Wenn ich heute Kaffee trinken will, passiert Folgendes: Erst muss ich mich entscheiden, aus welchem Land und aus welcher Höhe die Bohnen sein sollen und ob ich eher Nuancen von Chili oder von Orangenblüten bevorzuge. Dann sehe ich zu, wie eine studentische Hilfskraft mit der Ruhe eines Zen-Meisters in einer Kanne Wasser erhitzt, auf einer Apothekerwaage Kaffee abwiegt, das Pulver in einen Keramikaufsatz mit Papierfilter rieseln lässt und schluckweise das heiße Wasser darüber gießt. Irgendwann bekomme ich meine Bestellung über den Tresen geschoben: eine Tasse Brühkaffee.
Es hat sich noch nicht bis zu Annegret Kramp-Karrenbauer herumgesprochen, aber Menschen in Berlin und anderen Metropolen trinken schon seit mindestens acht Jahren keinen Latte macchiato mehr. Wer hip sein will, nimmt Filterkaffee. Der wird meistens ohne Milch in Keramikschälchen serviert und gern für vier Euro die Tasse verkauft. Kaffeebars bieten Kurse und Verkostungen an, in denen man sich über den Säuregrad von Kaffeeröstungen austauscht oder schaut, ob man die westäthiopische Hanglage herausschmeckt.
Daran ist erst mal nichts ungewöhnlich. Dinge, die sonst niemanden jucken würden, versucht man als angesagt zu verkaufen, ob das Fabriketagen sind, Schlachthofviertel oder die FDP. Beim Specialty Coffee, wie Kaffee neuerdings heißt, führt das immerhin dazu, dass man darüber nachdenkt, woher der Kaffee kommt und wie man die Bedingungen verbessern kann, unter denen er hergestellt wird. Der helle, teeartige Aufguss schmeckt oft auch wirklich gut.
Dennoch befremdet mich die Gentrifizierung des Filterkaffees. Veredelung kratzt immer an der Substanz, sie zerstört den Zusammenhang, aus dem etwas kommt. Und Filterkaffee hat mit Arbeit zu tun, er ist das Getränk von Frühschichten, Sitzungen und Mittagspausen, von Überstunden, Nachtarbeit und Wochenenddiensten. Man schüttet ihn zwischen Bildschirmen, Aktendeckeln oder Maschinen in sich hinein, er ist der schwarze, bittere Begleiter der Werktätigkeit. Filterkaffee fließt in Konzernzentralen und auf dem Krankenhausflur, in Teeküchen, Kantinen, Mensen und Eckkneipen, in amerikanischen Diners bekommt man ihn sogar ungefragt nachgeschenkt. Er schmeckt überall gleich schlecht, weil er entweder viel zu stark oder viel zu schwach ist, oder kalt, weil jemand wieder die Maschine zu früh abgestellt hat. Und genau das ist das Großartige an diesem Getränk: Dass es eben nicht hip ist und kein Genuss und auch nicht zelebriert werden will. Der Filterkaffee ist das, was die Leute aus unterschiedlichen Büroetagen, Schichten, Kulturen verbindet. Filterkaffee ist ein Gleichmacher, ein zutiefst demokratisches Getränk, Frank-Walter Steinmeier würde sagen: der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.
Man muss sich nur mal ansehen, wo die Heavy User von aufgebrühtem Kaffee zu Hause sind. In Skandinavien nämlich, den Ländern mit den am besten funktionierenden Sozialsystemen. Eine Finnin oder ein Finne konsumiert rund zehn Kilogramm Rohkaffee im Jahr, die »Kahvipaussi«, die man zu jeder Tages- und Nachtzeit einlegt, ist dort fast ein Grundrecht. Und wozu wurde Finnland gerade im World Happiness Report der Vereinten Nationen gekürt, und zwar zum zweiten Mal in Folge? Zum glücklichsten Land der Welt! In diesem Sinne: »Brüh im Glanze!«