»Mit dem Wort Glück hab ich wenig am Hut«

Ihr Ex-Ehemann bekam lebenslänglich wegen sechsfachen Mordes, ihr einziges Kind starb als junge Frau. Ein Gespräch mit der Burgschauspielerin Erika Pluhar über die Kunst des Weiterlebens.


Über die Schauspielerin Erika Pluhar, die dem Wiener Burgtheater vierzig Jahre lang treu blieb, schrieb ein Kritiker: »Die Pluhar vermittelt in ihrer Darstellung eine Tiefe des Empfindens und eine Höhe des weiblichen Zaubers ohnegleichen.«

SZ-Magazin: Frau Pluhar, ist schön geboren zu werden so, wie reich geboren zu werden und dann langsam zu verarmen?
Erika Pluhar: Vor einigen Jahren habe ich mir in Wien eine Retrospektive meiner Filme angesehen. Am Ende dachte ich: Hallo, warst du schön! Dass mir das nie bewusst war, hat mich nachträglich sehr geärgert.

Sie galten als begehrteste Frau Österreichs und waren die erste Nackte auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Sie wollen die Blicke der Männer nie gespürt haben?
Ich war ein sehr selbstbewusstes kleines Mädchen, das gern zur Schule ging. Mit 16 hatte ich dann zwei Jahre lang eine wirklich schlimme Anorexie. Sie setzte ein, als ein Mann mich in einer stillen Villa zu sexuellen Handlungen nötigen wollte. Ich bin geflüchtet und zu Fuß in der Nacht von einem Ende Wiens ans andere gelaufen. In dieser Nacht habe ich das kindliche Einverständnis mit mir verloren und wollte keine Frau werden. Ich hatte Glück, diese grauenvolle Krankheit zu überleben, denn damals wusste noch keiner, was Magersucht ist. Etwas ist mir fürs Leben geblieben: Ich bin außerstande zu kochen. Das ist eine richtige Phobie bei mir. Ich habe gekocht, als ich nichts aß, aus dieser Sehnsucht nach Nahrung und Wärme. Man nimmt sich ja das ganze Sinnenleben weg als Magersüchtige. Meine Tochter, die nicht mehr lebt, hat immer gesagt: »Du bist ein Küchenwunder. Selbst wenn du nur ein Ei kochen willst, fällt dir alles herunter.«

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In Ihren frühen Schauspieljahren waren Sie auf Vamps und kühle Femme-fatale-Figuren abonniert.
Ich habe mich in diesen männermordenden Blondinenappeal hineinschieben lassen, weil ich diese Rollen gut spielte und man mich so mochte. Und dann bin ich auch privat in solche Figuren hineingerutscht und wurde immer blonder.

In den Augen Ihres Publikums führten Sie ein mustergültiges Leben: Debüt am Burgtheater mit zwanzig, Heirat mit 21, Mutter mit 22.
Von außen gesehen war das alles watscheneinfach, wie man in Österreich sagt. Das Komplizierte war mein privater Weg.

Der Mann, den Sie 1962 geheiratet haben, sagte Sätze wie: »Die Frau ist die Ebene, der Mann will zum Gipfel.« Oder: »Ein Huhn ist kein Vogel, eine Frau ist kein Mensch.«
Das war der Udo Proksch. Und der war ein ganz faszinierender Kerl, ein sprühender Mensch, der mich mit seiner Ideenfülle und Unbekümmertheit anzog. Ich war ja eher brav und pflichterfüllt. Obwohl er ein kleiner, klobiger Mann mit breitem Gesicht war, sind ihm die Frauen buchstäblich nachgerannt. Diesen seltsamen, leicht verrückten Menschen habe ich sehr geliebt. Die Ehe war sehr schwierig. Er war immer unterwegs und hat mich ständig beschissen. Und er wurde Alkoholiker. Das war das Schlimmste. Im Alkohol hat er mich zweimal wirklich verprügelt. Was mich da gerettet hat, und das sage ich mit großer Zuneigung, war der Helmut Griem, mit dem ich beim Drehen von Bel Ami eine Affäre hatte. Diese Beziehung gab mir die Kraft, mich von meinem Mann scheiden zu lassen. Ich habe dann seinen Abstieg in die totalen Alkoholverwüstungen miterlebt und wie er sich da wieder rausgerappelt hat.

Stimmt es, dass Sie während Ihrer Ehe zur Waffe gegriffen haben?
Ja. Er hatte immer Waffen herumliegen. Einmal war er so eklig zu mir, dass ich ein Gewehr genommen habe. Ich trug einen schwarzen Unterrock und bin ihm leise keuchend durchs Treppenhaus gefolgt. Als er die Tür zuschlug, habe ich mit dem Gewehrlauf das Türglas durchstoßen. Wir schauten uns durch die Scherben an, lachten und sind einträchtig wieder hinaufgegangen.

Proksch war Aktionskünstler, Wiener Gesellschaftslöwe und millionenschwerer Chef der Hofzuckerbäckerei Demel. 1977 ließ er den Frachter Lucona im Indischen Ozean sprengen, um von der Versicherung 15 Millionen Euro zu kassieren – wegen Mordes an den sechs Seeleuten, die dabei ums Leben kamen, wurde er später zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die Frage seiner Schuld oder Unschuld habe ich kaum an mich rangelassen. Das war seine Sache.

Kann man seinem wegen sechsfachen Mordes verurteilten Exmann neun Jahre lang in der Besucherzelle eines Gefängnisses gegenübersitzen, ohne ihm einmal die Schuldfrage zu stellen?
Ich konnte das. Er ist der Vater meines einzigen Kindes. Als er in Haft war, hatten wir wunderbare Gespräche. Erst das Gefängnis befreite seinen wahren Charakter, und wir begegneten uns wieder mit der Liebe, die wir als junge Menschen füreinander empfunden hatten.

Aus Ihrer heutigen Sicht: Ist Proksch ein Mörder?

Er war wirklich kein schuldloser Mensch, aber an diese Schuld glaube ich nicht.

Wie ist Ihre Tochter Anna damit zurechtgekommen, einen verurteilten Mörder zum Vater zu haben?
Die Anna war mutig und stolz, aber die Situation mit ihrem Vater hat ihr sehr wehgetan. Als ich gefragt wurde, ob ich als Bundespräsidentin kandidieren wolle, sagte sie: »Der Vater lebenslänglich in Haft, die Mutter wird vielleicht Bundespräsidentin – ich habe vielleicht Eltern!«

Hat Anna ihren Vater im Gefängnis besucht?

Ständig. Sie hat ihn ja so sehr geliebt. Und sie wurde sein Halt, sein Alles.

Wenn man sich dann nicht die Kugel gibt, greift irgendwann das Leben wieder nach einem


Udo Proksch auf dem Weg in den Gerichtssaal am 28. Januar 1991.

Nach Annas Geburt fühlten Sie sich »verstört und aufgerissen«.
Die Geburt hat mich körperlich sehr hergenommen, und ich war mit Sicherheit keine prädestinierte Mutter. Ich war eine liebende Mutter, aber keine wärmende, mollige. Ich war oft so traurig und menschlich tief unten. Ich fand uns beide irgendwie arm und klein. Das änderte sich aber, als meine Tochter älter wurde.

Mit fünf Jahren bekam Anna Asthma.
Es war ein seelisches Asthma. Wenn sie unglücklich war, bekam sie diese Anfälle. Sie war traumatisiert durch die Situation ihrer Eltern. Das hat sie mehr verfolgt, als sie mir gezeigt hat. Obwohl all ihre Liebesbeziehungen mit Männern kompliziert waren, war sie ein sehr lebensbejahender Mensch. Deswegen habe sogar ich als Mutter übersehen, wie krank sie war.

1984 nahm Anna ein aus der Westsahara stammendes Findelkind an.
Der Ignaz kam gleich nach seiner Geburt zu uns. Vor dem Gesetz ist er mein Kind. Ich habe ihn adoptiert, als der Udo der Beelzebub Österreichs war. Anna und ich wollten einem fremdländisch aussehenden Jungen den belastenden Nachnamen Proksch ersparen.

Wollte Anna leibliche Kinder?

Ja, aber sie konnte keine Kinder kriegen.

Ihre Tochter starb am 4. Oktober 1999 mit 37 Jahren nach einem Asthmaanfall an akutem Herzversagen. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Ich war vormittags ins Tonstudio Toegel gefahren, um meine CD I gib net auf aufzunehmen. Als wir das vierte Lied einspielten – es hieß Die unerfüllbaren Wünsche –, wurden wir unterbrochen. Dann hieß es: Anna ist tot.

Wie hat der Vater reagiert?
Er ist ganz schnell auch gestorben. Ihr Tod hat ihm seine Überlebenskraft geraubt. Als er am Herz operiert wurde, ist er aus der Narkose nicht wieder aufgewacht. Ich sage immer: Das Herz ist ihm dann halt gebrochen.

Sie haben in vier Jahren Vater, Mutter, Tochter und Kindsvater verloren. Wie überlebt man das?
Der Grund, selber am Leben zu bleiben, war der Ignaz. Dieses 15-jährige Kind hatte keine Familie. Der hatte nur die Oma. Obwohl ich vor dem Gesetz seine Mutter bin, sagt er zu mir »Oma«. Das war eine unglaubliche Pflicht. Und ich hatte den Vorzug, dass ich mitten in einer CD-Produktion steckte. Die Aufnahmen habe ich zu Ende geführt. Und ich war mitten im Schreiben eines Romans, der schon vor Annas Tod den Titel hatte: Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation? In diesem Buch habe ich ihren Tod in veränderter Form nacherzählt.

Singen und Schreiben als Therapie: Funktioniert das wirklich?
Ich war wie in einem Glassarg, aber am Schreibtisch und im Studio konnte ich meine Trauer durchwandern und verwandeln. Ansonsten tat ich, was der Tag von mir verlangte, und sagte keine Termine ab. Ich war in diesen Wochen grauenvoll gesund. Rundum tobte eine Grippewelle, ich blieb tödlich gesund. Ich war ein bisschen tot. Wenn man sich dann nicht die Kugel gibt, greift irgendwann das Leben wieder nach einem, einfach das Leben: Man geht jeden Morgen ins Badezimmer, plötzlich merkt man, dass einem was schmeckt, plötzlich hört man sich sogar lachen. Während man noch hinterhersterben möchte, lebt man bereits wieder.

Träumen Sie von Anna?
Gar nicht so oft. Sie ist eher eine Realität für mich. Ich habe sie ganz vor mir. Wie sie lacht, wie sie schaut, wie ihre Hände sind. Ich rede mit der Anna, und in meinem Tagebuch bespreche ich vieles mit ihr. Ich führe seit fünfzig Jahren mit einem Federhalter Tagebuch und bin jetzt bei Band 106. Dieser tägliche zweistündige Dialog mit mir selbst hat mir nach Annas Tod sehr geholfen. »Niederschreiben« heißt ja auch: den Schmerz nehmen und ihn niederschreiben.

Wie stark war Ihr Selbstmitleid?
Im Schmerz ist für Sentimentalität kein Platz. Nur Wehwehchen machen sentimental. Beim Äußersten an Leid hören die Schnörkel auf. Wenn man nicht seelisch krepieren will, muss man in die tiefste Tiefe des Schmerzes hinabtauchen und sich irgendwann mit beiden Beinen vom Grund abstoßen.

Sie haben mit Anna und Ignaz unter einem Dach gelebt. Das Innere Ihrer von wildem Wein überwucherten Villa im Wiener Bezirk Grinzing wirkt heute wie das Bühnenbild einer Tschechow-Inszenierung. Haben Sie mal überlegt auszuziehen?
Nein, um Gottes willen, dieses Haus enthält alles, was ich an Freude und Schmerz erlebt habe. Eine andere Umgebung würde meinen Schmerz unerträglich machen. Ich möchte hier auch sterben. Dieses »Zieh doch woanders hin« finde ich einen blöden Ratschlag. Verluste zu vergessen, um weiterleben zu können, ist grober Unfug mit sich selbst. Es führt dazu, dass man die tiefste Trauer nie ablegen kann. Ich will die Anna doch vor mir haben – auch wenn es schmerzt.

Suchen Sie die Nähe von Menschen, die eine ähnliche Tragödie erlitten haben?
Nein. Ich bin ein Einzelgänger, der seine Grundtrauer allein durchwandert und lieber zu den Bäumen als zu den Menschen geht. Eine Ausnahme ist meine ältere Schwester, die auch ihre Tochter verloren hat. Die war 17. Unsere beiden Mädchen liegen in einem Grab. Wir sitzen am Grabesrand und plaudern gemütlich. Wir wissen Bescheid über unseren Schmerz, wir brauchen nicht viel über unsere Schicksalsschläge zu reden, wie sie so schön heißen.

Er hätte sich so gern mit mir gemeinsam getötet


Die Schauspielerin kurz vor ihrem 70. Geburtstag im Jahr 2009.

Ihr Adoptivsohn Ignaz lebt im Anbau Ihrer Villa, in dem Anna starb. Wie kam er mit dem Tod seiner Ziehmutter zurecht?
Von sich aus spricht er selten über seine Ma. Als er nach ihrem Tod sehr traumatisiert war, habe ich einen berühmten Kinderpsychologen aufgesucht, aber der hat so einen Blödsinn dahergeredet, dass Igi und ich einen Pakt geschlossen haben: Wir regeln das unter uns, nur wir zwei. Dass aus ihm ein offener, liebenswürdiger junger Mann geworden ist, ist nicht mein Verdienst. Das hat die Anna in ihm angelegt.

Ihr zweiter Ehemann war André Heller, mit dem Sie Anfang der Siebziger das glamouröseste Künstlerpaar Österreichs bildeten. Er sagt: »Die von meiner Hybris diktierte Herausforderung war, den größten und begehrenswertesten weiblichen Superstar des Landes zu erobern: Erika Pluhar. Sie war acht Jahre älter als ich – und dann hat mich diese schwierige Schönheit tatsächlich geheiratet. Ich dachte: Anything goes!«
Ich hatte ein Kind geheiratet! Er belog mich beim Kennenlernen und machte sich viel älter. Erst als ich das Aufgebot bestellte, erfuhr ich, dass er gerade mal 22 war. Seine Jugend war aber niemals etwas, was zwischen uns stand. Er kommt mir heute noch viel älter vor als ich. Er war und ist ein Mensch, der einen verbal kriegt. Jetzt ist er ja richtig schön, ein stattlicher Mann, aber damals war er zum Umblasen dünn, mit so wegstehenden schwarzen Haaren. Weil er ein kleines Vermögen geerbt hatte, benahm er sich wie ein reicher Schnösel. Aber trotzdem kam er gut an. Ähnlich wie beim Udo Proksch faszinierte mich dieses Erfindungsreiche und ein bisschen Fantastische. Damit hat er mich erobert. Unsere kurze Ehezeit war dann mit sehr vielen Trennungen verbunden.

Als André Heller bei Ihnen einzog, parkte Proksch sein Auto vor Ihrer Tür, hievte einen Lautsprecher aufs Dach und rief ins Mikrofon: »Herr Heller, verlassen Sie sofort das Haus!«
Der Udo wollte mich natürlich ganz gern wieder zurückgewinnen – aber da war ich eisern.

Sie sagen über Ihre Ehemänner: »Beide waren vom Männlichkeitswahn verkrüppelte Menschen. Offenbar war ich auf der Suche nach dem wirklich Männlichen.« War Heller ein Macho?
Klar war er ein Macho – nur halt ein sehr wehleidiger. Ich habe hautnah miterlebt, wie er etwas wurde, was man sich heute bei ihm gar nicht mehr vorstellen kann: ein Bürgerschreck, der sich ständig selber herausfordert. Die öffentlichen Figuren, auf die er losging, reichten von Peter Alexander bis zu meinem Burgtheater-Direktor. Unter den Skandalen, die er auslöste, hat er sehr gelitten. Bei uns zu Hause fürchtete er sich vor seiner eigenen Courage. Er war heilfroh, als man ihn später endlich mochte und bewunderte. Ich war dem Heller gegenüber nie unkritisch, aber er hat menschlich sehr an sich gearbeitet. Nach dem Tod meiner Tochter war er der Mensch, der wirklich an meiner Seite war. Viele gute Freunde liefen weg, weil sie nicht wussten, wie sie mit mir nach so einem Unglück umgehen sollten. Die konnten eine Erika ohne Anna nicht ertragen. Dass der Heller ganz da war, vergesse ich bis zu meinem letzten Atemzug nicht.

Die dritte und letzte große Liebe Ihres Lebens war der Schauspieler Peter Vogel, der mit Ihrer Burgtheater-Kollegin Gertraud Jesserer zwei Kinder hatte.
Die Traudl Jesserer war dann mit dem Heller zusammen. »Partnertausch« nannten das die Medien. Mit dem Peter hatte ich eine sehr, sehr schöne Beziehung. Er war der erste Mann, der zu mir sagte: »Erika, ich habe es gern, wenn die Frauen grau werden.« Wenn einem das ein liebender Mensch sagt, hört man mit der Färberei sofort auf.

Vogel war suchtkrank.
Ja. Es gab den Alkohol, und es gab die Medikamente, die er sich injizierte. Deshalb konnte er sich so gut mit einer Spritze töten. Ich habe unzählige Entzüge mit ihm mitgemacht, aber er ist immer wieder in die Sucht zurückgefallen. Er war ein wirklich schöner und gescheiter Mann, begabt und geliebt. Wie er so ganz desolat war, habe ich bei mir überhaupt erst entdeckt, was es heißt, jemanden zu lieben in seiner Zerbrochenheit, Hinfälligkeit, gar nicht mehr der glanzvolle, fesche, herrliche Mann. Da setzt Liebe ein, finde ich.

Was war Vogels Problem?
Sein Unglück war unter anderem, dass er zu spät erkannt hat, dass sein Weg die Musik gewesen wäre. Am Tag seines Todes haben wir noch telefoniert und Pläne gemacht. Dann hat er die Entzugsklinik verlassen und sich in einer Wiener Pension mit einer Injektion getötet. Er hat oft versucht, mir zu erklären, warum seine Angst vor dem Leben größer ist als die Angst vor dem Tod. Er hätte sich so gern mit mir gemeinsam getötet.

Nach Vogels Suizid ist Ihr Privatleben aus der Balkenpresse verschwunden.
Sein Tod hat mein Leben sehr, sehr verändert. Als er 1978 mit 42 starb, war ich 40. Ich habe dann nie mehr Tisch und Bett geteilt mit einem Mann. Es gab Beziehungen, aber keine eheähnlichen intimen Gemeinsamkeiten. Ich brauche Abstand. Die dauernde Nähe eines anderen Menschen würde mich krampfig machen und nach Luft schnappen lassen.

Allein zu sein und schweigen zu können sind schwindende Fähigkeiten.
Als kleines Kind habe ich mich in Brombeerhecken verkrochen und war glücklich, dass ich da so allein war. Dieser große Sinn fürs Einsamsein hat mich schon immer bewohnt. Meine wahre Lebenskonzentration finde ich im Rückzug.

Wer gegen das Altern ankämpft, altert bloß, ohne zu reifen.

Mord, Sucht, Suizid: Werden Sie schlau aus sich, wenn Sie auf Ihre Männer zurückblicken?
Dass meine Beziehungen nicht geglückt sind, hat natürlich auch mit mir zu tun. Man ist schon auch der Auslöser dessen, was einem widerfährt. Dass ich mit Suchtcharakteren zusammen war, wird wohl kein Zufall gewesen sein. Ich war ja auch suchtkrank. Magersucht ist eine Art Todestrieb. Man weiß sehr genau, dass man sich selber zerstört, kriegt aber trotzdem keinen Bissen hinunter.

1985 notierten Sie in Ihr Tagebuch: »Es graut mir vor der Bühne. Ich komme vor Ekel um.« Was löste Ihre Krise aus?
Ich war 40 Jahre lang am Burgtheater und habe wohl fast 3000 Vorstellungen gespielt. Nachträglich weiß ich, dass ich nie der prototypische Schauspielermensch war. In Kritiken wurde mir oft vorgeworfen, ich sei immer ich selber. Das stimmt auch, ich hatte nie diese Lust, mich von mir zu entfernen und in eine andere Gestalt zu klettern. Ich fand es schöner, in einer Figur neue Facetten von mir selbst zu entdecken, statt vor lauter Rollen nicht mehr vorhanden zu sein. Sich auf der Probe anfetzen, dass man schreien und heulen muss, war auch nie meines. Weil sich das Gefühl von Fron einstellte, bin ich ausgebüxt.

Sie begannen, Romane zu schreiben und eigene Lieder zu singen. André Heller sagt über das Timbre Ihrer Stimme: »Hätte die Pluhar nicht darauf bestanden, ausschließlich eigene Lieder zu singen, hätte sie als Sängerin eine Weltkarriere gemacht.«
Das Lob meiner Stimme begleitet mein Leben und ist mir nicht unangenehm. Aber diese Sucht, unbedingt eine sogenannte Weltkarriere anzustreben, war mir seit jeher fremd. Mein gesanglicher Weg ist mir nach zwanzig CDs erfolgreich genug. Es gibt reichlich Menschen, die meine eigenen Lieder lieben – und nicht die einer zweiten Marlene Dietrich. Die gab’s ja schon.

Die alte Marlene Dietrich verhüllte in ihrem Pariser Apartment die Spiegel. Was empfinden Sie heute beim Blick in den Spiegel?
Natürlich nehme ich das Welkwerden wahr, und es braucht ein bissel, bis mein inneres Empfinden sich in der alt gewordenen Frau wiedererkennt, die mich im Spiegel anschaut. Aber Schönheitsoperationen machen alles nur schlimmer. Sich das Alter mit dem Skalpell entfernen zu lassen ist eine Entwürdigung des Älterwerdens. Wer gegen das Altern ankämpft, altert bloß, ohne zu reifen. Ich habe bei Menschen nie nach Schönheit Ausschau gehalten. Etwas Kühnes tun oder ein bissel Leben hinter sich bringen: Dann kann aus einem Gesicht was werden. Vielleicht ist es auch gescheiter, sich nicht makellos zu fühlen. Solche Menschen tendieren zur Oberflächlichkeit.

Altert auch das Glück?
Mit diesem Wort hab ich wenig am Hut, aber wenn schon, dann beschert mir heute die Natur die stärksten Glückserfahrungen, der Atlantik in Portugal zum Beispiel.

Wie verbringen Sie Ihre Abende?
Ich schaue mir Filme im Fernsehen an, manchmal vier hintereinander. Ich bewundere die alten Frauen vergangener Jahrhunderte, die abends gestickt haben und das Pendel der Uhr hörten. Wir haben es schon ganz gut mit dem Fernsehen.

Die 94-jährige Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich sagt: »Die Libido erlischt erst ganz in unserer Sterbesekunde. Ich habe ein mildes Verhältnis zu meinen sexuellen Fantasien und sage mir, ach, mein Kind, du bist halt ein wenig zu alt, um das noch in die Tat umzusetzen.«
Frau Mitscherlich hat recht. Es ist ein Irrglaube, dass sexuelle Fantasien im Alter verschwinden. Eine Freundin von mir arbeitet in einem geriatrischen Zentrum. Da treiben fast Hundertjährige es noch miteinander in irgendeiner Form. Auch ich empfinde nach wie vor erotisch, nur die Liebesgeschichten, die sind mir zu blöd geworden. Ich verstehe gar nicht mehr, dass mir die Komplikationen mit Männern mal so wichtig waren. Da hätte ich mir einiges an sinnlosen Agonien und Selbstaufgaben ersparen sollen. Zu jemandem zu gehören; mir sicher zu sein, geliebt zu werden; mich in den Armen eines Mannes geborgen zu fühlen, ein ewiges Paar zu sein: Rückblickend schüttele ich über solche Sehnsüchte den Kopf, weil ich weiß, dass es das letztlich nicht gibt.

In der Bibel gibt es das Wort »lebenssatt«. Haben Sie diesen Zustand erreicht?
Ich denke öfter: Jetzt reicht’s, ich mag nicht mehr! Aber dann sagt eine Stimme in mir: Wie kokett von dir. Du willst doch noch gar nicht sterben.

Gibt es Tage, an denen Sie nicht an den Tod denken?
Ich glaube, nein. Am gefährlichsten sind die ersten dreißig Minuten am Morgen, weil man mit dem Gefühl aufwacht: Was willst du diesem Leben noch abgewinnen? Deine Liebsten sind gegangen, und die Zukunft ist nicht mehr da. Nichts mehr nötigt dich zu bleiben. Du gehörst nur noch dem Warten auf den Tod. In diesen Momenten muss ich wirklich um meine Lebenskraft kämpfen.

Haben Sie Frieden mit sich geschlossen?
Eine gewisse Schrulle bin ich schon, aber ich habe mich recht gern gewonnen. Ich finde mich oft blöd, ja, aber mit aller Zuneigung.

Zur Person:
Wenn jemand nach vierzig Berufsjahren seinen Abschied vom Theater erklärt, winken meist nur noch ein Memoirenvertrag und Auftritte im ZDF-Fernsehgarten. Erika Pluhar, 72, gelang eine Folgekarriere als Chansonsängerin und Romanautorin. Zum Star des Wiener Burgtheaters wurde sie in den Sechzigern durch ihre Schnitzler- und Strindberg-Rollen, ihre Filmkarriere begann 1968 mit Helmut Käutners Bel Ami. Ende der Siebziger gehörte die Wienerin zu den Frauen, die den Stern wegen sexistischer Titelblätter verklagten. »Ich galt als schreckliche Emanze«, sagt sie. »Wenn ich in einen Raum kam, haben Ehemänner ihre Frauen an sich gerissen, damit sie nicht mit mir in Kontakt gerieten.«
1962 heiratete Erika Pluhar Udo Proksch, einen kleinen Mann mit klobigem Gesicht, dem die Frauen hinterherliefen, wie sie sagt. Proksch war Wiener Gesellschaftslöwe, Alkoholiker, Macho. Um Geld von der Versicherung zu kassieren, ließ er einen Frachter in die Luft sprengen. Wegen Mordes an sechs Seeleuten wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.
1970 heiratet Erika Pluhar André Heller. Mit 19 Jahren hatte der sein Erbteil aus der Schokoladenfabrik Heller für einen Film verpulvert, der niemals in die Kinos kam, ihm aber die Gelegenheit gab, Erika Pluhar vorgestellt zu werden. Heller ist österreichischer Chansonnier, Aktionskünstler, Autor und Schauspieler.
Für ihre dritte Liebe, den Schauspieler Peter Vogel, verließ Erika Pluhar André Heller 1973. Vogels Frau Gertraud Jesserer wiederum zog bei Heller ein. Die Beziehung zu Vogel schildert Erika Pluhar als sehr beglückend, aber viel zu kurz. Vogel war suchtkrank und setzte seinem Leben 1978 mit einer tödlichen Spritze selbst ein Ende.

Fotos: Peter Rigaud (1)/ DPA (3)