Der Preis der Ehrlichkeit

Viele Menschen sind erschüttert vom Missbrauch in der Kirche – und treten aus. Wenn man bei einem kirchlichen Arbeitgeber beschäftigt ist, bedeutet das aber die Kündigung. Sollte man es trotzdem machen, wenn einem das Gewissen dazu rät?

Illustration: Serge Bloch

»Der Umgang der Kirche mit den Missbrauchsfällen ­erschüttert und beschämt mich zutiefst. Mein Impuls ist, aus der Kirche auszutreten, um mich mit den ­Opfern solidarisch zu zeigen. Wenn ich das mache, verliere ich meinen Arbeitsplatz, an dem ich für viele Menschen etwas Gutes tue. Außerdem hätte ich erhebliche finanzielle Nachteile, weil meine Bezahlung bei einem nichtkirchlichen Arbeitgeber geringer wäre. Sollte ich aus moralischer Sicht aus der Kirche aus­treten, um mich nicht mit den Würdenträgern der Kirche gemein zu machen?« Anonym

Lassen Sie uns den Fall konkret durchgehen. Sie treten also aus der Kirche aus. Ihr kirchlicher Arbeitgeber wird ­davon automatisch durch den Abruf der elektronischen Lohnsteuerkarte erfahren. Ihre Befürchtung, daraufhin Ihren ­Arbeitsplatz zu verlieren, ist begründet. Für Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen gelten besondere Loyalitätspflichten, wozu unter anderem gehört, sich nicht kirchenfeindlich zu verhalten, und ein Kirchenaustritt kann derart gewertet werden und wird es auch oft. Nicht immer. Vielleicht hätten Sie Glück – manche ­Arbeitgeber verzichten auf eine Kündigung, denn so leicht ist es nicht, neue Fachkräfte zu gewinnen. Es kommt auf das Gutdünken des jeweiligen Arbeitgebers an, was Mario Gembus, als Gewerkschaftssekretär bei ver.di unter anderem für den Bereich Kirche zuständig, sehr kritisch sieht: »Es sollte nicht vom guten Willen des Arbeitgebers abhängen, ob Beschäftigte Kon­sequenzen für Entscheidungen in ihrer privaten Lebensführung erfahren. Grundlage dieses Diskriminierungsprivilegs der Kirchen ist Paragraf 9 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Das ist mit europäischem Recht nicht vereinbar und gehört vom staatlichen Gesetzgeber abgeschafft.« Im Moment aber würde man Ihnen wohl eher davon abraten, gegen Ihre mögliche Kündigung zu klagen, um nicht in ewige Rechtsstreitigkeiten verwickelt zu sein.

Was Ihre berufliche Zukunft angeht, spricht im Moment also einiges dagegen, aus der Kirche auszutreten. Ob Sie es letztlich tun oder nicht, ist ebenso Ihre sehr persönliche Entscheidung wie die, ob Sie an einen Gott glauben und, wenn ja, an welchen. Sie selbst würden sich, wie wir gesehen haben, mit einem Kirchenaustritt schaden. Bleibt folgende Frage an Sie, die Sie innerhalb dieser Organisation mög­licherweise Positives bewirken: Wem wäre mit einem Kirchenaustritt von Ihnen ­geholfen?