Der Zu-früh-Vollendete

Cro steht auf Platz 1 der Charts – mit einem »MTV Unplugged«-Konzert, für das er eindeutig zu jung ist. Was kommt als nächstes? Das Live-Aid-Duett mit Bono? Der Rückzug auf's Altenteil? 

Hach, ein Songtext wie eine Fotolovestory! Ein Junge sitzt in der Bahn, schaut aus dem Fenster, neben sich ein freier Platz. Dann steigt ein Mädchen ein. Muss man noch mehr sagen? Leider ja, denn statt die Geschichte anzudeuten, walzt Cro die Sache lieber aus, und zwar mit dem ganz dicken Nudelholz.

Das Mädchen hat »Bock auf Shopping«, weil sie »so Sachen« braucht, »die Frauen halt eben brauchen«, nämlich »‘nen Bikini« und, klar, »ne neue Tasche«. Der Junge und das Mädchen in der Bahn wünschen sich dann ganz doll, dass der andere doch bittebitte den ersten Schritt machen möge - aber am Ende wird es nichts mit den beiden, »Bye Bye«, verpasste Liebe wegen Schüchternheit.

Cro behandelt hier einen klassischen Teenager-Topos. Wie immer eigentlich, Cro ist ja sozusagen eine Bravo, die im Radio läuft. Interessant ist aber, dass sein Song, der diese Woche auf Platz eins der Singlecharts steht, von 2012 ist. Er wird nur erst jetzt veröffentlicht. Und zwar als Auskopplung von Cros neuem »MTV Unplugged«-Album, das diese Woche die Albumcharts anführt.

Single und Album auf der Eins – beachtliche Leistung! Aber warum koppelt er ausgerechnet diese gedämpfte, kitschige B-Seite als erstes aus, als Galionsfigur des Albums? Einerseits, klar: Das Orchester, das mit Cro während des Konzerts auf der Bühne saß, kann in so einer Schieber-Nummer seinen ganzen Bombast rauspauken. Entscheidender ist aber wohl die Tatsache, dass es nun mal kaum Songs gibt, die Cro noch nicht veröffentlicht hat.

Zur Erinnerung: Der Mann, bürgerlich Carlo Waibel, ist 25, das erste Album veröffentlichte er vor drei Jahren. Letztes Jahr gab es noch ein zweites, aber das war's auch schon. Bei allen Bambis und Echos und 1-Live-Kronen, die er dauernd gewinnt, vergisst man schnell: Cros Gesamtwerk ist winzig, vielleicht 30 Songs. Er muss also auf seinem Unplugged-Album quasi alle Songs spielen, die er hat. »Bye Bye« ist halt noch das einzige unbekannte.

Deshalb ist es auch bemerkenswert, dass sein drittes Album nun schon ein »MTV Unplugged« ist. Diese akustischen Best-of-Konzerte waren mal für die Zielgerade von Musikerkarrieren gedacht. Paul McCartney nahm 1991 das erste Album der Reihe auf, mit 49 Jahren. Eric Claptons Auftritt, mit 47 Jahren, war der erfolgreichste, er hat sich 24 Millionen mal verkauft. Kiss und Bob Dylan, Bruce Springsteen, Grönemeyer und sogar die Fantastischen Vier – alle seit Jahrzehnten im Geschäft, bevor sie für MTV den Stecker zogen und noch mal Schmankerl aus vergangenen Zeiten klampften.

Heißt das nun, oh Schreck, dass sich Cro schon auf der Zielgeraden befindet? War's das schon? Kann noch irgendwas Nennenswertes nach dem Unplugged-Album kommen?

Ein Blick ins Archiv und, uff, Erleichterung: 1992 gab es mal einen ähnlichen Fall. Eine junge Sängerin war für ein »MTV Unplugged«-Konzert gebucht, obwohl sie gerade mal zwei Alben auf dem Markt hatte. Sie haderte. Und entschied sich dann aus Mangel an Songs für eine Coverversion von Jackson 5 als Single-Auskopplung. Und: Es hat geklappt. Die junge Sängerin hieß Mariah Carey.

Erinnert an: einen Film mit Jimi Blue Ochsenknecht.
Wer kauft das? Mädchen und Jungs, die MTV nur vom Hörensagen kennen.
Was dem Song gut tun würde:
Ein Text, den der 47-jährige Cro vorher nochmal redigiert hat.

Foto: Sascha Steinbach / Getty Images