SZ-Magazin: Herr Dworzak, Sie haben als Fotograf in vielen Krisengebieten gearbeitet, was interessiert Sie jetzt an der Adventszeit in Bayern?
Thomas Dworzak: Ich habe viele Jahre in Afghanistan, dem Irak und dem Kaukasus gelebt, da begegnet man auch Flüchtlingen, aber jetzt sind sie auf einmal in meiner alten Heimat. Und Weihnachten ist doch die älteste all unserer Fluchtgeschichten. So entstand die Idee zu einem fotografischen Adventskalender: eine Reise durch Bayern, 24 Fotos, 24 kleine Geschichten. Mich interessiert, wie es den Menschen heute geht. Wo sind sie untergekommen? Wie reagieren die Einheimischen darauf? Wie reagiert meine Verwandtschaft, katholisch anständige Leute, auf den neuen Alltag mit so vielen Flüchtlingen?
Steht Ihre Reiseroute schon fest?
Ich habe eine ganze Liste an Orten, die ich besuchen möchte: die Weihnachtsfeier eines Fußballvereins, wo man mit Flüchtlingen trainiert. Ein Konzert für Helfer in Passau. Oder ein Pfarrer aus dem Kongo, der mit Flüchtlingen arbeitet und von der CSU kritisiert wurde. Mir fehlt übrigens noch ein Termin für Nikolaus - wenn ein Leser einen Tipp hat: gerne.
Die Begegnung mit den Flüchtlingen wird zu einer Art Wiedersehen: Sie haben im Spätsommer den Weg der Flüchtlinge auf der Balkanroute fotografiert.
Anfang September bin ich nach Ungarn und Österreich gereist, und von dort bin ich mit Flüchtlingen im Zug nach München gefahren. Wir sind um 3 Uhr in der Früh angekommen, da waren noch ein Dutzend Leute an den Absperrungen, die geklatscht haben.
Hatten Sie das Gefühl, einen historischen Moment zu erleben?
Bei der Münchenfahrt, so harmlos sie war, hatte ich schon das Gefühl. Die Masse an Flüchtenden, das waren schon fast biblische Ausmaße. Ich war später auch in Slowenien und Kroatien.
Wie war die Stimmung auf der Balkanroute?
Man kann es nicht auf ein Gefühl reduzieren. Es gab alles: Hoffnung, Niedergeschlagenheit, Angst. Es war nicht immer nur der Treck der Leidenden, manche Flüchtlinge haben in Hotels geschlafen, wenn sie rein durften. Oder sie haben sich abholen lassen per Radiotaxi. Viele andere mussten die Autobahn entlanglaufen. Am schlimmsten war, glaube ich, die Unsicherheit, gerade als Ungarn den Zaun aufgebaut hat. Sie dachten, sie müssen da rüberklettern, aber es gab ein Loch in der Mitte. Es war seltsam, da stehen 15 bis 20 Riot-Polizisten in dicker Ausrüstung, aber man konnte einfach um sie herumgehen.
Sind Sie Einheimischen begegnet?
Einmal haben wir uns in einem Maisfeld versteckt, da kamen Kinder aus dem Ort, das war an der ungarisch-serbischen Grenze, am Abend. Die Kinder haben uns vor der Polizei gewarnt, »Psst!« gemacht. Es gab aber auch Erwachsene, die uns angeschrien haben.
Haben Sie sich mit den Flüchtlingen unterhalten?
Ich bin kaum zum Fragen gekommen, so viele Fragen hatten die an mich. Sie haben sich oft sehr kurzfristig entschieden, aus Syrien zu fliehen. Die hatten keine Ahnung, wohin sie sollen, wie die rechtliche Situation in den verschiedenen europäischen Ländern ist. Oder sie haben mich gefragt, wo sie Sim-Karten oder Handys bekommen können. Mir haben junge Syrer erzählt, dass sie vor fünf, sechs Jahren im Urlaub in Europa waren - sie sagten, sie hätten nie gedacht, dass sie das nächste Mal als Kriegsflüchtlinge nach Europa kommen. Ein anderer junger Mann aus Damaskus erzählte, dass er zwei Jahre in Irland studiert hat.
Finden Sie es schwierig, das überall so präsente Thema Flüchtlinge zu fotografieren?
Es ist schon ein überfotografiertes Thema. Das macht es schwierig, gegen die Masse der Bilder noch Motive zu finden. Die ganz spektakulären Bilder suche ich nicht mehr, die größere Herausforderung ist es, das Alltägliche zu finden.
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Thomas Dworzak arbeitet für die renommierte Fotoagantur Magnum, hier sehen Sie weitere Arbeiten von ihm.