SZ-Magazin: Herr Engels, viel sieht man ja nicht mehr von den sieben Weltwundern. Warum haben Sie sich dennoch die Mühe gemacht, sie zu fotografieren?
Hans Engels: Vor zwei Jahren bin ich in einem alten Bildband meines Großvaters auf die sieben Weltwunder gestoßen, und mein erster Gedanke war: Wie sehen die eigentlich heute aus?
Und dann sind Sie losgefahren?
Nein, erst habe ich recherchiert und festgestellt, wie wenig ich über dieses Phänomen eigentlich weiß. Jeder kennt den Begriff, aber kaum einer kann die Weltwunder aufzählen. Die Pyramiden von Gizeh, okay, auch noch den Koloss von Rhodos und den Leuchtturm von Alexandria, aber dann wird es eng. Keiner weiß, was von diesen Stätten übrig ist und ob es sie wirklich alle gegeben hat. Die sieben Weltwunder haben keinerlei Relevanz, das ist nur ein leerer Terminus, den wir im Kopf haben. Genau das hat mich fasziniert.
Wie haben Sie sich vorbereitet?
Ich habe Bücher gelesen, Museen besucht und Bilder im Internet recherchiert, ich wusste ja nicht mal genau, wo diese Stätten heute liegen. Ich wollte herausfinden, ob ich an diesen Orten Bezüge von damals zu heute finden kann.
Zum Beispiel?
Na ja, den Leuchtturm von Alexandria gibt es nicht mehr, also habe ich die Stelle fotografiert, wo er gestanden hat, mit dem Sprungturm einer Badeanstalt im Vordergrund – als symbolische Entsprechung. Oder der Tempel der Artemis: Da steht nur noch eine Säule, die nachträglich hingestellt wurde, um die Dimension des Tempels zu veranschaulichen. Sieht man genau hin, erkennt man, dass das nur ein paar alte Steine sind, die mit Beton zusammengehalten werden. Eigentlich haben mich nicht die Weltwunder interessiert, sondern die Verbindung des Mythos mit der banalen Realität von heute.
Wie lange waren Sie jeweils da?
Meistens zwei bis drei Tage. Tagsüber habe ich mit einer kleinen Digicam Hunderte von Schnappschüssen gemacht, die ich abends im Hotelzimmer gesichtet und selektiert habe. Am Ende habe ich mich für eine Perspektive, einen exakten Ausschnitt entschieden und das Bild in aller Ruhe produziert.
Welches Motiv war am schwierigsten? Logistisch die hängenden Gärten der Semiramis, einfach deshalb, weil sie im Irak liegen, im früheren Babylon, neunzig Kilometer südlich von Bagdad. Ich habe Dutzende von Briefen geschrieben und ein Jahr lang auf mein Visum gewartet. Als es dann endlich kam, hieß es, jetzt müsste ich noch eine Extra-Erlaubnis beantragen, aber die kam und kam nicht. Nach ein paar Wochen bin ich einfach losgeflogen. Dort lief Gott sei Dank alles reibungslos. Okay, die Fahrt von Bagdad zur Ausgrabungsstätte hat ewig gedauert. Eine Straßensperre nach der anderen, ständig wurden wir nach Sprengstoff untersucht. Aber am Ende waren die Soldaten immer sehr freundlich. Im Grunde war ich nur ein paar Stunden im Irak. Ästhetisch waren übrigens die Pyramiden das schwierigste Bild.
Warum? Weil sie schon so oft fotografiert worden sind. Man kann sie kaum mehr ohne Klischeeblick betrachten oder fotografieren.
Wie sind Sie vorgegangen? Ich bin zwei Tage lang durch die Gassen von Gizeh gegangen und habe wildfremde Leute gefragt, ob ich aufs Dach ihres Hauses steigen dürfe, um einen besseren Blick zu haben. Dort habe ich dann entdeckt, dass viele Dächer mit Müll zugeschüttet waren. Was da alles rumlag, Waschbecken, Möbel, Kleidung, unglaublich. Das war die Perspektive, nach der ich gesucht hatte. Vorn die Überreste einer modernen Zivilisation, im Hintergrund die Pyramiden und die Sphinx.Auf dem Bild sieht man kaum Menschen.
Wie kommt das?
Mubarak war eine Woche zuvor gestürzt worden. Gizeh war menschenleer. Keine Touristen. Und die Ägypter hatten anderes zu tun. Nachdem ich das Bild hatte, bin ich zurück nach Kairo und habe auf dem Tahrir-Platz mitgefeiert. Ich war schon oft in Ägypten, aber so glücklich habe ich die Menschen dort noch nie gesehen.
Wie haben Menschen reagiert, die Sie an anderen Stätten getroffen haben? Ausgerechnet im Irak bin ich einer Reisegruppe begegnet. Es war unfassbar, aber ich kam an und stieß auf einen Bus mit sechzig Rentnern, die sich ebenfalls für die hängenden Gärten interessierten.
Und die Einheimischen? Die freuten sich über das Interesse an ihrer Kultur. Manche haben mir auch weitergeholfen.
Zum Beispiel?
Indem sie mir interessante Geschichten erzählten, die in keinem Reiseführer stehen. Auf dem Gelände der hängenden Gärten zum Beispiel steht eine Palme erhöht auf einem Sockel. Angeblich waren die Datteln dieser Palme so süß, dass Saddam Hussein sie Tag und Nacht von einem Soldaten bewachen ließ, nach dem Motto: »Niemand isst meine Datteln.« Die meisten Menschen aber hatten von den Weltwundern noch nie gehört. Und wenn doch, dann meinten sie: »Ach, da gibts doch heute nichts mehr zu sehen.« Und irgendwie stimmt das ja auch.
Fotos: Hans Engels