Eine Holzbaracke in Archer’s Post, einem kleinen Ort in Kenia, drei Männer vom Volk der Samburu trinken ihren Tee. Der Älteste, klein und eingefallen, ist in ein rot-weiß kariertes Tuch gehüllt, tief hängen seine durchstochenen Ohrläppchen. Die anderen beiden tragen Hemd und Jeans. Bereitwillig plaudern sie, wenn man sie etwas fragt, es ist ja sonst nichts los.
Frage: Warum sollten nur die Männer Rechte haben?
»Weil das unsere Tradition ist. Frauen sind wie Kinder, sie müssen erzogen werden. Wenn sie unerzogen sind, muss man sie schlagen, um sie zu disziplinieren.«
Es gibt Frauen, die ganze Nationen regieren. Sind die auch wie Kinder?
»Diese Frauen haben alle einen Ehemann, der ihnen sagt, was sie tun sollen.«
Und wenn eine Frau ihren Mann schlagen würde?
»Dann muss man sie umbringen, und wenn ich keinen Stock hab, nehm ich das Messer.«
Die drei Samburu-Männer erheben nicht einmal ihre Stimmen. Umoja, das Dorf der Frauen, ist keine zwei Kilometer entfernt, und wenn man erahnen will, was es die Frauen gekostet hat, ihre eigene Welt aufzubauen, und warum sie das mühsame, harte Leben, das sie jetzt führen, als großes Glück empfinden, dann muss man sich wohl mal angehört haben, was Männer wie Wilson, Barasi und Douglas im Jahr 2012 von sich geben, man hätte auch drei andere fragen können.
Es ist ein Kunststück, in Kenias Halbwüste zu überleben. Jeder trockene Busch, jede Schirmakazie, die es geschafft hat, hier zu wurzeln, schützt sich mit kräftigen Dornen, Skorpione und Schlangen halten Gift bereit und in dem braunen Fluss Uwaso lauern die Krokodile. Nicht weit vom Fluss liegt hinter Stacheldraht und einem Dornenwall ein Schutzort, in dem zurzeit 48 Frauen und ihre Kinder leben. Aus Ästen, Lehm und Kuhdung haben sie ihre Hütten, die Manyatas, gebaut – nur zwei Gebäude sind aus Stein: das Schulhaus, in dem die Frauen und Kinder aus Umoja und dem Umland unterrichtet werden; und das kleine Museum, in dem sich die Touristen über die Geschichte der Samburu informieren können. Es ist heiß und windig im Dorf, fein klingeln die Metallplättchen, die den traditionellen Perlenschmuck der Frauen umranden. Ein dürrer Hahn fegt über den Platz, sonst hat es niemand eilig.
Die Frauen sitzen in kleinen Gruppen auf weißen Plastiksäcken, die Beine ausgestreckt, einen Fuß über dem anderen. Gegen den feinen Sand, der sich auf Haut und Kleidung legt, können sie nichts tun, wohl aber gegen den Müll; jede Plastiktüte, die ins Dorf geweht wird, sammeln sie ein. Wie jeden Tag fädeln sie ihre Perlen auf, sortieren mit feinem Draht die richtigen Farben auf der Handfläche. Den Schmuck verkaufen sie an Touristen – davon und von den Einnahmen aus ihrem kleinen Camp am Fluss leben sie, es reicht gerade so. In vielen Ringen und variierenden Mustern liegt der Schmuck schwer über ihren bunten Gewändern, um Hals und Brust, weit hinab bis über die Schultern und um den Kopf.
Rebecca Lolosoli sitzt als Einzige auf einem Holzschemel; er wirkt klein für die kräftige Frau, das Oberhaupt dieser Gemeinschaft. Ihr Blick ist stolz, sie strahlt das Selbstbewusstsein aus, das ihr Vater, ein bedeutender Samburu-Stammesführer, ihr vererbt hat – entgegen jeder Tradition. Ein Handy läutet. Rebecca greift unter ihren Perlenschmuck, zieht ein Nokia hervor und nimmt eine Buchung für das Camp entgegen – ihre Berührungsängste haben die Frauen in vielerlei Hinsicht abgelegt.
Vor 22 Jahren hatte Rebecca Lolosoli die Idee, ein Dorf nur für Frauen zu gründen. Da lag sie gerade im Krankenhaus, nachdem sie von einer Gruppe Männer zusammengeschlagen worden war. Es hatte den Männern nicht gepasst, dass Rebecca ständig die Frauen um sich versammelte, das Wort erhob gegen Ehemann und Schwiegervater und es wagte, laut auf Versammlungen über das Unrecht zu sprechen, das den Frauen widerfuhr. In der Tradition der Samburu, ursprünglich ein Nomaden-Volk, herrschen die Männer über ihre Familie, sie sind diejenigen, die das Land und die Tiere besitzen, die zuerst essen, die meist mehrere Frauen haben, sie schlagen dürfen.
In der Nähe von Archer’s Post hatte die britische Armee ihr Lager, früher waren hier Truppen zu Trainingszwecken stationiert. Immer wieder kam es vor, dass Soldaten einheimische Frauen vergewaltigten. Wie Nagusi Lolemu, die gerade beim Wäschewaschen am Fluss war, als sich drei Männer in Uniform auf sie stürzten. Verletzt schleppte sich die Samburu-Frau zu ihrer Hütte und erzählte ihrem Ehemann, was passiert war. Er versorgte nicht ihre Wunden, er stand ihr nicht bei, er verfolgte auch die Soldaten nicht – er verprügelte seine Frau mit einem Holzscheit, beschimpfte sie dafür, dass sie Schande über die Familie gebracht habe und jagte sie aus dem Haus.
Umoja heißt »Einheit«. In ihrem eigenen Dorf, so Rebeccas und Nagusis Überlegung damals, würden sich die Frauen gegenseitig schützen, einander den Respekt erweisen, von dem die Männer Lichtjahre entfernt waren. Die Frauen suchten sich einen Platz ganz in der Nähe des Samburu-Nationalparks, wo regelmäßig die Safari-Touristen vorbeikommen, von denen sie sich ein Einkommen erhofften. Sie schlugen ihr Lager auf, begannen mit dem Bau der ersten Hütte, der zweiten, der dritten.
Alles, was vorher verboten war
Mit klopfendem Herzen und berauschendem Freiheitsgefühl taten die Frauen nun all die Dinge, die ihnen bisher verboten waren. Eine Ziege schlachten! Als sie das erste Mal ein Tier in Archer’s Post kauften, gingen ein paar Männer ungläubig hinter ihnen her. »Was wollt ihr damit machen?« – »Sie essen!« Die Männer sind außer sich, wollen das Absurde, Unverschämte, Skandalöse mit eigenen Augen sehen. Sie schauen zu, wie die Frauen die Ziege festhalten, wie Rebecca ihr die Kehle durchschneidet. Wie sie das Tier häuten, zerlegen, um es auf dem Feuer mitten auf dem Platz zu braten. Nach Samburu-Tradition dürfen nur Männer Fleisch essen, während die Frauen die Innereien bekommen. »Was macht ihr mit den Stücken, die uns zustehen?« – »Welche sollten das sein? Wir haben die Ziege bezahlt, sie gehört uns!« Rebecca Lolosoli muss heute noch lachen und wischt sich die Tränen aus den Augen, wenn sie davon erzählt.
Längst haben die Frauen ihre eigene kleine Ziegenherde, die täglich weit bis hinter die Berge zum Grasen geführt wird. Rebecca Lolosoli hat sogar unter Männern wie Wilson, Barasi und Douglas den Ruf, eine besonders gute Hand für die Tiere zu haben. Was sie weiß, gibt sie weiter: Heute sollen ein paar Lämmer ihre Markierung bekommen; das eine Ohr geschlitzt, das andere gekürzt. Rebeccas Neffe Benedict, zwanzig Jahre alt und in Umoja, seit er zehn ist, hält eine alte Schuhsohle in der Hand. Als er 15 war, wollte sein Vater ihn zu sich nehmen – Benedict weigerte sich. Er trägt Jeans und ein glitzerndes Guess-T-Shirt und kann leidenschaftlich über die Vorteile der Gleichberechtigung sprechen. Jetzt legt er das Ziegenohr aufs Profil, eine der Frauen hält das Lamm an Hals und Beinen. Es blökt. Benedict drückt zu, aber zu zaghaft, Rebecca erklärt, zeigt, wird ein bisschen unwirsch. Das hier soll schnell gehen und schonend. Der Geruch des Ziegenkots steigt beißend in die Nase, Benedict schwitzt, drückt schließlich beherzt zu, schneidet, das Ohr ist geschlitzt, das Lamm blökt, etwas Blut tropft. Beim nächsten Tier geht es schon besser.
Um zu beweisen, dass eine Frau ohne Mann hilflos Gefahren ausgeliefert ist, kamen die Männer noch bis vor wenigen Jahren einfach so nach Umoja und verprügelten wahllos Frauen, traten ihre Perlen in den Dreck. Aber jetzt, wo die Jungs im Dorf älter und kräftiger geworden sind, ist das nicht mehr so einfach. Außerdem schaut inzwischen die Welt auf diese verlassene Gegend, seit Hillary Clintons Organisation »Vital Voices« Rebecca Lolosoli mit dem »Global Leadership Award« ausgezeichnet hat, als geborene Führungspersönlichkeit. Die Dorfchefin Rebecca hat in Washington gesprochen, war in Neapel beim Menschenrechtsfestival. »Unsere Stimme ist unser Schutz!«, sagt sie.
Nachdem sie einmal angefangen hatten, Rechte für sich in Anspruch zu nehmen, waren die Frauen bereit für weitere Tabubrüche: Sie luden Expertinnen ein, die im Schatten unter der Schirmakazie über Bildung und Aids sprachen, über weibliche Beschneidung. Was für ein Schock, zu erfahren, dass der stolze Akt, der ein Samburu-Mädchen laut Tradition zur Frau macht, in anderen Teilen Kenias und vielen Ländern der Welt als Genitalverstümmelung bezeichnet wurde!
Bald hatten sie ihre Haltung gefunden: gegen Zwangsheirat, gegen Heirat Minderjähriger, gegen erzwungenen Sex. Für das Recht auf Bildung für Mädchen. Das Recht, als Frau Land zu besitzen: 100 000 Schilling, knapp 1000 Euro, sparten sie in vielen Jahren zusammen, um den Boden zu bezahlen, auf dem ihr Dorf steht. Umso größer war die Empörung, als Rebeccas Ehemann plötzlich Ansprüche erhob: Seine Frau könne nicht die Besitzerin sein, der Grund stehe ihm zu. Der Streit ging vor Gericht, wo nicht nach Samburu-Bräuchen, sondern nach dem fortschrittlicheren kenianischen Gesetz entschieden wird. Noch steht das Urteil aus.
Im Laufe der Jahre kamen andere Frauen, nicht nur Angehörige der Samburu, sondern auch der Turkana, einmal eine verarmte Französin; jede ist willkommen. Manche blieben, andere versuchten es nach einer Weile wieder mit ihren Männern. Judy war zehn und hatte einen langen Marsch hinter sich, als sie 2002 in Umoja landete. Ihr Vater wollte sie mit einem Mann verheiraten, der mit seinen 50 Jahren nicht nur erheblich älter war, sondern zudem HIV-positiv. Wie mag man sich fühlen, wenn der eigene Vater für die entsprechende Zahl Kühe so einen Handel eingeht? Judy ist heute zwanzig, eine schöne, zurückhaltende Frau mit geschmeidigen Bewegungen. Sie hat zwei Töchter, sechs und drei, es war also doch mal ein Mann im Spiel. Auch einige der anderen Frauen bekommen hin und wieder Männerbesuch, sie machen kein Geheimnis daraus. »Aber ich brauche jetzt keinen mehr«, sagt Judy knapp.
Dann nimmt sie sich einen zerkratzten weißen Plastikkanister, schließt sich den anderen Frauen an, um Wasser zu holen, und ist auf einmal ganz lebendig. Angekommen am Fluss, beginnen die Frauen eine eigenwillige Choreografie. Ihr Ziel: nicht gefressen zu werden. Sie drücken mit dem Handballen dicke Sandbrocken aus der Uferkante, schmettern sie ins trübe Wasser. Sie klatschen mit ihren leeren Kanistern auf die Oberfläche, schreien, dann erst beginnen zwei von ihnen, Wasser abzufüllen, auch sie mit so viel Abstand zum Fluss wie möglich. Erst vor ein paar Tagen ist ein Kind von einem Krokodil blitzschnell ins Wasser gezogen und getötet worden. Schreien, klatschen, werfen. Hinunterbeugen, Wasser nehmen. Eine verliert ihr Gleichgewicht, greift nach dem Arm der anderen, sie quietschen, kichern, angespannt und zugleich albern, es ist diese Gemütslage, mit der sie viele Situationen bewältigen, und kaum sind sie wieder auf dem Weg ins Dorf, die schweren Kanister auf Kopf oder Rücken, fällt ihnen wieder was Urkomisches ein; wisst ihr noch, letzte Nacht …
Am Abend zuvor hatte der Hund angeschlagen, als fremde Männer plötzlich am Zaun auftauchten. Kurz davor waren in der Nachbarschaft 58 Rinder gestohlen worden. Schon wieder! Die Zeitungen sind voll von Viehdiebstählen, von Überfällen und Racheakten, bei denen Menschen sterben. »Und die Regierung unternimmt nichts«, sagt Rebecca Lolosoli mit verächtlichem Blick. Viele Kenianer glauben, dass die Überfälle auch politisch motiviert sind. In einem halben Jahr finden Wahlen statt, und Politiker, die an die Macht wollen, würden gern Streit zwischen den Volksstämmen inszenieren, damit im günstigsten Fall die Anhänger der Gegenseite vertrieben werden. Auch das hat Rebecca Lolosoli schon öffentlich angeprangert: Kommt endlich zur Besinnung – ihr gefährdet Frauen und Kinder!
So hatten die Bewohnerinnen von Umoja ihre Ziegen in jener Nacht zur Sicherheit zu den Hühnern in den Stall gesperrt und sich selbst in ihrem Museum versteckt. Auf dem Steinboden haben sie ihre Decken und Matten ausgebreitet, kreuz und quer mit ihren Kindern, eingerahmt von den Vitrinen, in denen sie die typischen Utensilien ihrer Kultur präsentieren, Häute, Messer, Fette, Pfeile, Speere. Bloß keine Geräusche machen! Draußen haben Benedict und ein paar andere Jungs, Kinder Umojas, Wache gehalten, drinnen sind die Frauen jedes Mal zusammengeschreckt, wenn ein Baby zu weinen begann. Ruhig nur, ruhig! Bis es endlich hell wird.
Die Revolution afrikanischer Frauen
Nagusi, deren Haar inzwischen grau wird, und Rebecca, die beiden langjährigen Vertrauten, haben als Einzige wie gewohnt auf ihrem Ziegenfell in ihrer Hütte geschlafen. Sie haben sich irgendwann entschieden, nicht mehr Opfer zu sein. Wenn so etwas geschieht, kann die Wirkung groß sein:
In Liberia haben Frauen 2003 mit ihrem friedlichen Protest und einem Sexstreik dazu beigetragen, dass der Bürgerkrieg beendet wurde. Ihre Führerin, Leymah Gbowee, hat dafür den Friedensnobelpreis bekommen. Im Kongo sind Vergewaltigungsopfer 2009 auf die Straße gegangen, ein paar Hundert vielleicht. Im nächsten Jahr war daraus der Weltfrauenmarsch geworden mit 20 000 Teilnehmerinnen aus der ganzen Welt – auch aus Umoja.
Sogar als vor einigen Jahren Rebeccas Ehemann mit dem Gewehr in Umoja auftauchte und sie erschießen wollte, hat sie gesagt: »Dann soll er doch!« Nur auf Drängen der Frauen ist sie geflohen. Bei der Polizei wollte sie Anzeige erstatten, wurde aber mit den Worten abgewiesen, dass man sich nicht in familiäre Angelegenheiten einmische. Erst als sie bei der höheren Behörde vorsprach, wurde ihrem Mann das Gewehr abgenommen.
Ein Jahr hat sich Rebecca anschließend in Kenias Hauptstadt Nairobi versteckt, während ihr Anwalt einen Scheidungsprozess anstrebte. So etwas gab es noch nie: Lolosoli gegen Lolosoli. Von ihren fünf Kindern hielt die jüngste Tochter Sylvia, in Umoja aufgewachsen, bedingungslos zu ihr, die älteren vier, geprägt durch Vater, Großeltern und Tradition, waren entsetzt. Die zwei großen Töchter machten ihrer Mutter Vorwürfe, die beiden Söhne grüßten sie nicht mal mehr auf der Straße. Rebecca sagt: »Wenn ich damals zugelassen hätte, dass ich meine Kinder vermisse, hätte ich gar nichts mehr tun können.« Also habe sie versucht, sie aus ihren Gedanken zu streichen. Für eine lange Weile und auf Abstand ging das. Es sollte zwei Jahre dauern, bis die Kinder selbst diesen Zustand nicht mehr aushielten und plötzlich am Zaun von Umoja auftauchten. Die Zeit bis dahin sollte Tom, der Älteste, später als die schlimmste seines Lebens bezeichnen. Die Ehe der Lolosolis wurde geschieden. Rebecca kehrte zurück nach Umoja.
Fabian Lolosoli sitzt auf einem lauschigen Platz im Schatten seines Geschäftsgrundstücks in Archer’s Post und sieht gar nicht aus wie einer, der schießwütig durch die Gegend rennt. Er ist gepflegt, trägt einen schmalen Schnurrbart, gestreiftes Hemd, mattgrüne Hose, und bietet den Gästen freundlich Drinks an. Cola, Bier? Auch Fabian Lolosoli vermietet Zimmer an Touristen und betreibt außerdem eine Bar, hat einen großen Viehbestand. Er ist ein reicher, angesehener Mann, auch, weil er die politischen Interessen seiner Landsleute im Samburu County Council vertritt. Bei den nächsten Wahlen wird auch seine Ex-Frau antreten – ganz sicher nur, um ihn zu ärgern, glaubt Fabian Lolosoli. »Irgendwie sind Rebecca und ich aneinandergeraten«, sagt er, und das klingt harmlos. Sein Ton ist heiter, sein rechtes Bein wippt auf und ab. Leider würde Rebecca all diese Lügen verbreiten. Es gehe ihr gar nicht darum, Frauen zu stärken, sondern selbst mächtig zu sein, wie eine Löwin. Und all die Geschichten: Er sei mit dem Gewehr hinter ihr hergelaufen!
Fabian Lolosoli, erster geschiedener Ehemann in der Geschichte der Samburu, spricht so überzeugt, dass man den Gedanken prüft, ob etwas dran sein könnte. Heißt das, er hat seine Frau tatsächlich nie geschlagen?
»Na ja … Sind Sie verheiratet?«
Ja.
»Und? Streiten Sie manchmal mit Ihrem Mann?«
Ja, aber wir schlagen uns nicht.
Fabian Lolosolis Bein wippt weiter, er sagt nichts mehr.
Die Frauen von Umoja sind nicht gegen Männer, überhaupt nicht. Aber statt sich in ihr Schicksal zu fügen, stellen sie jetzt Bedingungen. Während bisher nur die Männer von Frauen träumen durften und sich anschließend wie ein Albtraum gebärdeten, wagen es die Frauen endlich, ihr Bild eines Traummannes zu entwerfen: Es müsste einer sein, der sie mit Respekt behandelt, der ihre Wünsche, ihre Würde achtet. Diese Botschaft bringen sie auch in andere Dörfer, zwanzig, dreißig Kilometer laufen sie dafür durch die flirrende Hitze. Tausend Frauen haben sich der Bewegung angeschlossen, Gruppen in ihren Dörfern gebildet, und ja: Auch sie werden von ihren Männern dafür geschlagen. Sie kommen trotzdem.
Es könnte sein, dass Wilson, Barasi und Douglas zu den Letzten ihrer Art gehören, denn die Entwicklung, die die Frauen ausgelöst haben, scheint kaum mehr zu bremsen. Vor allem bei den Jüngeren, bei den besser Gebildeten verändert sich viel. Irgendwann standen auch Rebeccas Kinder wieder da. Rebecca fuchtelt mit einem Stock herum, wenn sie davon erzählt. Wegschicken wollte sie sie, nach all den Verletzungen. Aber dann haben die Frauen auf sie eingeredet. Mutter und Kinder näherten sich zaghaft wieder an.
An diesem Wochenende sind die beiden Söhne gekommen, Tom und Sami treffen ihre Mutter an der Bar im Camp. Tom, ein kräftiger Mann mit Bass-Stimme, der als Programmierer arbeitet, hat sein Laptop dabei und stellt den Besuchern die Umoja-Homepage vor, die er gestaltet hat, klickt durch die Seiten, spricht von Umoja als »funktionierende Marke«. »Die Arbeit meiner Mutter ist revolutionär«, sagt er. Heute kann er so sprechen. Er sagt auch: »Meine Frau erwartet von mir, dass ich ihre Rechte respektiere.«
Sami, der jüngere, hat seine Frau und die acht Monate alte Saba dabei, Rebeccas erstes Enkelkind, benannt nach ihrer Mutter. Rebecca hält das Baby auf dem Arm, strahlt es an. Wendet sie sich ihren Söhnen zu, bleibt davon nur ein Lächeln, ihre Züge sind kontrolliert.
Sami verbringt seinen Alltag zwischen Meru, der Stadt, wo er arbeitet, Nairobi, wo er mit seiner Familie wohnt, und Archer’s Post. Auch ein Nomadenleben, aber mit den Ursprüngen der Samburu hat es nur noch wenig zu tun. Wenn ein Teil der Traditionen wegbricht, scheint es schwer, die anderen Teile aufrechtzuerhalten. Sami wäscht und kocht meist selbst. Seine Frau ist keine Samburu, sondern Kikuyu, nach einigen Anfangsschwierigkeiten sei sogar sein Großvater mit dieser Verbindung einverstanden gewesen, sagt er. Geheiratet hätten sie aber so oder so. Seine Frau hört zu, lacht. Sie ist einverstanden mit ihrem Mann.
Rebecca nickt. Mehr wollen sie ja gar nicht, die Frauen von Umoja.
UMOJA
Das Dorf der Frauen liegt 100 Kilometer nördlich des Mount Kenya am Rande des Samburu-Nationalparks. Rebecca Lolosoli schaffte hier vor 22 Jahren eine Zufluchtsstätte für Frauen, die von ihren Männern misshandelt werden. Sie wurde dafür von Hillary Clintons Organisation »Vital Voices« für ihre Vorbildfunktion ausgezeichnet. Zurzeit leben 48 Frauen in Umoja.
Fotos: Siegfried Modola