Tropfen ohne Schwips

Unsere Autorin wollte bloß mal alkoholfreien Wein probieren – und steht unversehens vor ganz grundsätzlichen Fragen. Will man das Alte durch etwas Ähnliches ersetzen – oder etwas Neues versuchen, das neben dem Alten bestehen kann?

Foto: Maurizio Di Iorio

Mein erster alkoholfreier Wein war ein Cabernet Sauvignon. Ich kaufte ihn im Supermarkt, weil mir die Flasche gefiel und mit den Worten »Leckerer alkoholfreier Rotwein« beworben war. Als ich den Schraubverschluss aufdrehte, schlug mir ein so schlimmer Geruch von verdorbenem Essig ent­gegen, dass ich den Wein sofort ins Klo schüttete. Die Leute, denen ich davon erzählte, sagten mir, was einem alle sagen: Wein ohne Alkohol ist unmöglich. So wie es unmöglich ist, Gold herzustellen.

Heute weiß ich, dass ich alles falsch gemacht habe. Ich wollte alkoholfreien Rotwein, und der ist wirklich sehr schwer zu produzieren. Alkohol ist ein Geschmacksträger und Rotwein eine Art Jenga-Turm aus Aromen, den man aus der Balance bringt, wenn man einen tragenden Stein herauszieht. Fehler Nummer zwei war, dass ich irgendeinen entalkoholisierten Wein genommen habe und keinen, der auf einem guten Grundwein beruht. Der größte Fehler aber war, dass ich das Thema danach abgeschrieben habe.

Will man das Alte durch etwas Ähnliches ersetzen – oder etwas Neues versuchen, das neben dem Alten bestehen kann?

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Denn der Mensch will ja immer genau das erreichen, was unmöglich ist. Die Sommelière Ursula Heinzelmann, die sich auch mit alkoholfreien Getränken beschäftigt, sagt, dass deutsche Winzerinnen und Winzer inzwischen sehr guten Riesling oder Spätburgunder nehmen, den Weinen den Alkohol entziehen und sie danach mit Kohlensäure versetzen. Die sorgt dafür, dass man mehr riecht und schmeckt. Heinzelmann empfiehlt etwa den alkoholfreien Riesling von Kolonne Null, den »ZeroZero« vom Gustavshof, die alkohol­freien Cidres der Manufaktur Jörg Geiger und die sogenannte Rieslingbrause der Winzervereinigung Junges Schwaben. Ich selbst trinke den alkoholfreien »Rosé Pur« von Strauch, weil Rosé einfach immer geht.

Wie bei allen Veränderungen muss man sich eine grundsätzliche Frage stellen: Will man das Alte durch etwas Ähnliches ersetzen – oder etwas Neues versuchen, das neben dem Alten bestehen kann? Ursula Heinzelmann ist gegen das Ersetzen. Weinen nach der Gärung den Alkohol wieder zu entziehen, ist für sie ein zu großer Eingriff. Das könne man schon machen, sagt sie, so wie man auch Wurstersatz essen könne. Aber am Ende habe sie lieber gutes Gemüse als etwas, das Fleisch imitieren will.

Das Gemüse sollen in dem Fall »Wine Proxies« sein, also Getränke, die nicht den Wein, sondern die Eigenschaften von Wein ersetzen, die Farbe, den komplexen Geschmack, das Trinkgefühl. Damit kennt sich auch Jennifer Kießling aus, die in Berlin eine Art alkoholfreie Weinhandlung betreibt. Kießling sagt, noch vor ein, zwei Jahren hätte sie mit alkoholfreien Getränken »höchstens einen Saftladen aufmachen können«, inzwischen sind die Regale voller Flaschen mit schönen Etiketten. Getränke, die aus Milchsäuren, Hefen oder fermentierten Früchten gemacht werden oder aus Verjus, dem Saft unreifer Trauben. Wie so oft kommen die interessantesten Dinge aus Skandinavien. Kießling lässt mich ein paar Nicht-Weine der dänischen Manufaktur Muri kosten, die sich auf Fermentation spezialisiert hat und mit Beeren, Blättern, Kräutern und Gewürzen arbeitet. Ein Getränk namens »Nuala« kommt sogar ohne Kohlensäure aus. Wenn man daran riecht, muss man an Glühwein denken, und der Geschmack hat etwas Weiches und Vollmundiges, das tatsächlich – dabei ist das doch fast unmöglich! – an Rotwein erinnert.