Ich finde Angelina Jolie nicht doll. Auch nicht blöd, im Grunde ist sie mir egal. Außer, wenn ein Mann über sie herzieht – dann höre ich mir wie einer Fremden zu, weil ich glühend jeden Punkt verteidige, an dem sie angegriffen wird. Vorwurf: Sie hetze ihre Kinder um den Globus. Verteidigung: »Schadet es ihnen wirklich, oder findest du bloß, ein Kind muss immer im selben Bett im Reihenhaus schlafen, so wie deins?« Vorwurf: öffentliche Inszenierung ihrer Brustamputation. Verteidigung: »Kann vielen Frauen helfen, dieses Thema weniger zu tabuisieren.« Vorwurf: Ihr schauspielerisches Können sei mau. Verteidigung: »Immerhin hat sie einen Oscar.« Und so weiter. Warum mache ich das? Weil ein Mann Angelina Jolie angreift; weil ich, indem ich sie verteidige, stellvertretend alle Frauen mit verteidige; weil ich – das ist vielleicht das Beschämendste – ja damit auch mich selbst verteidige; weil ich einem Mann nicht erlauben will zu urteilen, ohne begriffen zu haben, dass Frauen manchmal anders ticken als Männer. Sollte im Jahr 2015 nicht jeder Mensch Angelina Jolie kritisieren können, ohne sich irgendwie verdächtig zu machen? Ja. Unbedingt.
Und nein: Auf keinen Fall. Die Sache ist immer noch viel zu komplex, um sie zu beerdigen. Mal angenommen, eine Frau kritisierte in meiner Gegenwart Angelina Jolie: Völlig egal, ob ich der Frau zustimmen oder Jolie verteidigen würde, immer wäre das ein Fall für die Stempel »Zickenkrieg« und »stutenbissig«. Aufgedrückt von Frauen wie von Männern. Eine Frau darf nicht über eine andere Frau herziehen: mangelnde Solidarität, finden Frauen. Und was Männer finden, bringt die Autorin im feministischen »makellosblog« (Unterzeile »die Blog, fem.«) auf den Punkt: »Im Gegensatz zum Kampf unter Männern, der immer ein ordentlicher Machtkampf ist, ist der Zickenkrieg lächerlich. Zickenkriege amüsieren. Und machen Frauen und ihre Meinung klein.« Und genau daraus speist sich der Reflex, eine Frau auch dann einem Mann gegenüber zu verteidigen, wenn man sie nur durchschnittlich findet. Es wäre schön, wenn diese Haltung von gestern wäre. Ist sie aber leider nicht: Im Juni wurde eine Frau aus Düsseldorf zu einer Geldstrafe von 200 Euro verdonnert, weil sie einen Polizisten »Du Mädchen« nannte. Erstens: Wieso beschimpft sie ihn als Mädchen? Zweitens: Wieso zeigt er sie deswegen an? Drittens: Warum bestätigt das Gericht, dass Mädchen ein Schimpfwort ist?
Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob mein Reflex auch dann funktionierte, wenn ein Mann über Heidi Klum herzöge.
Illustration: Brecht Evens