Alle Jahre wieder im Sommer ist Weihnachten, denn im letzten Drittel des Monats Juli wird ein Kindlein geboren. In den Tagen zuvor herrscht Aufregung – ist alles vorbereitet, habe ich Geschenke, gibt es genug Süßigkeiten? Und dann, in der Nacht vor dem großen Tag, ziehe ich mich in nervöser Erwartung in eine Art innere Höhle zurück.
Es ist alles jedes Mal wieder ganz genau so, wie es vor 16 Jahren zum ersten Mal war. Es sitzt tief in meinen Fasern. Damals war es das Gefühl – unerwartet, weil ich es ja noch nicht kannte, und zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin –, dass bald etwas Unwiderrufliches passieren wird, die Welt wird danach nicht mehr dieselbe sein, und auch wenn es nicht der Messias sein mag, es wird jemand ankommen. Ich saß also an einem Dienstagnachmittag in meinem Büro, spürte den Aufruhr in mir, hielt kurz inne, klappte meinen Laptop zu und sagte zu meinen Kollegen: »Ich glaub, ich geh jetzt mal in den Mutterschutz.«
Die Kollegen sahen von ihren Schreibtischen auf und nickten zustimmend, wird auch echt mal Zeit, ich knurrte und ging. Zu Hause legte ich mich auf die Couch und dachte, dass ich die nächsten Wochen mit einer Serie verbringen würde, die ich noch sehen wollte, bevor ich für so was wahrscheinlich keine Zeit mehr haben würde. Kurz vor Mitternacht platzte meine Fruchtblase, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte, irgendwie war ich davon ausgegangen, dass diese Geburt langsam, konzentriert und friedlich vor sich gehen würde, ich war aber auch sicher gewesen, dass ich auf keinen Fall schreien würde, und, na ja, es kommt dann halt doch immer anders, als man denkt, und so kam das neue Leben eher plötzlich und ziemlich laut aus mir raus.
Seitdem durchlebe ich das alles wieder und wieder, jedes Jahr kurz vor dem 23. Juli – die Unruhe, das knurrende Tier in mir, und morgens um 9 Uhr 39 ist da ein Ziehen, mein gesamtes Körpergedächtnis vibriert. Am beeindruckendsten fand ich diese Monsterwelle aus Fruchtwasser. Angeblich ist es ja nur etwas mehr als ein Liter, oder vielleicht so anderthalb, aber ich schwöre, das war locker eine Jeroboamflasche, das königliche Format, vier Flaschen Champagner. Es sah ehrlicherweise auch aus wie Champagner, ich würde sagen, es hatte die Farbe von frischem Heu. Es besteht tatsächlich zu 99 Prozent aus Wasser, der Rest setzt sich unter anderem zusammen aus Proteinen, Kohlenhydraten, Fett, Hormonen und Mineralstoffen.
Schmecken soll es wie leicht gesüßter Tee, ich hatte leider nicht die Ruhe, es zu probieren. Mein Sohn erinnert sich nicht daran, wie es geschmeckt hat, er behauptete im Grundschulalter aber auch, in meinem Bauch sei es vor allem deshalb so gemütlich gewesen, weil er da einen riesigen Fernseher gehabt hätte, »und ich durfte die ganze Zeit was schauen«. Also ein eher unzuverlässiger Reporter.
Trotzdem habe ich mich die ganze Schwangerschaft über gefragt, was das Baby da drin eigentlich so macht, außer wachsen und schlafen und Purzelbäume schlagen. Antwort: saufen. Ich habe es auf den Ultraschallbildern gesehen. Wie er die winzigen Lippen gespitzt hielt und gluck, gluck, gluck, sich permanent ein Schlückchen ins Regal stellte. Beweis nötig? Kindspech, findet sich in der ersten Windel.
Die Fruchtblase ist die Flasche, die jeder Mensch nur einmal entkorkt, und wenn dieser Korken gezogen ist, gibt es kein Zurück mehr, dann geht die Reise los mit Gebrüll, bei meinem Sohn war das so: Gang rein, links blinken, rechts ist das Gaspedal, ab dafür, mir wird heute noch manchmal schwindelig, wenn ich ihm hinterherschaue, wie er in hohem Tempo gen Sonnenuntergang rast, mein Trick, um das auszuhalten, ist eine lange, dehnbare Leine, die erst reißt, wenn ich meine Klappe wieder zumache.