos. Auf dem Bürgersteig geben sie sich die Hände, sagen »Goodbye« und »Take care«. Jürgen Haase sagt noch: »Thank you, Jessica, thank you so much.«
Indoorspielplatz, San Diego
Die Nacht war kurz. Axel Haase ist dreimal aufgestanden, seit fünf Uhr ist er wach. Windeln wechseln, Milch geben, aufs Bäuerchen warten, Windeln, Schnuller. Die Mädchen haben verschnupfte Nasen, alle paar Minuten befreit Axel Haase mit einem Saugballon die Nasenlöcher. Anna genießt das, faltet dann die Hände vor ihrer Brust und dämmert weg. Jasmin ist ungeduldig. Heute darf sie zu »Kid Ventures«, einem Indoor-Spielplatz, in dem es eine Feuerwehr gibt, eine Bücherei und einen Kindergarten. Als die beiden Väter mit ihren drei Töchtern die Spielhalle betreten, sind sie eine kleine Sensation. Ob das Zwillinge seien, wie alt sie seien, wie sie heißen, wollen die anderen Mütter wissen.
Jasmin verschwindet sofort im Hort und widmet sich den Puppen dort. Sie spielt nach, was Axel und Jürgen seit ein paar Tagen mit Anna und Alisha machen. Jürgen Haase hat eine Idee: »Wir werden ihr eine Puppe kaufen, die sie wickeln und mit Milch füttern kann.« Die Babys liegen in Körben und dösen. Es ist die erste kleine Pause an diesem Tag für Axel und Jürgen. »Wir sind jetzt eine Großfamilie«, sagt Axel Haase. Eine Familie, deren Kosten schon weit vor der Geburt begonnen haben.
Wie viel sie die Familiengründung bislang gekostet hat? »Es ist viel Geld, für alle Beteiligten: Für uns – und für die, die unser Geld bekommen«, sagt er. Unter 100 000 US-Dollar sei eine Leihmutterschaft in den USA nicht möglich. In Indien kostet es ein Drittel, aber für homosexuelle Paare geht es in Indien jetzt nicht mehr. Vor einem Monat hat die indische Ausländerbehörde verfügt, dass nur noch heterosexuelle Paare Leihmutterschaften in Auftrag geben dürfen.
Zwölf Uhr, die Väter verlassen die Spielhalle und laufen mit ihren Töchtern zum Auto. Die Sonne ist so warm, dass sie beschließen, Jasmin das Mittagessen auf einer Wiese zu geben, Linseneintopf von Alete. Sie sitzt auf Jürgen Haases Schoß, schmiegt sich an ihn. Axel Haase schaut den beiden zu und sagt: »Was wir heute machen, ist in Deutschland Pionierarbeit. Vor zehn Jahren gab es so etwas ja noch gar nicht.«
»Ich helfe anderen, die keine eigenen Kinder bekommen können.«
Die Leihmutter
Jessica Sanchez wohnt in La Mesa mit ihrem siebenjährigen Sohn Michael in einem flachen Haus, zwei Zimmer, Küche, Bad. Vom Vater ihres Sohnes hat sie sich getrennt. La Mesa liegt eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt von San Diego. Die Mieten in San Diego kann sie sich nicht leisten.
An diesem Vormittag passt Jessica Sanchez auf das Baby einer Nachbarin auf. Der Junge liegt träge in einer Babyschaukel. Jessica Sanchez sagt: »Ich liebe es, schwanger zu sein.« Es mache sie glücklich, sagt sie, wenn der Bauch anschwillt und das Baby mit den Füßen gegen die Bauchdecke tritt.
Sie ist 31 Jahre alt und sehr zurückhaltend. Ein Gespräch mit ihr fließt nicht. Irgendwann entschuldigt sie sich: »Sie merken ja, dass ich schüchtern bin.« Dafür hat sie ein großes Herz. »Ich finde es ungerecht, wenn schwule Männer keine eigenen Kinder bekommen können.« 28 000 US-Dollar hat sie für die neun Monate bekommen. Manchmal hat Michael sein Ohr an ihren Bauch gehalten. Er habe verstanden, dass darin nicht seine Geschwister liegen. »Ich habe ihm erklärt: Ich helfe anderen, die keine eigenen Kinder bekommen können.«
Eine Freundin hatte ihr erzählt, dass man Kinder für andere austragen könne. Damals arbeitete sie in einer Restaurantküche und verdiente wenig Geld. Ihre Eltern sind strenggläubige Katholiken aus Mexiko, sie verstanden nicht, wovon ihre Tochter redete. So nahm Jessica Sanchez die Eltern mit zu der Agentur, wo ihnen Rose Pinkerton auf Spanisch erklärte, dass Leihmütter nicht die eigenen Kinder austragen und weggeben. Sie sollten sich das so vorstellen: Ihre Tochter vermiete ihren Bauch für neun Monate.
Jessica Sanchez streicht die Tischdecke vor sich gerade und sagt: »Um ehrlich zu sein, dachte ich, dass es schwieriger sein würde. Aber ich war mir von Anfang an bewusst, dass das nicht meine Kinder sind. Ich vermisse sie nicht.« Wie das war für sie, die Begegnung im Konsulat? »Ich habe mich für Axel und Jürgen gefreut. Sie sind bei ihnen in sehr guten Händen.«
Einen Teil der 28 000 US-Dollar hat sie ihren Eltern gegeben, einen Teil hat sie für die Ausbildung ihres Sohnes angelegt, einen weiteren Teil dem Vater ihres Sohnes geschenkt. Dessen Mutter war krank und hatte eine hohe Rechnung zu begleichen. »Vielleicht«, sagt sie, »kommen wir ja wieder zusammen.«
Balboa Park, San Diego
Ein milder Wind weht vom pazifischen Ozean hinüber in den Botanischen Garten der Stadt. In ein paar Tagen werden die Männer mit ihren drei Töchtern zurück nach Deutschland fliegen. Der Park ist voller Familien. Sie sind das einzige Männerpaar mit Kindern. Auf einem Stück Rasen lassen sie sich nieder, die Väter legen die Babys auf ihre Bäuche. Jasmin zieht Alisha am Fuß, erschrocken beginnt sie zu weinen. Jasmin wusste, dass sie Geschwister bekommt. Ein ums andere Mal haben ihr das Axel und Jürgen erklärt. Doch Jasmin hat nie einen Bauch gesehen, in dem ihre Schwestern herangewachsen sind. Plötzlich waren sie da.
Eine junge Mutter läuft an Familie Haase vorbei. Sie sagt: »Die sehen ja anbetungswürdig aus! Ist sehr viel Arbeit, oder?« Axel Haase sagt: »Wir haben uns daran gewöhnt.« Woran sie sich nicht gewöhnen können: die Kommentare in Deutschland. Ob Leihmutterschaft nicht ein Ausnutzen von Frauen sei, so was würden sie in Deutschland gefragt. Und in Kalifornien? »Hier«, sagt Jürgen Haase, »wollen die Leute wissen, warum das in Deutschland verboten ist.«
Zurück in der Ferienwohnung beginnt Jürgen Haase mit dem Packen. Im Flur stapeln sich Kisten mit Secondhand-Platten, die er auf Trödelmärkten gefunden hat, Axel Haase faltet Wäsche, Jasmin schaut einen Trickfilm, die Babys schlafen. Was er erwarte, wenn sie zurück seien? »Ich schaue positiv in die Welt hinein«, sagt er. »Sonst hätte ich das alles ja auch nicht gemacht. Ich freue mich auf das, was kommt.«
Die Agentur »A Perfect Match«, Kalifornien
Wenn man Rose Pinkerton besucht, fragt sie, noch bevor sie einem die Hand reicht: »Mögen Sie Hunde?« Sie sitzt in einem geblümten Sessel, ihr zu Füßen liegt Mia, eine Mischlingshündin. Sie weicht keinen Zentimeter von Pinkerton, wenn sie mit Leihmüttern, Eizellenspenderinnen und zukünftigen Eltern spricht. »A Perfect Match« ist eine der ältesten Leihmutteragenturen in San Diego, seit 1998 sind mehr als tausend Babys durch sie auf die Welt gekommen. Zurzeit sind 45 Leihmütter von »A Perfect Match« schwanger.
Vor 15 Jahren gab es nur drei Agenturen in San Diego, inzwischen sind es zwölf. Es gibt große, zu denen gehen Sarah Jessica Parker und Elton John. Manche seien »auf das schnelle Geld aus«, sagt Pinkerton, und berauschten sich an den Gewinn-margen. Sie sagt: »Wir wollen eine kleine Agentur bleiben.« Pinkerton hat Axel und Jürgen Haase betreut. Zu ihrem Service gehört, dass sie ihnen bei der Leihmutter-Auswahl geholfen und Eizellenspenderinnen vorgeschlagen hat und auch bei Geburten anwesend ist, wenn gewünscht. Zu ihrem Service gehört auch das Aussieben ungeeigneter Kandidatinnen.
Nicht jede Frau sei psychologisch gefestigt, ein Kind auszutragen und abzugeben. Andere kämen aus ganz profanen Gründen nicht in Frage. Vor ein paar Wochen hatte sich bei ihr eine Frau beworben. Sie rauche nicht, habe sie angegeben. »Aber sie hat nach Rauch gerochen. Da habe ich sie überraschend zu Hause aufgesucht und Zigaretten gefunden.« Die Frau wurde nicht in den Agentur-Katalog aufgenommen.
Pinkerton ist 36 Jahre alt. Sie hat einen eigenen Sohn aus erster Ehe, 15 Jahre ist er alt. Und sie hat sechs andere Kinder zur Welt gebracht, für die Agentur. Viermal war sie schwanger im Auftrag anderer Menschen. Sie sagt: »Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, schwanger zu sein.« Sie lobt auch ihren Sohn: Stets habe er sein Zimmer aufgeräumt und Tee gekocht, wenn ihr übel war. Die vier Schwangerschaften hat sie ihm so erklärt: »Die anderen Mütter haben einen kaputten Bauch.«
Natürlich gehe es auch um Geld, sagt Rose Pinkerton. Je höher die Ausbildung der Leihmutter oder der Eizellenspenderin, desto höher der Lohn, der als »compensation« bezeichnet wird. Für ein Paar schaltete Pinkerton einmal Anzeigen in Zeitungen von Elite-Universitäten der USA. Das Paar wollte eine hochbegabte Eizellenspenderin. Es wurde fündig – und zahlte 50 000 US-Dollar für die Eizellen einer Harvard-Absolventin.
In der Regel bekommt eine Leihmutter zwischen 26 000 und 28 000 US-Dollar. Nach jeder erfolgreich verlaufenen Schwangerschaft erhöht sich die Zahlung um 5000 US-Dollar. Zusätzlich bekommen Leihmütter Geld für Kleidung, Fahrten, Telefongespräche. Eizellenspenderinnen erhalten zwischen 8000 und 10 000 US-Dollar. Welche Gefühle sie hatte, als sie Leihmutter war? »Keine mütterlichen, weil du ja weißt: Das sind nicht deine Kinder.«
Vor Kurzem hat Rose Pinkerton den Sohn der Agenturchefin geheiratet. Morgen fahren sie nach Hawaii in die Flitterwochen. Sie strahlt vor Vorfreude. Im Urlaub will sie ihren neuen Mann für einen Plan gewinnen.
Viermal war Rose Pinkerton schwanger für andere Menschen – und dreimal hat sie ihre Eizellen gespendet. Mit einem deutschen homosexuellen Paar, das mit Pinkertons Eizellenspende zwei Töchter zur Welt bringen konnte, hat sie sehr engen Kontakt. Sie flog zur Taufe der Mädchen nach Deutschland, die Väter flogen zur Hochzeit von Pinkerton. Die Töchter sind heute drei Jahre und ein Jahr alt. Regelmäßig telefonieren die Väter mit Rose Pinkerton, immer via Skype, damit die Mädchen sie auch sehen können. Die Mädchen sagen dann »Mami«. Einmal ist die dreijährige Tochter morgens aufgewacht und hat geweint. Sie hat ihre »Mami« vermisst: »Wo ist Rose? Alle anderen Mädchen im Kindergarten haben doch auch eine Mami.«
Wenn der Plan von Rose Pinkerton aufgeht, wird die Beziehung zu den deutschen Vätern demnächst noch enger.
Der Ehemann von Rose Pinkerton ist unfruchtbar, er leidet an einer Stoffwechselerkrankung. Beide möchten gern eigene Kinder haben, doch Rose Pinkertons Mann möchte nicht, dass seine Frau mit einer anonymen Samenspende schwanger wird. Vor ein paar Tagen riefen die Väter der zwei Mädchen aus Deutschland Rose Pinkerton an. Sie hätten da eine Idee: Ob sie sich Embryos einpflanzen lassen wolle, die noch übrig geblieben sind von ihrer In-vitro-Fertilisation? Die Embryos liegen tiefgefroren in einem Labor in Kalifornien. Sie bezahlen eine jährliche Lagergebühr dafür. Es sind jene Embryos, die bei der In-vitro-Fertilisation mit dem Samen des einen deutschen Mannes und der Eizelle von Rose Pinkerton gewachsen sind.
Für die deutschen Väter, sagt Rose Pinkerton, wäre das »toll, zu wissen, dass ihre Töchter Halbgeschwister bekommen«.
Neuss, im Januar 2013
Axel Haase wickelt Anna im Wohnzimmer, Alisha hat gerade Milch bekommen und schläft. Der Rückflug, erzählt er, »war eine Katastrophe.« Jasmin habe die ganze Zeit geschrien, die Zwillinge hätten kaum geschlafen. Aufgeregt seien sie gewesen, als sie vor dem deutschen Passbeamten standen. Ob er Probleme machen würde? Nach einer Minute standen sie vor dem Gepäckband, mit allen drei Töchtern, auf deutschem Boden.
Axel Haase sucht gerade Fotos zusammen, für ein Album. Jasmin bekommt in diesem Jahr ihr drittes, die Zwillinge ihr erstes. Die Fotobücher sollen die Identität der Kinder stützen. Manchmal ertappt sich Axel Haase dabei, wie er die beiden ersten Bücher von Jasmin anschaut, Jasmin am Strand von Mumbai, Jasmin bei einer indischen Tagesmutter, Jasmin auf dem Hotelzimmerbett. Er fragt sich dann, wie das sein kann, dass sich in Deutschland alle beklagen, dass zu wenige Kinder geboren werden – und man ihm und seiner Tochter Jasmin eineinhalb Jahre lang die Einreise in seine – und ihre – Heimat verwehrt hat. »Warum ist Leihmutterschaft in Deutschland illegal, wenn die Leihmutter doch einverstanden ist?« Demnächst wollen Axel und Jürgen Haase Fotos von Ashley Mcneil und Jessica Sanchez an die Wohnzimmerwand hängen. Die Mädchen sollen wissen, wem sie ihr Leben zu verdanken haben.
Draußen schneit es. Axel Haase vermisst den blauen Himmel über San Diego. Anna und Alisha haben zugenommen. Sie liegen in Tragekörben im Wohnzimmer und schlafen, Jasmin ist gerade Brötchen holen mit Papa Jürgen. Morgen möchte Axel mit Jasmin schwimmen gehen, nur die beiden. Sie tut sich noch immer schwer damit, die Aufmerksamkeit ihrer Väter mit Alisha und Anna zu teilen.
Jasmin stürmt mit der Brötchentüte ins Wohnzimmer, dann rennt sie in ihr Kinderzimmer. Sie holt ein Buch mit indischen Göttern hervor. Axel Haase zeigt auf einen Gott und fragt, wer das sei. »Shiva!« ruft Jasmin. Manche Kinder, erzählt er, hätten gefragt, warum Jasmin zwei Papas hat. »Dann sagen wir immer: Weil Jasmins Papa einen Mann liebt. Kinder nehmen das hin, dann ist das für die abgehakt.« Wie es ist, wieder zurück zu sein? »Eine Herausforderung«, sagt Axel Haase. Jürgen Haase steht neben ihm, Alisha im Arm. »Am Anfang war es eine Leistung, wenn wir es geschafft haben, uns zu rasieren.« Sie lachen.
Ihr Auto war zu klein geworden für drei Kindersitze, sie haben es verkauft. Ein Richter aus Essen hat es sich vor ein paar Tagen angeschaut. Er hat die beiden Männer gesehen, die drei Töchter, und zum Abschied hat er gesagt: »Ist ja auch viel Arbeit für Ihre Frau …« Axel hat ihn nicht korrigiert. Vor ein paar Tagen schrieb der Richter eine E-Mail – und entschuldigte sich: »Erst im Nachhinein habe ich begriffen, dass Sie wohl in einer Lebenspartnerschaft leben. Das Wichtigste ist ja, dass Kinder von zwei liebevollen Menschen aufgezogen werden.«
Es gibt aber auch andere Begegnungen. Vor Kurzem war Familie Haase auf einem Markt. Ein Mann blickte erst auf die beiden Männer, dann auf Jasmin und auf die Zwillinge im Kinderwagen. »Sind die echt?«, wollte er wissen.
Anna liegt auf den Beinen von Jürgen Haase, sie lächelt ihn an, hält seinen Finger fest umkrallt. »Wir sind jetzt mit den Kindern mehr Teil der Gesellschaft und nicht mehr die schwulen Außenseiter«, sagt Jürgen Haase. Dann schaut er Anna in die Augen. »Alles klar?«
Die Mutter
Anna heißt Anna, weil Axel Haases Mutter diesen Namen trug. 84 Jahre alt wurde sie. Nach einem Sturz hatte sie sich den Arm gebrochen und kam ins Krankenhaus. Ein Routinefall, aber ihre Gesundheit verschlechterte sich rapide. Sie musste beatmet werden. Kurz darauf starb sie.
Axel Haase wird ruhig, wenn er vom Tod seiner Mutter erzählt: »Wenn ich mit Jasmin bei ihr gewesen wäre, wäre sie heute noch am Leben. Sie hätte Kraft geschöpft durch unsere Anwesenheit.« Beweisen könne er das natürlich nicht.
Die letzten Tage in ihrem Leben verbrachte die Mutter, ohne ihren Sohn Axel noch einmal zu sehen. Er konnte nicht ausreisen, weil das deutsche Konsulat Jasmin keinen deutschen Reisepass ausstellen wollte. Zwei Wochen nach ihrem Tod wurde die Mutter auf dem Hauptfriedhof von Neuss beerdigt.
Axel Haase konnte an diesem Tag nicht Abschied nehmen von ihr. Er saß 10 000 Kilometer entfernt in einem Hotelzimmer in Mumbai. Und weinte.
Fotos: Charlotte Schreiber und Sabina McGrew