Margarita Broich, Schauspielerin und Frankfurter »Tatort«-Kommissarin, drei Kinder, 25, 24 und 16
Als Neunjährige fuhr ich mit dem Autoscooter gegen eine Wand und brach mir meinen neuen Schneidezahn ab. Meine Mutter hat sich wahnsinnig aufgeregt. Ich fand es zunächst gar nicht so schlimm, aber meine Mutter quälte mich über Jahre mit dem Satz, die Zähne seien die Perlen im Gesicht. Als ich selbst Mutter war, habe ich eine ähnliche Hysterie entwickelt und meine Kinder mit Zähneputzen und Arztbesuchen gequält. Auch die allgemeine Angst meiner Mutter habe ich leider weitergegeben. Überhaupt verstehe ich das Wort Angst erst, seit ich Kinder habe. Ich hatte Panikattacken, wenn meine Jungs zu lange wegblieben. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass einer meiner Söhne nicht nach Hause kommt. Es gab Zeiten, da fand ich mich nachts hinter einer Berliner Litfaßsäule wieder, um sicher zu sein, dass mein 15-jähriger Sohn gut aus der Disco nach Hause findet. Jämmerlich, aber irgendwie auch lustig.
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Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, zwei Kinder, 27 und 25
Wenn ich als Kind zu meiner Mutter gesagt habe, ich hätte keine Lust, mein Zimmer aufzuräumen oder spazieren zu gehen, sagte sie immer: »Dann machst du es eben ohne Lust.« Ich fand das total gemein, weil man auf diesen Satz nichts mehr erwidern kann. Trotzdem habe ich diese Methode bei meinen Kindern angewendet, inzwischen sogar bei meinen Enkelkindern. Als mir klar wurde, dass ich es genauso mache wie meine Mutter, habe ich sofort überlegt, was ich sonst noch von ihr übernommen habe. Ich war zu meinen Kindern aber nicht ganz so streng, sondern habe diesen Satz mit einem Augenzwinkern gesagt. Seine Wirkung spüre ich an mir bis heute: Muss ich beispielsweise die Wohnung aufräumen und habe keine Lust, sagt eine Stimme in mir, okay, dann machst du es eben ohne Lust.
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Margot Käßmann, evangelische Theologin, vier Kinder, 34, 30, 30 und 25
Meine Mutter war berufstätig, wie ich heute. In den Ferien, wenn wir später aufstanden als sie, lagen bei uns immer Zettel auf dem Frühstückstisch: Waschbecken sauber machen, Wäsche aufhängen. Solche Dinge. Das hat uns Kinder genervt, wir wollten ausschlafen, lesen, schwimmen gehen. Ich mochte es nicht, morgens mit einer Aufgabe begrüßt zu werden. Tatsächlich habe ich das aber mit den Zetteln genauso gemacht. Für berufstätige Mütter ist es schwer, mit den Ferien der Kinder umzugehen. Irgendwann sagte meine Tochter zu mir: »Mama, musstest du mir jetzt schon wieder einen Zettel hinlegen?« Da musste ich über mich lachen. Ich denke aber, bei uns war das auch lustig, weil meine Kinder mir Aufträge zurückgeschrieben haben: Mama, kannst du mir einen Zahnarzttermin ausmachen? Ich habe inzwischen eine ganze Schachtel mit Zetteln gesammelt. Zu Weihnachten habe ich sie alle eingescannt, ein Fotobuch damit gefüllt und allen eins geschenkt, als Erinnerung.
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Marlene Streeruwitz, Schriftstellerin, zwei Kinder, 41 und 40
Sind das nicht die wirklich wichtigen Augenblicke. Ist es nicht eine Art Riss aus der Kette dumpfer Mutterschaft, wenn wir aus der Routine herausfallen und uns selbst als unsere Mütter sehen müssen. Ganz kurz. Zuerst kommt ja die aggressive Gegenwehr. »Ich mache doch alles ganz ganz anders.« Ich hatte meine kleinere Tochter gezwungen, einen Wollpullover anzuziehen, den ich wollte und sie hasste. Wie meine Mutter es mit mir gemacht hatte. Meine Situation wäre so anders als die meiner Mutter, sagte ich mir. Das wäre alles nicht vergleichbar. Und dann aber doch. Siedend heiß die Erkenntnis. »Das ist ganz genau so wie bei meiner Mutter. Ich mache es gar nicht anders.« Die Scham. Das Gestehenmüssen, die Ideale wieder nicht erreicht zu haben. Ideale sind das, die mit dem Muttersein aus der Kultur mitgeliefert kommen. Ideale, die in alle Richtungen gedreht werden können und nie etwas richtig sein lassen. Alles überschattend ist das. Aufgetragene Entwertung. Aber dann. Erst dieser Blick auf sich selbst als Mutter in der Nachfolge wiederum der eigenen Mutter ermöglicht diesen Schritt weg. Ermöglicht, sich von der eigenen Mutter zu befreien. Ermöglicht, die vorgegebenen und vorgeschriebenen Wege zu sehen. Und zu verlassen. Und. Von da weg diese besondere Mutter für dieses besondere Kind sein zu können. Und. Die eigene Mutter könnte verstanden werden. Irgendwie. Aber das alles geht eben immer nur irgendwie und gut genug ist da das Beste.
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Magdalena Neuner, frühere Biathletin, zwei Kinder, 2 Jahre und 4 Monate
Den Klassiker, dieses Im-Gesicht-Herumwischen und Zuvor-noch-auf-das-Taschentuch-Spucken, hat meine Mutter oft bei mir gemacht. Ich fand das als Kind ganz schlimm, ich glaube, alle Kinder finden das schlimm. Und natürlich habe ich mich auch schon dabei erwischt, wie ich mit meiner Spucke den Mund meines Kindes sauber gemacht habe. Immerhin habe ich es gemerkt, ich dachte, oh Gott, und musste schmunzeln. Aber ich weiß nicht, wie viele Dinge ich tue, die ich selbst nicht mochte und die mir gar nicht auffallen.
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Verona Pooth, Moderatorin, zwei Kinder, 13 und 5
Meine Mamita hat meine alten Spielsachen hübsch hergerichtet, zum Beispiel meinen Puppen neue Kleider genäht und Schühchen gestrickt und sie dann anderen Kindern geschenkt. Sie sagte: »Es gibt viele Kinder, die gar keine Spielsachen haben.« Mir war als Kind oft unangenehm, dass sie gebrauchte Sachen weitergab. In unserer Siedlung in Hamburg war sie bei den Kindern sehr beliebt. Jetzt, vierzig Jahre später, verschenke ich die alten Spielsachen meiner Jungs Diego und Roccolito auch weiter. Wir päppeln die Sachen auch auf. Für meine Jungs ist das zum Glück vollkommen okay.
Illustrationen: Roman Muradov