Nehmet und trinket alle daraus

Unser Autor ist gläubiger Katholik, hat aber noch nie vom Blut Christi gekostet. Wie es wohl schmecken mag? Oder verfliegt die Heiligkeit gar, wenn man als Laie zu tief in den Kelch schaut?

Foto: Maurizio Di Iorio

Also, mir ist Jesus Christus sympathisch. Nicht nur, weil er gern gegessen und getrunken hat, aber auch. Er hat keinen auf Askese gemacht, um daraus narzisstische Befriedigung zu ziehen, sondern Speisen sogar vermehrt, wenn es mal wieder nicht für alle gereicht hat, womöglich hat er geahnt, dass ein gottesfürchtiges Leben leichter fällt, wenn der Magen nicht knurrt. Noch am Abend vor seinem Tod hat er weder gejammert noch zu fliehen versucht, sondern seine zwölf besten Freunde zum Essen eingeladen, auf die Idee muss man erst mal kommen.

Das letzte Abendmahl also. Alle, die nicht an Wunder glauben, müssen jetzt stark sein, denn was römisch-katholische Christen in der Eucharistie feiern, die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi, ist eben nicht symbolisch, sondern wörtlich zu verstehen, man nennt das Transsubstantiation: Die Hostie und der Wein verkörpern nicht, sondern werden zum Leib und zum Blut Jesu Christi, der während des Abendmahls also tatsächlich körperlich gegenwärtig ist.

Ich gehe seit mehr als vierzig Jahren in die Kirche, nicht jeden Sonntag, aber regelmäßig, trotzdem – und das ist mir bei der Christmette wieder mal schmerzlich bewusst geworden – habe ich noch nie in meinem ­Leben Messwein getrunken. ­Typisch eigentlich: Da bechert man Longdrinks auf einer Dachterrasse in Bangkok, aber das Naheliegende verpasst man. Zwar ist die Kelchkommunion für alle Gläubigen erlaubt, wird aber aus Praktikabilitätsgründen selten angeboten, sodass meistens nur der Pfarrer und die liturgischen Helfer vom Blut Christi kosten, während die anderen sich mit einer Oblate zufriedengeben müssen. Okay, am Gründonnerstag ist die Kelchkommunion sogar vorgesehen, aber da war ich entweder nicht in der Messe oder verzichtete aufgrund zuvor begangener ­Sünden auf eine persönliche Begegnung mit dem Heiland.

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Ich bekenne, dass ich jedes Mal, wenn der Pfarrer den goldenen Kelch an seine Lippen führt, für einen Moment neidisch bin

Ich bekenne also, dass ich jedes Mal, wenn der Pfarrer den goldenen Kelch an seine Lippen führt, für einen Moment neidisch bin. Ich frage mich dann, wie es wohl schmecken mag, das Blut Christi, ob wirklich nur nach Wein oder auch ein bisschen nach Eisen, wie das eigene Blut, manchmal würde ich auch einfach nur mit etwas Flüssigkeit die Hostie von meinem Gaumen lösen. Es sind die Momente, in denen ich bereue, kein Minis­trant geworden zu sein, weil ich dann sicher mal heimlich Messwein getrunken hätte, was in meiner Kindheit auf dem Land der Streich schlechthin war. Wer übrigens denkt, Rotwein ließe sich leichter in Blut verwandeln als Weißwein, hat von der Macht Gottes keine Ahnung. Zwar war Messwein bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts ausschließlich rot, aber weil Rotwein hässliche Flecken macht, wird heute meist auf Weißwein zurückgegriffen, erlaubt ist beides. Pfarrer, die aus gesundheitlichen Gründen keinen Wein trinken sollten, dürfen übrigens Traubensaft in Blut verwandeln, so ­liberal sind Katholiken dann doch.

Gewiss wäre es nicht kompliziert, mal einen Schluck Messwein zu probieren. Ich könnte ­einen befreundeten Pfarrer bitten. Andererseits mag ich den Gedanken, dass es Erfahrungen gibt, die ich noch nicht gemacht habe, weil sie gerade dadurch ihr Geheimnis behalten. Dahinter steht auch der (christliche) Gedanke, dass der Mensch nicht alles in der Hand hat, dass er nicht alles selbst entscheiden muss, ja dass vielleicht noch nicht mal ­alles für jeden möglich sein muss, weil das Heilige selbst schwindet, wenn alle Türen aufgestoßen wurden. Bis auf Weiteres bleibt der Messwein für mich ein Rätsel, das ich noch nicht ­gelöst habe. Ich kann gut damit leben. Denn alles hat seine Zeit, heißt es im Alten Testament. Vielleicht ja auch der Messwein. Ich warte also. Und lasse Gott entscheiden.