Warum zögern Sie mit der Impfung?«, fragte die Wochenzeitung Die Zeit im August. Und Harald Schmidt antwortete: »Als Ungeimpfter empfinde ich die Aussicht, nicht ins Theater, Kino und Museum zu müssen, als eindeutige Verbesserung meiner Lebensqualität. Restaurant brauch ich auch nicht, ich ess eh lieber Fleischsalat direkt aus’m Becher, während ich Netflix gucke.«
Natürlich haben sich damals ein paar Leute aufgeregt, weil Schmidt so zynisch, so gemein ist, aber ich musste trotzdem lachen, und wenn ich ehrlich bin, geht es mir mit Weihnachtsmärkten, die wegen Corona reihenweise abgesagt wurden, ähnlich.
Klar, für alle, die einen Stand betreiben, ist es ein Drama, unter Umständen eine Tragödie, weil ihre Existenz auf dem Spiel steht. Aber für mich ein echter Gewinn, weil ich ohne faule Ausreden Situationen vermeiden kann, auf die ich sowieso keine Lust gehabt hätte. Zum Beispiel gemeinsam mit anderen Menschen im Kreis rumzustehen, mit beiden Händen eine Tasse Glühwein zu umklammern, alle zwei Minuten in den aufsteigenden Dampf zu blasen und so zu tun, als gerate man heftig in Weihnachtsstimmung, nur weil sich gerade ein Reflux ankündigt.
Was ich auch gut finde: dass ich gar nicht erst in Versuchung gekommen bin, Erzgebirgskunst für meine Mutter und ein Schaffell-Erzeugnis für meinen Vater zu kaufen oder es »wahnsinnig schade« zu finden, dass es nicht schneit und überhaupt »für Dezember viel zu warm ist«. Tatsächlich sehe ich meine Chancen, in Weihnachtsstimmung zu geraten, ohne Weihnachtsmarkt als gestiegen an. Und wenn Sie das seltsam finden, könnte es daran liegen, dass wir unter Weihnachtsstimmung etwas gänzlich Unterschiedliches verstehen.
Weil man natürlich trotzdem was trinken muss (und dieser Text ja eine Getränkekolumne ist), habe ich etwas Neues ausprobiert, nämlich Glühbier. Schon mal gehört? Okay, Sie sind ein Vorweihnachtszeitprofi. Oder fahren gern nach Belgien, wo Glühbier (dort heißt es »Glühkriek«) extrem beliebt ist. Ich habe mir Rezepte im Internet besorgt und losgelegt: eine Flasche dunkles Bier, ein Viertelliter Kirschsaft, eine halbe Zimtstange, eine Nelke, ein halber Sternanis (war extra im Asiamarkt), ein paar Spritzer Zitronensaft, alles in einen Topf, auf 70 Grad erhitzen, danach ziehen lassen, Gewürze raus – fertig. Es handelt sich um ein äußerst simples Rezept, was man schon daran sieht, dass es mir zehn Minuten später als einigermaßen gelungen erschien, obwohl ich das gewaltige Land, das sich jenseits von Rühreiern und Beuteltee auftut, kaum je betreten habe.
Das Resultat sieht ein bisschen aus wie Rotwein mit Bierschaum, schmeckt eher nach Glühwein als nach Bier, aber milder, hefiger und weniger säuerlich. Wer mag, kann experimentieren: Holunder oder Orangen statt Kirschsaft, ein Stückchen Ingwer, kann man alles
machen. Wer warmes Bier komisch findet, dem sei gesagt: Ja, im ICE-Bordrestaurant ist es tatsächlich ärgerlich, und doch hat es eine lange Tradition. Mein Uropa zum Beispiel trank immer warmes Bier, wenn sich eine Erkältung ankündigte, und ebenfalls vor 100 Jahren tauchten Schmiede glühendes Eisen für ein paar Sekunden in bitter schmeckendes dunkles Bier, um die lakritzartigen Malze zu
karamellisieren. Ich habe mich also aufs Sofa gelegt, einen Krug meiner Eigenkreation getrunken und muss sagen: Ja, gar nicht schlecht und weniger aufdringlich als Glühwein. In Weihnachtsstimmung kam ich natürlich trotzdem nicht, aber ich habe eine Idee: Vielleicht sollte ich es mit einem kandierten Apfel probieren. Natürlich selbst gemacht. Ich glaube, ich google mal.