Eine hopfige Geschichte der Menschheit

Vom Sammler und Jäger zum Sesshaften: Die Menschheitsgeschichte hat Lücken. Unser Autor füllt sie mit der Hilfe einer Postkarte und entwickelt eine eigene These. Ein Prosit auf das Bier.

Foto: Erli Grünzweil

Meine Freundin R. schreibt die besten Postkarten. Auf den winzigen Platz quetscht sie den Text einer Enzyklopädie, der gleichzeitig so akkurat aussieht, dass die chinesischen Reiskornkalligrafen vor Neid ihren Reis in die Ecke gepfeffert hätten. Ich will ihr zu den Feiertagen auch eine schreiben und war Postkarten shoppen. Eine faszinierte mich besonders. Auf der stand: »Bier ist der Beweis, dass Gott uns liebt!« Am Anfang war das Wort, und das Wort war Gott, heißt es in der Bibel, aber gleich nach Wort und Gott kam das Bier. Zumindest vermuten einige Forscher, Bier habe mit dem Anfang von allem zu tun. Also nicht Anfang wie in »Urknall«, sondern jenem Phänomen danach, dem wir heute die kosmopolitischen Grundpfeiler unserer Existenz wie Schienenersatzverkehr, Papierstau, Warteschleifen bei DHL oder Raufereien in der Weihnachtsmarktschlange zu verdanken haben, kann ja nicht schnell genug gehen mit dem Glühwein für sechs Euro plus Pfand. Mit anderen Worten: Zivilisation.

Springen wir kurz in die Neolithische Revolution. Der Mensch hat die Schnauze voll, hinter verlausten Hasen herzuhetzen. Dazu tun vom Sammeln und Jagen die Füße weh. Stattdessen wird der Mensch sesshaft und fängt an, Getreide anzubauen. Warum der Sinneswandel? Warum die bewährte Ernährungs­methode der Jagd aufgeben (damals gab es nicht mal Mammutaktivisten, die sich vor den Speer hätten werfen können), um auf den aufwendigen Ackerbau umzusatteln, ohne Erfahrung in Anbau und Ernte, mit dem Risiko von Überschwemmungen und Stürmen im Nacken? Bis heute ist das ein Rätsel.

Gut, Menschen dübeln sich ja auch Sechs-Euro-Glühwein rein und wundern sich später, wo das ganze Geld hin ist. Aber vielleicht kann der Mensch nichts dafür. Vielleicht wurde ihm das in jahrtausendelanger Tradition buchstäblich eingetrichtert. Im alten Nubien trank man vor rund 2000 Jahren Bier als Medizin, die Sumerer hatten Rezepte für Bier. Und davor, vor 9000 Jahren, sollen die Chinesen schon Wein aus Reis, Honig und Früchten gekeltert haben. Den ältesten Hinweis fanden Forscher in Israel. Im Natufien braute man vor 13 000 Jahren ein Gebräu, das zumindest bierartig war. Die Schlussfolgerung: Das Getreide, das der Mensch anbaute, diente möglicherweise gar nicht dem Brot, das viel später kam, sondern dem Alkohol.

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Warum fingen die damit an? Vielleicht, weil der Mensch, damals wie heute, einfach mit den großen Fragen des Lebens nicht so gut klarkommt. Damals war auch die Geburtsstunde früher Reli-gionsformen. Stürme und Dürren sind dann keine Launen der Natur, sondern Ausdruck der Wut übernatürlicher Wesen, die es zu besänftigen gilt. Um mit dem Göttlichen in Kontakt zu treten, bedarf es des Rausches, und für den Rausch braucht es Alkohol, was nicht viel anders ist, als sich einen anzusaufen und dann die hübsche Blondine in der Bar anzusprechen. Was für ein Zufall, dass die Eliten, denen dieses Privileg zustand, die Schamanen und Geistlichen, wahrscheinlich Männer waren.

Bleibt die Frage, wie der Mensch eigentlich auf die geniale Idee kam. Muss man sich mal vorstellen: Da gammelt ein müffelnder Haufen feucht gelagerte, gekeimte, gegärte und damit streng genommen verfaulte Gerste vor sich hin, und der Mensch denkt sich: Geil, steck ich mir in den Mund. Welch leise Ironie, dass dieser mutige Mensch auch noch nüchtern auf die Idee kam.

Mir kam die ebenso geniale Idee, diese Bier-Postkarte meiner Freundin zu schenken, birgt sie doch neben dem ganzen Feier-tagsgesülz die historisch wertvollste Bedeutung. Aber anders als R. schaffe ich es nicht, diese jahrtausendealte Geschichte auf ein Stück DIN-A6-Papier zu kritzeln. Ich nahm dann eine Karte mit einem lustigen Hund.