Nachtblaue Stilettos von Saint Laurent, dazu dieses blaue Kleid von Michael Kors, das schlicht geschnitten ist, jedoch mit seinen Nähten an Brust, Taille und Hüfte entscheidende Akzente setzt. Klassisch, aber sexy. Die roten Lippen und die voguesque Pose; verkehrt herum positioniert auf einer Gartenliege. Wahnsinn. Marissa Mayer, die Chefin von Yahoo, inszeniert sich in der September-Ausgabe der US-Vogue wie ein Topmodel. Und es steht ihr. Ihr schönstes Accessoire sind auch nicht die Schuhe, es ist ihr Titel: CEO.
Frauen wie Marissa Mayer, wie Sheryl Sandberg, Rachida Dati oder Sara Blakely prangen ständig auf den Titelseiten von Magazinen. Erst waren es Zeitschriften wie Fortune Magazine, Bloomberg Businessweek, Forbes oder Success. Klar, die haben erfolgreiche Menschen auf dem Cover. Aber irgendwann tauchten diese Frauen auch auf Magazinen wie Glamour, Cosmopolitan oder Vogue auf. Das fing vor rund drei Jahren an. Seitdem sind sie nicht mehr nur arbeitende Frauen, die erfolgreich sind. Frauenmagazine haben die Kernaussage verändert, sie lautet jetzt: »Das sind erfolgreiche Frauen, und du solltest an dir arbeiten, um auch so zu werden.«
Wie soll man da denn werden? Im großen Porträt sagt Marissa Mayer: »Neulich ist mir Folgendes passiert: Ich saß im Büro und stellte plötzlich fest, dass es schon mitten in der Nacht ist, dass ich ja eigentlich verheiratet bin und im achten Monat schwanger und dass ich wohl mal nach Hause gehen sollte. Aber ich saß da, arbeitete und war einfach glücklich.«
Jahrzehnte, ja vielmehr Jahrhunderte lang war ganz klar, dass die Frauen zu Hause blieben und sich unbezahlt um Kinder, Haushalt oder sich selbst kümmerten. Jetzt sind Frauen eine Ressource. Plötzlich wird argumentiert, es könne doch nicht sein, dass so viele gut ausgebildete Frauen nicht aufsteigen oder nur in Teilzeit arbeiten. Akademikerinnen, die auf ihrem Wohnzimmerteppich Holzautos hin und her schieben, gelten als volkswirtschaftlicher Schaden. Müssen Frauen jetzt am glücklichsten sein, wenn sie um Mitternacht im Büro hocken? Müssen Frauen Karriere machen wollen?
Die Antwort lautet Ja. Frauenförderung ist eine Standardmaßnahme in jedem großen Unternehmen. Ähnlich dem DAX gibt es einen Index für die Bemühungen um Frauen, den Frauen-Karriere-Index, kurz FKI. Aufgelegt wurde der Frauen-Karriere-Index 2012 natürlich von der Frauenministerin, das war damals Kristina Schröder. Die Ministerin, heute heißt sie Manuela Schwesig, hat sich auch um die Mütter zu kümmern. Nur jede vierte Frau kehrt nach der Geburt des ersten Kindes in den Vollzeitjob zurück, der Rest geht gar nicht wieder in den Beruf oder in Teilzeit; jede Vierte dieser Teilzeitbeschäftigten arbeitet weniger als 15 Stunden pro Woche. Da legt das Ministerium Programme auf wie die »Perspektive Wiedereinstieg«, um, wie es auf der Internetseite heißt, »Potenziale zu erschließen«. Sigmar Gabriel forderte im Juni die Chefs kleinerer Betriebe dazu auf, bei ihrer Nachfolge auch die Option Frau mal durchzuspielen – Aktionstag »Nachfolge ist weiblich«. Die CDU will sich im Dezember eine neue Parteistruktur verordnen. Kernreform: mehr Frauen.
Die Quote für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen ist die erste sichtbare politische Maßnahme dieses Aktionismus. Und die Wirtschaft zieht mit. Schon während die Quote im Bundestag diskutiert wurde, stieg der Frauenanteil in den 160 Firmen auf 19,6 Prozent – das sind fast zehn Prozent mehr als noch 2011. Aber die Quote – bei der sich alle einig sind, dass sie vor allem eine Signalwirkung hat – setzt Signale in verschiedene Richtungen. Sie signalisiert den Firmen, dass sie Frauen nicht mehr stillschweigend übergehen können. Was gut ist. Sie signalisiert aber auch den Frauen etwas. Und das ist nicht gut. Dieses Signal lautet: Frauen können jetzt alles schaffen – und wenn du es nicht schaffst, liegt es an dir. Auf Männer wirkt dieser Druck schon immer. Ein weißer Mann um die vierzig, der Arbeit nicht wichtig findet, womöglich in Teilzeit arbeitet, muss sich gegen den Vorwurf wehren, er strenge sich nicht genug an oder sei zu dumm. Bei Frauen ist dieser Vorwurf neu.
Und umso mehr gelogen. Es ist das Bild der jungen, Marissa-Mayer-artigen Karrierefrau, das die Wahrnehmung prägt. Aber der Blick auf die arbeitende Frau ist einseitig. Er hat die kinderlose, gut ausgebildete Frau um die dreißig im Kopf. Und die, das stimmt, steht gut da. Sie ist oft besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen. Laut einer neuen Studie verdient die junge Frau sogar mehr – zumindest in Großbritannien, es ist eine britische Studie. Zahlen des dortigen Statistik-Amtes zeigen, dass sie zwischen ihrem 22. und 29. Lebensjahr durchschnittlich 1530 Euro pro Jahr mehr verdient als ihr männlicher Kollege. Aber in diesen sieben Jahren, in denen es cool ist, sie zu fördern, fährt auch eine etwas besser verdienende Frau keine ordentliche Rente ein und erklimmt wahrscheinlich keinen Chefsessel.
Mit etwa dreißig, das ist in Großbritannien nicht anders als in Deutschland, bekommt eine Frau durchschnittlich ihr erstes Kind. Was dann passiert, wissen wir. Die Unvereinbarkeit von Kind und Karriere haben die deutschen Feuilletons einhellig und ausgiebig konstatiert. Natürlich probieren es trotzdem alle weiter. Und bei mancherlei Artikel, in dem mal wieder die Hetze zwischen Konferenzen, Kindergarten und Abendessenkochen beklagt wird, liest man einen gewissen Stolz darüber heraus, dass man sich das alles zumutet. Ganz so, als wäre die Überforderung der letzte legitime Daseinszustand der modernen Frau.
Die Werbung spiegelt dieses Trugbild. Heute hält sich die Frau nur noch in Werbespots für Windeln und Säuglingsnahrung zu Hause auf. Ansonsten trägt sie eine Laptoptasche, Bleistiftrock oder andere Insignien der Berufstätigkeit. Die meisten Spots mit und für Frauen spielen inzwischen gleich im Büro. Mit dem Image der Hausfrau lässt sich nichts mehr verkaufen.
Wer in Deutschland weniger will als die totale Überlastung, wirkt schnell verdächtig. Und eine, die den nächsten Karriereschritt ablehnt, umso mehr. Für die meisten klingt das in etwa so abwegig, als würde eine behaupten, sie sei freiwillig dick. Oder gerne Single. Da ist doch was faul. Wenn eine Mutter mit Beziehung und Führungsjob, dem sie vierzig Stunden in der Woche nachgeht, eine zusätzliche berufliche Aufgabe ablehnt, dann fragen sich die Leute tatsächlich ernsthaft: Warum?
Katja Kipping ist so eine Frau. Sie ist Vorsitzende der Partei Die Linke. Im März 2015 wurde sie als Fraktionsvorsitzende im Bundestag gehandelt. Eine Position mit Prestige. Kipping sagte Nein zu diesem weiteren Posten, zu mehr Macht und Geld. Warum? Das musste sie Deutschland erklären. Und das tut sie gern, weil es für sie auf der Hand liegt.
Kipping sitzt in ihrem Berliner Bundestagsbüro, es ist Mitte Juni, warm, Kipping trägt ein Kleid, hohe Schuhe und die Haare rot und offen. Ihre Agenda: Für Weiblichkeit muss man sich nicht entschuldigen, sie ist kein Makel, wer sie als Makel wahrnimmt, hat selbst einen. Bumm. Klingt nach Kinderbuchlogik, klingt naiv, mag sein, stimmt trotzdem. Kipping will jeden Tag drei, vier Stunden mit ihrer Tochter verbringen, mit einem weiteren Amt wäre das nicht mehr möglich gewesen.
Deutschland ist gar nicht mal kinderfeindlich im Speziellen, es ist nur im Allgemeinen sehr karrierefreundlich. Wer die zwei Stunden nach Feierabend nicht nutzt, um den nächsten Karriereschritt zu planen, der zuverlässig dafür sorgen wird, dass die zwei Stunden auf eine Stunde schrumpfen, kann ja nicht ganz bei Trost sein. Aus Sigmar Gabriel, einem Wirtschaftsminister, der einmal pro Woche sein Kind von der Kita abholt, wird ein Teilzeitminister. Aus Kristina Schröder, die ihr Ministerinnen-Amt abgibt, weil sie abends um sieben bei ihren Kindern sein will, wird ein Heimchen am Herd. Und Katja Kipping? Bei der muss auch irgendwas kaputt sein. Oder vielleicht bei den anderen? »Nicht ich muss mich entschuldigen, wenn ich beachte, dass mein Arbeitstag nicht länger als acht Stunden dauert, sondern die Männer in Führungspositionen, die neunzig Stunden die Woche arbeiten und keine Zeit mehr für was anderes haben«, sagt sie.
Aber es ist anders. Kippings Work-Life-Balance wird in Berichten über sie seitdem immer in Anführungszeichen gesetzt. Die verschriftlichte Form von hochgezogenen Augenbrauen. Der Führungsjob aber bleibt anführungszeichenfrei.
Wenn man nicht mal einer linken Frau mit Kind den Karriereverzicht zugesteht, wem dann? Kinder großzuziehen ist die einzige gesellschaftlich anerkannte Alternative zur Karriere – und so ziemlich die aufwendigste Art, weniger zu arbeiten. Kann man nicht unkomplizierter mitteilen, dass man keine Turbokarriere machen, sondern nur dreißig Stunden pro Woche sehr gut arbeiten will? Es gibt keine Sprache der Arbeitszeitreduzierung. Niemand sagt, ich möchte mehr leben. Und zu sagen, ich möchte weniger arbeiten, klingt auch nicht gut.
Für das Ablehnen von Karriereschritten gibt es ebenfalls keine Formeln. Monika Piel hat es versucht, dreimal hat sie Nein gesagt, als ihr eine höhere Position angeboten wurde. Und wohin hat sie das geführt? An die Spitze der größten deutschen Sendeanstalt, des WDR. Dort angekommen, hat sie versucht, andere Frauen nachzuholen. »Ich habe regelrecht versucht, Frauen in Führungspositionen zu quatschen. Die sagten dann: ›Ich? Ich kann das doch nicht.‹« Piel sagt, sie habe den Frauen erklärt, was deren Stärken sind, was sie gut können, was sie auszeichnet. Ruhig, freundlich, aber mit der Bestimmtheit einer Führungskraft, die darüber eigentlich nicht diskutieren möchte.
Die Aura hat sie jetzt noch, wo sie alle ihre Ämter längst niedergelegt hat. Die Intendanz des WDR trat sie im Juli 2013 an Tom Buhrow ab. Gerade kommt sie aus den Bavaria Filmstudios, sie hat den letzten von zehn Aufsichtsratsposten abgegeben, in denen sie zeitweilig saß. Es ist Mai 2015, früher Abend am Tag vor einem langen Wochenende, sie sitzt in der Eingangshalle des Münchner Flughafens. Menschen hasten umher, alle wollen nach Hause. Piel hat diese Aura einer wichtigen Frau; Leute, die zum Sicherheitscheck wollen und mit ihren Rollkoffern an Piel vorbeirattern müssen, machen einen sanften Schlenker, der ihren Weg verlängert, ihnen aber offenbar angemessen erscheint angesichts dieser Frau. Man kann sich also vorstellen, wie überzeugend Piel sein kann, wenn sie im Chefsessel sitzt, mit der Skyline von Köln im Rücken, und Frauen Mut zuspricht. Zum Beispiel so: »Ja, doch, ich habe Sie sehr gut beobachtet, über lange Zeit, und glauben Sie mir, dass ich das nicht einfach so sage. Ich habe Sie beobachtet. Sie können das.« Piel lacht: »Ja, das habe ich schon sehr gezielt gemacht.«
Auch Piels Karriere hat mit einem solchen Gespräch begonnen. Sie war Parlamentskorrespondentin in Bonn, für sich selbst verantwortlich, als das Angebot einer Redaktionsleitung kam; Macht gegen Freiheit. Sie sagte Nein; es war bereits das dritte Mal, dass sie eine Beförderung ablehnte. Diesmal sagte ihr ein Vorgesetzter, dass sie nicht noch mal gefragt werden würde. Und dass sie, wenn sie jetzt wieder Nein sage, bitte auch aufhören solle, sich mit den anderen Frauen auf dem Damenklo über die Männer aufzuregen, die befördert würden.
Diese Ansprache hat eine bestechende Logik. Wer gestalten will, muss dahin, wo gestaltet wird. Auch wenn diese Sphäre außerhalb der Komfortzone liegt, wie Charlotte Jones es einmal beschrieb, nachdem sie in der Deutschen Bank in den Finanzvorstand aufgestiegen war.
Frauen müssen Karriere machen. Und Mütter erst recht. Der Staat, der per Steuergesetz die Alleinverdiener-Ehe begünstigt und per Elternzeit zum Zuhausebleiben ermuntert, ist nach der Scheidung nicht mehr an der Seite der Hausfrauen. Ihre Arbeit ist dem Staat nur was wert, wenn der Ehemann haftet. Zerbricht die Ehe, wechselt er rasch die Seite: ins Team Bruttosozialprodukt. Dann muss die Frau, wenn das Kind über drei ist, wieder arbeiten. Thank you for your service.
Frauen müssen also. Wollen müssen sie aber nicht. Zumindest nicht, solange ihre Arbeit weniger wert zu sein scheint, in schlechter bezahlte Teilzeitstellen führt und ihnen mehr Erwerbsarbeit nicht möglich ist, weil sie nebenher noch alle andere Arbeit verrichten: Haushalt, Pflege, Kinder. Natürlich unentgeltlich, mit der Aussicht auf Altersarmut. Von rund 50 000 Müttern, die 2014 an einer Mutter-Kind-Kur teilnahmen, litten mehr als achtzig Prozent an Erschöpfungszuständen. Und in diese Statistik gehen nur die ein, die eine Kur beantragt haben.
Und das ist nur die private Arbeit. Auch ein Bürotag ist für Frauen anstrengender als für Männer. Denn Männer stellen die Mehrheit, bestimmen die Gepflogenheiten, geben den Ton an. Je höher in der Hierarchie, desto homogener männlich ist das Klima. Wie weit außerhalb der Komfortzone Frauen sich dort befinden, erfährt man, wenn man sich mit Frauen unterhält, die dort oben arbeiten. Dass sie alle nur erzählen, wenn man im SZ-Magazin nicht ihren Namen nennt, ist logisch: Die Spielregeln nicht zu beherrschen, ist das eine, sich über sie öffentlich zu beklagen, das andere. Ihr Arbeitsalltag ist eh ein Assoziationsvermeidungskampf: Kritik bloß nicht mehrmals vortragen, wirkt nörgelig. Bloß nicht emotional reagieren, wirkt naiv. Bloß nicht laut werden, wirkt überfordert. Bloß nicht zu leise bleiben, das wirkt, als hätte man nichts beizutragen und folgerichtig auf dieser Position nichts verloren. »Wenn ich jetzt noch darüber rede, bin ich die Petze«, sagt eine Managerin aus der Pharmabranche, 38, feste Stimme, fester Händedruck und entschlackte Kommunikation. Die Effektivität in Person. Vor Spieleabenden im Freundeskreis, sagt sie, ermahne sie sich, runterzuschalten, öfter mal zuzustimmen und keine neuen Regeln anzuregen.
Die Anekdoten der Frauen aus der Arbeitswelt ähneln sich: Es geht um Nichtbeachtung von Wortbeiträgen, um beschwichtigende Gesten, die den Frauen bedeuten sollen, nicht so hektisch zu reden, es geht um die Blicke, wenn nach männlichen Redebeiträgen eine helle Stimme rastlos spricht und alle Männer schauen, als erwarteten sie keinen Beitrag zur Sache, sondern einen Anschiss, weil sie den Müll wieder nicht runtergebracht haben. Es geht auch um positive Diskriminierung, um Männer, die die anderen ermahnen, jetzt doch mal der Kollegin zuzuhören, die gehe hier ja völlig unter. Um Fragen nach Befindlichkeiten, die nur den Kolleginnen gestellt werden. Um die Annahme, sie bräuchten eine andere Ansprache, weil sie sonst beleidigt sind. Einige der Frauen, die Führungsverantwortung haben, würden gern wieder runter auf die Stelle, die sie davor hatten. Wenn das nicht so ein gefährliches Signal wäre.
Frauen müssen jetzt Karriere machen. Wollen müssen sie unter diesen Bedingungen aber nicht.
Fotos: Özgür Albayrak, Comyan