SZ-Magazin: Sie sind die erste Landesgruppenchefin in der Geschichte der CSU. Wie ist Ihnen das ausgerechnet in dieser Testosteron-Partei gelungen?
Gerda Hasselfeldt: Darüber habe ich mir ehrlich gesagt nie Gedanken gemacht. Das kam einfach so. Ich habe auch nie dafür gekämpft – nach dem Motto »Ich bin eine Frau und deshalb muss ich berücksichtigt werden« –, sondern habe unverkrampft und mit großem Einsatz meine Arbeit gemacht und bin dann gebeten worden. Erst habe ich Nein gesagt, aber dann habe ich entschieden, dass ich die Herausforderung annehme.
Warum hatten Sie Nein gesagt?
Tja, das passte nicht in meine Lebensplanung. Ich war 2011 Vizepräsidentin des Bundestags und damit sehr zufrieden. Der unmittelbare politische Einfluss war sehr begrenzt, aber die Position hatte natürlich viele interessante Aspekte. Das war bei jeder Funktion so, die ich neu übernommen habe. Ich habe mich zunächst selbstkritisch gefragt: Ist das was für mich?
Ist es typisch Frau oder bloß Zufall, dass damals fünf Männer »Hier!« geschrien haben, und Sie haben gezweifelt?
Ich bin keine, die sofort »Hier!« schreit. Ich habe auch noch nie jemandem eine Position streitig gemacht. Ob das typisch ist für alle Frauen? Ich weiß es nicht. Meine Erfahrung mit Frauen in der Politik ist jedenfalls, dass sie sich häufig hinterfragen, ob sie das können oder ob das mit dem privaten Umfeld vereinbar ist.
Häufig oder häufiger als Männer?
Ich kenne auch Männer, die sich hinterfragen. Aber ich glaube, Frauen gehen noch strenger mit sich ins Gericht.
Der SPD-Chef Sigmar Gabriel erzählt, wie knapp bemessen seine Zeit als Familienvater sei und dass seine vierjährige Tochter, wenn sie ihn im Fernsehen sieht, dem Bildschirm einen Kuss gebe. Wie haben Sie Ihr Familienleben als Politikerin gemeistert?
Es war nicht immer einfach, es ging nur mit großer Disziplin, guter Organisation und Partnerschaft. Mein erster Mann hat viel geleistet. Sonst wäre das gar nicht gegangen.
Für damalige Verhältnisse war das sicher ungewöhnlich – die Frau geht arbeiten, der Mann bleibt zu Hause?
Das war sehr ungewöhnlich. Ich habe nach den Geburten meiner Kinder 1977 und 1983 nur die sechs Wochen Mutterschutzfrist vor der Geburt und die acht Wochen nach der Geburt in Anspruch genommen. Mir hat es ja Freude gemacht zu arbeiten. Zuerst hat meine Schwiegermutter geholfen, dann eine Haushaltshilfe, und zusätzlich hat mein Mann seine Stunden als Lehrer reduziert. Nach den Geburten habe ich in den Arbeitsämtern München und Deggendorf gearbeitet und war neben diesem Vollzeitjob schon als CSU-Kreisrätin in unserem Heimatlandkreis Regen tätig. Das war ein Balanceakt. Wenn ich zu Hause war in Regen, habe ich jede Minute mit meinen Kindern genossen – viel mit ihnen gespielt und mit ihnen unternommen. Das waren kostbare Momente.
Aber seltene. Für Ihren Job im Arbeitsamt München haben Sie eine kleine Wohnung in der Stadt gemietet.
Ja, das war beim ersten Kind. Fünf Tage war ich während der Woche in München, bin aber zu partei- und kommunalpolitischen Versammlungen nach Hause gefahren und am frühen Morgen dann wieder zurück nach München.
Was haben Sie sich damals anhören müssen?
Meine Schwiegermutter hat mich schon sehr deutlich spüren lassen, dass sie das nicht sehr schätzte. Und auch meine Mutter hat gelegentlich gefragt: Bringst du das wirklich unter einen Hut? Sie hat mich oft gefragt, ob ich mich nicht genieren würde, wenn mein Mann den Kinderwagen durch die Stadt schiebt. Auf so eine Frage käme man heute gar nicht. Aber beide, Mutter und Schwiegermutter, haben auch gesehen, wie toll mein Mann mich unterstützt hat und wie gut sich unsere Kinder entwickelt haben. Ich war damals auch Kreisvorsitzende in der Frauen-Union, da hat es schon so manche Vorbehalte nach dem Motto »Rabenmutter!« gegeben.
Hatten Sie ein schlechtes Gewissen?
Es gab schwierige Situationen, zum Beispiel als ich Bundestagsabgeordnete wurde. Wenn ich montagmorgens unsere Tochter in Regen in den Kindergarten gebracht hatte und dann im Auto auf dem Weg zum Flughafen München saß, kamen mir die Tränen. Da war sie gerade vier – in dem Alter passiert so viel, sie entwickeln sich so schnell. Es tat sehr weh zu wissen, dass ich sie jetzt eine ganze Woche nicht sehe.
Hatten Sie das Gefühl, elementare Dinge im Leben Ihrer Kinder verpasst zu haben?
Gelegentlich ja. Mein Mann hat miterlebt, wie sie zum ersten Mal ein Lied sangen oder Fahrrad fuhren. Ich merke jetzt bei meinen Enkelkindern, dass ich deren Entwicklung viel bewusster erlebe. Das genieße ich natürlich umso mehr.
Noch mal zu Ihren Tränen. Beschlichen Sie in solchen Momenten Zweifel, ob das richtig ist, was Sie da tun?
Ich habe nie daran gezweifelt, dass mein Weg in die Politik richtig war. Das, was ich gemacht habe, hat mir so große Freude gemacht. Natürlich gab es Momente – so wie die im Auto auf dem Weg zum Flughafen –, in denen es schwierig war. Aber komplett alles in Frage gestellt? Nein, das habe ich nicht. Ich würde es wieder so machen. Das Verhältnis zu meinen Kindern könnte besser nicht sein. Sie sind sehr selbstständig, und vielleicht sind sie es früher geworden als manche andere. Sie haben mich natürlich genauso vermisst wie ich sie. Aber als Familie haben wir es geschafft, alles unter einen Hut zu bringen.
Wer hat Ihnen beigebracht, alles unter einen Hut zu bringen?
Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Während des Gymnasiums und während des Studiums habe ich zu Hause mit meinen Schwestern zusammen im Gasthaus bedient, die Zimmer für die Feriengäste geputzt und in der elterlichen Landwirtschaft mitgeholfen. Später habe ich Beruf, Familie und Politik parallel bewältigt. Wir hatten aber auch das Glück, dass unsere Kinder sehr unproblematisch waren, auch in der Pubertät. Allerdings sagen meine Geschwis-ter dann gern: Du hast leicht reden, du hast vieles ja nicht mitbekommen.
Haben Ihre Kinder Ihnen Vorwürfe gemacht?
Nein. Von meinen Kindern habe ich nie irgendeinen Vorwurf bekommen, im Gegenteil, ich erinnere mich an eine Veranstaltung zum Thema Frau und Arbeit, auf der ich gesagt habe, dass ich mich gelegentlich frage, wie das für meine Kinder war, als sie klein waren. Hinterher hat mir meine Tochter gesagt: Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben, wir sind stolz auf dich und auch darauf, dass du nicht abgehoben bist. Das hat mich sehr gerührt.
Sie wurden 1989 mit nur 38 Jahren Bundesbauministerin und hatten zwei minderjährige Kinder. Wenn Ihre Kinder krank wurden, und Sie saßen in Bonn auf einer Kabinettssitzung – wie hat das funktioniert?
Also, die schwierigste Zeit war zweifellos jene im Kabinett, weil ich da die ganze Woche weg war. Ich konnte dann nicht eben mal schnell nach Hause, wenn irgendwas war. Da ist man dann manchmal hin- und hergerissen zwischen Beruf und Familie. Aber das kennt sicher jede berufstätige Mutter. Dazu kam bei mir, dass ich ab 1990 im Wahlkreis Fürstenfeldbruck direkt kandidiert habe. Den Wahlkreis kannte ich noch gar nicht. Da musste ich erst die Ochsentour machen über jeden Ortsverband. Vollzeitministerin, Vorbereitung für die Nominierung, Wahlkampf, Wiedervereinigung … Da kam einiges zusammen. Heute frage ich mich manchmal, wie ich das geschafft habe. In Fürstenfeldbruck habe ich mir eine möblierte Mansarde gemietet, es war ein Hin und Her. Manchmal bin ich in der Früh aufgewacht und wusste nicht, wo ich gerade bin.
Klingt nach Nomadenleben.
Es war eine starke Belastung für alle. Es hat bestimmt auch ein Stück die Partnerschaft mit beschädigt.
Die Jahre nach der Wende waren keine gute Zeit für Sie. Ihre erste Ehe scheiterte. 1991 wechselten sie vom Bau- ins Gesundheitsministerium, traten aber schon nach 15 Monaten wieder zurück. Weshalb?
Ich hatte damals enorme gesundheitliche Probleme. Dazu kamen Schwierigkeiten im Ministerium. Von Anfang an war ich mit manchen Personalkonstellationen nicht glücklich. Heute weiß ich, dass ich damals den Mut hätte aufbringen müssen, da klar Schiff zu machen. Ich war zu jung und zu unerfahren, um dieser schwierigen Situation im Haifischbecken in der Gesundheitspolitik Herr zu werden. Dann war klar: So sehr hänge ich nicht an dem Amt.
Wäre damals ein Mann in so einer Situation auch zurückgetreten?
Mich hat nie die Bedeutung eines Amtes angetrieben. Ich finde es zum Beispiel nicht besonders reizvoll, mit Limousine und Chauffeur vorzufahren. Mir ist kein Zacken aus der Krone gebrochen, als ich zurückgetreten bin. Und es ging ja politisch für mich weiter: Ich bin in den Verkehrsausschuss gegangen, weil dort ein Sitz frei wurde. Später, 1995, wurde ich finanzpolitische Sprecherin. Bis zu dem Zeitpunkt war noch nie eine Frau aus der CDU/CSU überhaupt Mitglied im Finanzausschuss gewesen. Damals habe ich auch erst überlegt. Die Vorbehalte kannte ich ja.
Die Vorbehalte der Männer?
Ja, weil Finanzpolitik bis dahin nicht mein Schwerpunkt war.
Kann es sein, dass es Sie anspornt, wenn Männer Ihnen das Gefühl vermitteln: Das kann die eh nicht?
Zunächst spornt mich an, in jeder Funktion eine sehr gute Arbeit zu machen. Ich schließe aber auch nicht aus, dass es mich angespornt hat, dass mein Vater von Frauen in der Politik nicht viel gehalten hat. Er war selbst Bundestagsabgeordneter und Bürgermeister. Frauen in der Politik, hat er gesagt, seien wie ein Krampfadergeschwader.
Als Studentin haben Sie Ihrem Vater schon beweisen wollen, dass Sie eigenes Geld verdienen und studieren können.
Während des Studiums habe ich für ein halbes Jahr halbtags noch in einer Bank gearbeitet, weil meine Eltern mir das Studium nicht finanziert haben. Ich habe damals in München zuerst bei einer Tante und deren Mann gewohnt. Ich musste dort nichts bezahlen, hatte aber auch keinen Freiraum. Wenn ich abends zum Ring Christlich-Demokratischer Studenten ging, wurde das kritisiert: Ein zwanzigjähriges Mädchen habe abends in München alleine nichts auf den Straßen zu suchen. Das war 1969, 1970. Das habe ich mir zwei Semester lang angetan, dann ging das nicht mehr. Ich bin ausgezogen in ein klösterliches Studentenheim, was zu Hause riesigen Krach ausgelöst hat, weil ich jetzt Miete bezahlen musste. Deshalb habe ich halbtags in der Bank gearbeitet und in diesem dritten Semester sogar mein Vordiplom gemacht. Das legt man ja eigentlich erst nach vier Semestern ab. Ich wollte beweisen, dass ich das auch alleine schaffe. Das war meine Art des Protestes.
Zu der Zeit gab es ja auch lautere Arten des Protestes.
Das stimmt, ich war aber nicht so.
Sind Sie eine leise Militante?
Ich habe zumindest nie laut protestiert, sondern bin stetig meinen Weg gegangen und habe so gezeigt, dass ich nicht nur angepasst bin.
In Ihrer Partei gibt es einige, die zum Poltern neigen.
Ja, die können das vielleicht auch.
Können Sie brüllen?
Das gehört nicht zu meinen Stärken.
Was macht Sie wütend?
Unehrlichkeit. Wenn mich im privaten Bereich etwas wirklich stark ärgert, mag ich manchmal gar nichts mehr sagen.
Und in der Politik?
Ich streite nicht um des Streitens willen. Wenn mich jemand ärgert, rede ich direkt mit der Person und nicht über die Person.
Im Gegensatz zu Ihrem Parteivorsitzenden. Horst Seehofer hat ja auf sehr laute Art und Weise zum Ausdruck gebracht, dass er die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin ablehnt. Sie haben damals im Hintergrund zwischen beiden als eine Art Emissärin zu vermitteln versucht.
Für die CSU ist es wichtig, Kante zu zeigen. Die Menschen in Bayern haben die Flüchtlingsfrage anders wahrgenommen als im Rest der Republik. Ganz einfach, weil die meisten Flüchtlinge über Bayern gekommen waren. Deshalb müssen wir da strenger hinschauen. Ich bin in meiner Wortwahl eher sachlich.
Auf Ihrer Internetseite gibt es ein Foto von Ihnen selbst und eines mit Frau Merkel, aber keines von Ihnen mit Ihrem Parteivorsitzenden.
Ach ja, tatsächlich? Ist mir gar nicht aufgefallen. Zufall.
Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Frau Merkel beschreiben?
Geprägt von gegenseitigem Vertrauen. Wir wollen gute Arbeit leisten.
Klingt sehr preußisch.
Ja, das ist es vielleicht auch. Unser Verhältnis ist nicht geprägt von Seilschaft oder Kumpanei. Das ist uns beiden fremd. Es ist ein angenehmes, unverstelltes Verhältnis. Jede von uns macht ihren Job.
Uns ist aufgefallen, dass Ihr Politikstil und der von Frau Merkel sich ähneln, ein fast schon spröder Politikstil.
Mein Politikstil ist: Nicht ich bin wichtig, sondern das Amt und die Menschen sind wichtig.
Joschka Fischer hat mal gesagt: Die Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauert etwas länger als die Verwandlung des Menschen durch das Amt. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?
Die Gefahr besteht schon, dass das Amt den Menschen verändert, wenn der Mensch es zulässt. Ich habe durch die Bekanntschaften meines Vaters erlebt, dass sich mancher Po-litiker mit dem Amt so stark identifiziert, dass er, wenn er aufhört, gar nicht mehr derselbe Mensch ist. Einige Politiker glauben, sie wären ohne Amt nichts mehr wert. Deshalb fällt es ihnen dann so schwer aufzuhören. Ich habe gesehen, wie manche darunter leiden, wenn sie nicht mehr in der ersten Reihe sitzen und nicht mehr begrüßt werden. Schon damals habe ich mir gedacht, dass ich nicht so enden will.
Sie entstammen ja einem Politikerclan. Haben Sie dort gelernt, die eigene Wichtigkeit herunterzuschrauben?
Vielleicht. Mein Vater hat 1983 aufgehört als Abgeordneter, er war aber noch ehrenamtlicher Bürgermeister hier in Haibach. Die ganze Zeit über seit 1948. Er hätte dann eigentlich auch aufhören sollen, aber er hat das nicht getan, weil er fand, dass es keiner so gut könne wie er. Wir haben ihm geraten aufzuhören, aber er hat nicht auf uns gehört. Dann ist er nicht mehr gewählt worden, und das war dann schon verdammt schwierig für ihn, aber auch für uns.
Hat Sie die Erfahrung Ihres Vaters darin bestärkt aufzuhören, bevor andere Sie dazu drängen?
Ja. Ich möchte dann gehen, wenn die Leute noch sagen: Ist eigentlich schade, aber verstehen tun wir’s.
Ist Politik ein Ort, an dem man Freundschaften schließen kann?
Es ist nicht ausgeschlossen, aber man sollte nicht deswegen in die Politik gehen.
Welchen Fehler haben Sie gemacht?
Ich habe damals für Bonn als Hauptstadt gestimmt. Ich war überzeugt davon, dass der Bonner Raum ausblutet, wenn Berlin Regierungssitz wird. Heute bin ich froh, dass die Mehrheit anders entschieden hat.
Gehen Sie leichten Herzens?
Man muss auch loslassen können. Ich glaube, dass es notwendig ist, Jüngeren die Chance zu geben, sich einzubringen.
Was wird Sie vor Entzugserscheinungen retten?
Mein jetziger Mann Wolfgang, meine Kinder, die Enkelkinder, meine Geschwister.
Und wie werden Sie Ihre freie Zeit füllen?
Ich lasse das auf mich zukommen. Ich habe mein Leben nie großartig geplant.
Gibt es denn etwas, wozu Sie in all den Jahrzehnten nicht gekommen sind?
Ja, zum Beispiel zum Klavierspielen. Als Schülerin habe ich gespielt. Ich habe mir vorgenommen, wieder Stunden zu nehmen. Vielleicht gehen wir wieder mehr in Konzerte und Opern.
Vielleicht gehen Sie auch wieder selbst Kostüme und Blazer einkaufen?
Bestimmt. In den vergangenen Jahren hat das mein Mann oft gemacht.
Ohne Sie?
Ja, meistens findet er etwas Passendes für mich.
Und wenn Ihnen etwas nicht passt?
Dann tauscht er es wieder um. Meistens trifft er meinen Geschmack. Die kennen meinen Mann schon in den Geschäften. Er sagt auch, dass er als Mann in der Damenabteilung sehr zuvorkommend bedient werde.
Wenn Sie im kommenden Jahr in Rente gehen, werden Sie dann gemeinsam das Mittagessen kochen?
Wenn wir beide gemeinsam in der Küche hantieren, ist das ein Problem. Dann muss vorher auf jeden Fall klar sein, wer schnippelt und wer kocht.
Fotos: Julian Baumann