Menschen, Tiere, Aggressionen

Und plötzlich gehen zwei Zirkusfamilien mit Waffen aufeinander los. Warum nur? Unterwegs in einer Welt, in der das Überleben zum Kampf geworden ist.


Sie kamen mit Baseballschlägern und Pumpguns, 18 Mann, mindestens, in der Abenddämmerung. Das war ein Überfall, kein Friedensangebot unter Zirkusleuten, Helmut Brumbach, 44 Jahre alt und damit 44 Jahre im Geschäft, ist sich da sicher. »Die wollten nicht reden«, raunt er und steckt sich die zweite Zigarette in zehn Minuten an. »Ich hab gesagt: ›Legt die Waffen weg, dann kämpfen wir‹.« Helmut Brumbach ist keiner, der sich versteckt. Er springt aus dem Sessel auf, tänzelt wie ein Boxer, spannt die Bauchmuskeln – er hat an diesem Morgen im Mai nur eine bayerische Lederhose und eine Lederweste über dem nackten, durchtrainierten Oberkörper an. »Die haben zu fünft mit Knüppeln auf mich eingeschlagen, zwanzig-, dreißigmal haben die mir auf den Kopf gehauen.« Er beugt sich über den Tisch, zieht seine Haare am Scheitel auseinander. »Seht ihr die Narbe?!« Dann lässt er sich zurück in den Sessel plumpsen und schaufelt drei Löffel Zucker in seinen Kaffee.

Helmut Brumbach ist Zirkusdirektor. Seit mehr als zwanzig Jahren reist er mit seiner Frau Manuela durch Deutschland, die meiste Zeit im Landkreis Regensburg. Ein Familienzirkus, wie ihn jeder aus der Kindheit kennt, wenn auf der Wiese hinter dem Fußballplatz plötzlich ein rotweiß gestreiftes Zelt stand, wenn es nach Pferdemist und Abenteuern roch, weil auch den Drei Fragezeichen und den Fünf Freunden immer ein Abenteuer bevorstand, sobald der Zirkus in der Stadt war. Dass Kimba, der weiße gehörnte Löwe, sich in der Manege als Ziege entpuppte, störte damals nicht. Zirkus – das war wie Kirmes, Kino und Streichelzoobesuch zugleich. Spätestens als man Skateboard fuhr und die ersten Zigaretten probierte, war der Zirkus dann egal. Für Helmut Brumbach ist der Zirkus alles.

Mit drei Jahren stand er zum ersten Mal in der Manege, er stammt aus einer Zirkusdynastie. Die Geschichte der Zirkusleute Brumbach reicht bis ins Jahr 1846 zurück. Anfang des 20. Jahrhunderts schaffte es eine Katharina Brumbach als »stärkste Frau der Welt« bis nach New York. In Varieté-Shows verbog sie Eisenstangen und trug drei Männer gleichzeitig auf einem Tablett spazieren. Helmut Brumbach hat seinen eigenen Zirkus mit 18 Jahren aufgemacht. Nur er, seine Frau Manuela und die vier Kinder treten auf, sie müssen alles sein: Clowns, Artisten, Popcornverkäufer, Kartenabreißer. Sie können auch nur das. Helmut Brumbach hat keine Ausbildung, nur einen Hauptschulabschluss und noch nie einen festen Wohnsitz besessen. Er wurde im Zirkus geboren und möchte im Zirkus sterben, aber nun hat ihm diese Familie Renz aus Hamburg alles kaputtgemacht. So sieht er das.

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»Zirkuskrieg« hatten die Zeitungen in Regensburg getitelt, nachdem am 18. April die Zirkusfamilien Brumbach und Renz aufeinander losgegangen waren. Eine Massenschlägerei, ein Revierkampf vermutlich. Mindestens ein Schuss ist gefallen, der einem aus dem Renz-Clan durch den linken Unterschenkel gedrungen ist. Bei Helmut Brumbach musste eine fünf Zentimeter lange Platzwunde am Kopf genäht werden. Seine Version des Zirkuskriegs geht so: Von einem Bauern habe er die Genehmigung bekommen, auf einer Wiese im Regensburger Stadtteil Burgweinting zu spielen. Kurz bevor er dorthin aufbrechen wollte, hätten ihn die Renzes angerufen: Das sei ihr Platz. Als er sich geweigert hatte, klein beizugeben, hätten die Renzes gedroht: »Jetzt kommen die Preußen und hauen die Bayern platt.« Dann seien sie angerückt, ein bewaffneter Schlägertrupp. »Es war Osterzeit und ein Osterwunder, dass ich überlebt habe«, schwört Helmut Brumbach und zündet sich die vierte Zigarette an. Der Zirkuschef ist einer, der gern übertreibt. »Unsere Westernshow ist weltberühmt«, sagt er. »Ich werfe über hundert Messer in der Minute.«

Im nächsten Moment steht er draußen in der Sonne und schaut auf seinen Zirkus, mit dem er jetzt eigentlich Geld verdienen sollte. Doch die weißen Holzwaggons mit den clownnasenroten »Circus Brumbach«-Schriftzügen sehen aus, als würden sie nur noch auf ihre Verschrottung warten: dicht aneinandergedrängt wie auf einem Parkplatz, viele Reifen platt, in den Schlaglöchern modert braunes Wasser. »Dieser Platz ist eine Falle«, sagt Brumbach. Viel zu klein für die 24 Wagen, drei Pferde, vier Ponys und vier Ziegen – für das Zirkuszelt sowieso; außerdem viel zu laut mit der Ausfahrtsstraße B8 und dem Schrotthändler nebenan. Die Stadt Regensburg hat ihm das Gelände kostenlos als Winterquartier zur Verfügung gestellt, im November. Jetzt ist es Mai. Die vergangenen Monate waren eine besonders harte Zeit für die Brumbachs.

Alles fing damit an, dass im Juli 2010 bei einem Sommergewitter das Stallzelt umgeweht wurde und die Plane einriss. Dann bekamen sie Ärger mit der Polizei, weil sie ein leer stehendes Schlachthofgebäude besetzt hatten. Ein Mann soll ihnen die Genehmigung erteilt haben, dort während der Winterpause zu kampieren, doch die Stadt Regensburg, der das Gelände gehört, wusste nichts davon und verständigte die Polizei. Die Brumbachs zogen weiter zum Platz an der B8. In den ersten Tagen gab es dort noch keinen Starkstromanschluss, also zapfte Helmut Strom vom benachbarten Schrotthändler ab. Irgendwann sprang die Sicherung raus, es war eine kalte Novembernacht, am nächsten Morgen war die gelbe Tigerpython im Terrarium erfroren. Die Tierschutzorganisation PETA stellte die Zeitungsmeldung über die tote Schlange auf ihre Internetseite, zusammen mit anderen Artikeln, in denen berichtet wird, dass die Brumbachs kaum Geld für Tierfutter hätten. »Aber siehst du hier irgendwo ein dürres Tier?«, ärgert sich Helmut – für ihn ist jeder »du«. »Meine Pferde sind Top-Viecher.« Dann, im April, folgte die Schlägerei mit den Renzes.

»Die vom Circus Krone wollen nichts mit uns zu tun haben.«

»Die haben meinen Jungen verfolgt, aber der ist klack, klack, klack weggerannt, mit einem Flickflack, die haben ihn nicht gekriegt.« Helmut kann gar nicht aufhören, von dem Tag zu erzählen. Sein älterer Sohn Marlon, 19, kommt mit dem Auto zurück. Er sollte einen Platz finden, auf dem der Zirkus endlich wieder spielen kann. Doch als er in einem Regensburger Möbelhaus gefragt hat, ob sie ihr Zelt auf der Wiese hinter den Geschäftsräumen aufbauen dürften, hat ihn eine junge, picklige Kassiererin bloß angeblafft: »Ein Zirkus? Mit Sicherheit nicht!«

Früher war der Zirkus eine Attraktion, gerade auf dem Land, wo es keine Theater oder Kinos gab. Heute muss er mit Playstation, Internet, Spaßbädern und Flatrate-Partys konkurrieren. Etwa 350 Zirkusse gibt es in Deutschland. An der Spitze steht der Circus Krone, ein Millionen-Euro-Unternehmen mit 400 Mitarbeitern, 250 Tieren, eigener Marketingabteilung und Veranstaltungshalle, dem Krone-Bau in München mit 3000 Sitzplätzen. Zu den Großen der Branche zählen auch der Circus Sarrasani, der Zirkus Charles Knie und der Circus Roncalli, die teilweise wie Eventagenturen geführt werden. Der Circus Roncalli hat nicht mal mehr eigene Artisten, sondern bucht internationale Künstler, die dann für eine oder mehrere Saisons mit auf Tour gehen. Trotz Ticketpreisen von bis zu 49 Euro sind die Vorstellungen ausverkauft – anders als bei vielen anderen Unternehmen: Die meisten sind kleine Familienbetriebe und kommen gerade so über die Runden. Und es werden eher mehr als weniger, weil sich die Zirkusfamilien aufteilen. Auch die drei Brüder von Helmut Brumbach haben eigene Kleinstunternehmen aufgemacht, insgesamt gibt es mehr als zwanzig »Circus Brumbach« und rund ein Dutzend »Zirkus Renz«.

»Das musst du schreiben«, drängt Helmut. »Die Renzes sind eigentlich Top-Familien.« Nur eben diese eine nicht, Martina und Manfred. »Die haben gedroht wiederzukommen. Meine Kinder können nachts nicht mehr schlafen.«

Etwa siebzig Kilometer östlich öffnet Martina Renz nach einem langen Arbeitstag eine Dose Cola. Die massige Frau mit den dunklen Locken und der tiefen Stimme sitzt an einem Plastiktisch neben ihrem Zirkuszelt auf der Festwiese der Gemeinde Teisnach im Bayerischen Wald. Rundherum sind die 15 Zirkuswaggons wie in einer Wagenburg gruppiert. Insgesamt nimmt der Zirkus Renz, der offiziell »Gebrüder Renz« heißt, eine Fläche ein, die so groß ist wie ein Fußballfeld.

Die Chefin Martina Renz scheint das genaue Gegenteil von Helmut Brumbach zu sein: Sie wirkt kühl, spricht überlegt und kommt ohne viele Worte aus. »Cola holen!«, hat sie gerade ihren Bruder Uwe angewiesen. »Sieh nach den Tieren!«, ruft sie ihrem ältesten Sohn Francesco zu, die Renzes haben fünf Pferde, drei Kamele und zwei Lamas. Martina Renz gibt die Befehle so, dass sie nicht unfreundlich klingen.

Die 50-Jährige nennt sich selbst den »Kopf, der hier alles zusammenhält«. Als sie 16 Jahre alt war, verließ sie den Zirkus ihrer Eltern, um mit ihrem damals 19-jährigen Mann, Manfred Renz, auf Tour zu gehen. Seitdem dauert ihre Reise an. Jedes ihrer fünf Kinder ist im Geschäft geblieben. Die zwei ältesten Töchter haben in andere fahrende Unternehmen eingeheiratet – dass die Frau sich dem Mann anschließt, gebietet die Tradition.

Gerade kommt ihr jüngster Sohn Jakob, 18, vom Zettelverteilen zurück. In Zeiten, in denen schon eine Facebook-Nachricht reicht, um Tausende Menschen zu einer Party zu bewegen, zieht Jakob jeden Tag mit Werbeflyern los. Von Postkasten zu Postkasten. Wenigstens ist er heute nicht als »Zigeuner« beschimpft worden, vor allem Jugendliche nennen ihn so. Auch in der Schule musste er sich das oft anhören, jede Woche saß er in einer anderen Klasse, nach dem Hauptschulabschluss hatte er keine Lust mehr.

Der Zirkus Renz gastiert immer von Donnerstag bis Sonntag. Vier Vorstellungen. Danach wird weitergezogen. Die Artisten bringen erst die neun Zirkuswaggons und das Kassenhäuschen zum nächsten Festplatz – die beiden Lkw-Zugmaschinen müssen dafür jeweils fünfmal hin- und herpendeln. Mithilfe von zwei Traktoren richten die Männer dann die vier Zeltmasten auf, zurren die Plane fest und verankern das Zelt, in das 580 Menschen passen, mit eisernen Heringen im Boden. Auf asphaltierten Plätzen brauchen sie dazu einen Presslufthammer. Am Ende des Gastspiels müssen sie die Löcher mit Teer ausbessern, sonst behält die Gemeinde die Kaution ein. In Teisnach mussten die Renzes 500 Euro hinterlegen. Sobald alles steht, fährt Vater Manfred zu den umliegenden Bauernhöfen, um Heu für die Tiere zu besorgen. Und er sieht sich schon mal nach einem Landwirt um, der ihm später die wöchentliche Wagenladung Tierkot abnimmt. Martina tingelt durch die Nachbargemeinden, bis zu 200 Kilometer am Tag, auf der Suche nach Stellplätzen für die nächsten Wochen. Häufig ohne Erfolg.

Es gibt nicht mehr viele Menschen, die sich für den Zirkus interessieren und einsetzen. Einer ist Ernst Fricke, Anwalt und Professor für Verwaltungsrecht in Landshut. »Das fahrende Volk war bei den Gemeinden immer schon unbeliebt«, sagt er. Fricke vertritt Zirkusfamilien in ganz Deutschland. Er prozessierte in München und Heidelberg gegen Wildtierverbote, die er für Willkür hält, »weil viele Gemeindetierärzte nicht einmal den Unterschied zwischen einem Kamel und einem Lama kennen.« Gegen die Stadt Donauwörth klagte er, weil die sich weigerte, einen Zirkus mit Strom und Wasser zu versorgen. Eines der größten Probleme für Zirkusbetreiber sind Städte und Gemeinden, die ihnen das Plakatieren verbieten oder viel Geld dafür verlangen. In Hamburg musste der Zirkus Manege seine 500 Plakate wieder abhängen, weil sie laut Stadtverwaltung den Verkehr gefährden und das Stadtbild verschandeln. In Regensburg kostet ein Plakat pro Woche 90 Cent. Um 16 Uhr beginnt für Martina Renz die Vorstellung. »Seit 1842« steht in roten Buchstaben auf den Zirkuswaggons – wie die Brumbachs sehen sich auch die Renzes in einer ehrenvollen Tradition: Vor mehr als 150 Jahren erfand Ernst Jakob Renz die »fliegenden Bauten«, das erste Zirkuszelt, mit dem man reisen konnte.

In der Manege in Teisnach spürt man wenig von dem Glanz, mit dem sich der Zirkus gern umgibt. Die Renzes spielen ein Programm wie alle anderen: Es gibt eine Pferdedressur, Clowns, eine Trapeznummer. Sohn Jakob balanciert sieben ineinander verkeilte Stühle auf seinem Kinn. Er kann das auch mit einer Schubkarre und einer fünf Meter langen Leiter. »Fräulein Sissy«, die 26-jährige Tochter, gibt das Schlangenmädchen. Als sie auf einem Tisch die Brücke macht, springt die CD mit der italienischen Schnulze: »Amo-mo-mo-mo-more.« Als Nächstes kündigt Martina Renz ihren 51-jährigen Bruder Uwe an, »der mit den Scherben spielt wie ein Kind mit Sand.« Uwe trägt eine orientalische Pluderhose und wälzt sich in einem Haufen grüner Glasscherben. Er reibt sich den Oberkörper damit ein und schaufelt sie mit beiden Händen in sein Gesicht, als würde er sich waschen.

Während der Umbaupause erkennt man im Halbdunkel der Manege eine hinkende Gestalt, es ist der 48-jährige Udo. Er gehört nicht zur Familie Renz, fährt jedoch seit Jahren mit dem Zirkus mit und versorgt die Tiere.

»In Bayern sind sie klatschfaul«

Eine halbe Stunde nach der Vorstellung schleicht Udo ein wenig nervös zwischen den Wagen umher. »Chefin! Bier?«, fragt er. Martina Renz überlegt kurz und schüttelt den Kopf. »Keines mehr da.« Sie holt einen Fünf-Euro-Schein aus der Hosentasche und schickt ihren Bruder, der immer noch seine Aladinhose trägt, zum Supermarkt. Dann zeigt sie auf Udo: »Er kann noch nicht richtig laufen.« Der stämmige Mann humpelt herbei. Er zieht das linke Hosenbein hoch und entblößt eine eiternde Wunde am Schienbein. »Geht schon wieder«, sagt er. Es war ein glatter Durchschuss.

Die Familie Renz hat ihre eigene Version des Zirkuskriegs: Die Regensburger Stadtverwaltung habe ihnen eine Gastspielgenehmigung erteilt. Wie üblich seien die Renzes schon eine Woche vor dem Termin in die Stadt gefahren, um dort ihre Plakate aufzustellen. Als sie wiederkamen, um das Zelt aufzubauen, seien sämtliche Plakate verschwunden gewesen. Abends habe das Handy von Martina Renz geklingelt. »Regensburg ist meine Stadt«, habe ein gewisser Helmut Brumbach gedroht. »Für jeden Tag, an dem ihr hier spielt, bekommt ihr Schläge.« Gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem ältesten Sohn Francesco und Udo habe Martina Renz die Brumbachs in ihrem Winterquartier an der B8 besucht. »Um zu reden«, sagt sie. Als sie dort ankamen, hätten die Brumbachs Stöcke und Eisenstangen in der Hand gehabt, die drei Renz-Männer »hatten nur ihre Fäuste.« Dann habe Helmut Brumbach eine Pistole gezogen. Und geschossen.

Die zuständigen Beamten des Polizeipräsidiums Oberpfalz schütteln nur den Kopf, wenn sie vom Zirkuskrieg erzählen. »Da gibt es leider kein schlüssiges Tatgeschehen«, sagt ein Sprecher. Dass der Fall einmal aufgeklärt wird, glaubt er nicht. Sicher ist nur, dass am 18. April gegen 20 Uhr mehrere Anwohner des Brumbach-Geländes die Polizei alarmiert hatten: Nebenan tobe eine Schlägerei. Ein Nachbar sagt später, dass die Renzes nicht mit vier, sondern mindestens 15 Personen angerückt seien. Als die Beamten am Tatort eintreffen, finden sie sechs Verletzte: drei aus dem Brumbach-Clan, drei aus dem Renz-Clan. Obwohl die Anwohner mehrere Schüsse gehört haben wollen, bleibt am Ende nur die Kugel nachweisbar, die Udo, den Helfer der Renzes, traf – abgefeuert von Helmut Brumbach, das hat er in der Vernehmung zugegeben. Ansonsten haben alle Beteiligten die Aussage verweigert.

Zehn Tage später, am 28. April, sind noch einmal vierzig Bereitschaftspolizisten ausgerückt, um vier Stunden lang die Holzwaggons und Wohnwagen der Familie Renz zu durchsuchen. Sie fanden Schlagringe, Teleskopschlagstöcke, einen Elektroschocker und Schrotpatronen, aber keine Schusswaffen, keine Pumpguns, von denen Helmut Brumbach erzählt hatte. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Fragt man ihn nach der Kleinkaliberpistole, mit der er geschossen hat, sagt er: »Das war nicht meine, die hat mir ein Zigeuner gegeben, als die Renzes kamen. Ich habe gedacht, wenn die eine Waffe sehen, hauen die schon ab.«

Gegen den Renz-Clan wird wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Fragt man Martina Renz, warum in ihren Waggons Schrotpatronen lagerten, sagt sie: »Wir haben mal in einer Kaserne gespielt, da haben die Kinder die Patronen gefunden und mitgenommen. Ich habe gar nicht mehr daran gedacht, sonst hätte ich sie natürlich weggeschmissen.«

Auch wenn es die beiden Zirkusoberhäupter nie zugeben würden: Sie ähneln sich. Beide lassen nichts auf sich und ihre Familien kommen. Nach Tausenden Gesprächen mit störrischen Stadtbeamten sind sie Meister darin, das letzte Wort zu haben, sich rauszureden, rauszuwinden. In ihren Erzählungen übertreiben sie wie August in der Clownsnummer. Sie wollen größer aussehen, als sie eigentlich sind. Und wenn es notwendig ist, lügen sie.

Am Abend nach der Vorstellung sitzt Martina Renz wieder an dem Plastiktisch neben ihrem Zelt und rechnet die Tageseinnahmen zusammen. Nur fünfzig Gäste sind gekommen, obwohl Familientag war, das bedeutet halber Eintritt: acht Euro pro Person. Mit Popcorn und Cola haben sie heute knapp 600 Euro verdient, das macht 2400 Euro die Woche – bei rund 1200 Euro Kosten für Strom, Wasser, Diesel, Versicherungen, Platzmiete und Tierfutter. Für die acht Familienmitglieder und Udo, den Helfer, bleibt kaum etwas übrig. »Das letzte Mal, als unser Zelt ausverkauft war, gab es noch die D-Mark«, sagt Martina Renz. Aufhören will sie trotzdem nicht. »Wer einmal dieses Leben geführt hat, kann nicht sesshaft werden.«

Etwa zur selben Zeit sinkt Helmut Brumbach hinter seinem Wohnwagen auf einer Bank zusammen. Er ist erschöpft vom Erzählen, reibt sich die Stirn – und plötzlich fängt dieser kräftige, ständig rauchende Mann zu weinen an. »Ich muss immer der Harte sein, damit das Geschäft weiterläuft«, sagt er und dreht sich weg, damit man sein Gesicht nicht sieht. Die letzten Stunden hat er fast nur über die Familie Renz geschimpft, diese »Preußen«, doch der Kampf, den er eigentlich führt, ist ein Kampf gegen eine Welt, die sich kaum noch für ihn und seinen Zirkus interessiert.

Wovon sie im Moment leben, wenn sie seit Monaten gar keine Vorstellungen geben? »Freunde helfen uns«, sagt Helmut. »Und es kommen Leute vorbei, die geben mir 500 Euro, wenn sie mich mit meinem Cowboyhut fotografieren dürfen. Die Bilder hängen sie dann bei sich im Wohnzimmer auf.«

Da ist er wieder: Helmut, der weltberühmte Western-Mann, der mehr als hundert Messer in der Minute wirft.

Die Wiese in Burgweinting, um die die beiden Zirkusfamilien so erbittert gekämpft haben, gehört übrigens einem Bauern. Der hat sie von der Stadt Regensburg gepachtet. Als die Renzes über die Stadtverwaltung eine Spielerlaubnis erbaten, hat der Bauer sofort Ja gesagt. Kurze Zeit später meldete sich Helmut Brumbach direkt bei ihm und fragte, ob er auf der Wiese sein Zelt aufbauen dürfe. Der Bauer hörte nur »Zirkus« und meinte: Freilich, hab ich doch schon gesagt.

Fotos: Thomas Dworzak / Magnum Photos / Agentur Focus