V – Vietnamesische Minze

Das Kraut ist eine Pest, eine Landplage, eine Gefahr – meinen Heimatschützer in den USA und Europa. Nicht ganz zu Unrecht, denn »Elsholtzia ciliata«, vietnamesische Melisse oder »Rau kinh gioi«, wuchert von Asien aus über die ganze Welt. Ob auf Meereshöhe oder im Hochgebirge, die Melisse passt sich jedem Mikroklima an, verändert dabei jedes Mal ein wenig ihr Aussehen, so dass die Liste ihrer Alias-Namen jedem Geheimagenten zur Ehre gereichen würde. Bei uns firmiert die Pflanze unter dem Namen Kamm-Minze, meine Mutter meint, sie auf sonnigen Schutthalden schon gesichtet zu haben.
In Vietnam gilt die Elsholtzia nicht als Un-, sondern als edles Küchenkraut. Das sagt viel aus über diese Küche. Trang Bang, ein Dorf nahe Ho-Chi-Minh-Stadt, ist bekannt für seine vielen verschiedenen Wildkräuter. Huu Doan führt dort ein kleines Restaurant, in dem er Glücksrollen und Suppe mit all diesen Kräutern anbietet. Er beschreibt den Kern der vietnamesischen Küche: »Erst wurden wir tausend Jahre von Chinesen beherrscht, dann kamen die Franzosen und zuletzt der amerikanische Krieg. Alle haben unsere Küche beeinflusst, aber wir waren meistens so arm, dass wir essen mussten, was in unseren Wäldern wächst.« Das Ergebnis dieser Mischung ist die subtilste Küche Asiens, zu fast jedem Gericht reichen vietnamesische Köche einen Teller mit einem Berg von frischen Kräutern, die sich der Gast nach und nach über sein Gericht streut.
Viele dieser Kräuter kommen jede Woche frisch in unsere Asienläden, auch mein vietnamesisches Lieblingskraut ist meist dabei. Das Aroma der vietnamesischen Melisse ist frisch und zitronig, mit Anklängen an exotische Trockengewürze wie Kreuzkümmel oder Zimt. Sie können das Kraut kaum falsch kombinieren, sein Duft ist kräftig, aber selten dominant. Die leuchtend grünen Blätter sind oval mit einer Spitze, gezackten Blatträndern und tief eingekerbten Blattadern. Bei der Suche nach Rau kinh gioi, nach Rau ram, dem leicht pfeffrigen vietnamesischen Nationalkraut, oder anderen vietnamesischen Kräutern ist es nicht schlimm, wenn Sie mal das Falsche erwischen: So wie Vietnamesen die Kräuter vom Beilagenteller frei kombinieren, können Sie das natürlich auch tun.
FLEISCHPFLANZERL AUS HANOI
250 g Reisnudeln (Bun) nach Packungsanweisung kochen, abgießen, abschrecken. 1 Gurke schälen, längs vierteln, Kerne entfernen, Fruchtfleisch dünn schneiden. 100 g Sojasprossen waschen. Dip: 1 Knoblauchzehe schälen, 1 Chilischote schneiden, mit Knoblauch, 1 TL Zucker im Mörser zerreiben. 100 g Erdnüsse im Blitzhacker fein mahlen, mit 1 EL ÖL nur 5–6 Min. rösten, nach 3 Min. Würzpaste zugeben. 250 ml Hühnerbrühe, 5 EL Kokosmilch, 2 EL Fischsauce zugeben, bei milder Hitze 10 Min. köcheln. Pflanzerl: 600 g Schweinehack mit je 2 Geschnittenen Frühlingszwiebeln und Thai-Schalotten, 1 EL Fischsauce, 2 TL braunem Zucker, Salz und Pfeffer würzen. Kleine, flache Frikadellen formen und mit 2 EL ÖL grillen oder braten. In Schälchen anrichten und mit Vietnamesischer Melisse, Gurke und Sojasprossen servieren.