(Rihanna Ende Juli in Indianapolis)
Am Samstag hatte Rihanna die Schnauze voll. Sie stand auf der Bühne des Grand Stade in Lille und schimpfte: »Ich will nicht sehen, dass ihr euren Freunden textet! Ich will nicht sehen, dass ihr Pokémons fangt!« Und wieder hatte sich ein Weltstar vor den Augen von zehntausend Zuschauern als hilfloser Spießer entpuppt.
Ja, doch, das ist ernst gemeint. Und muss endlich mal gesagt werden. Denn die Vorfälle häufen sich: Stars ertappen Fans, die aufs Smartphone gucken, und machen sie öffentlich rund. Vor ein paar Wochen schimpfte zum Beispiel David Draiman, der Sänger der sehr erfolgreichen Band Disturbed, vor ausverkaufter Halle eine volle Minute lang über eine Frau, die eine SMS geschrieben hatte. Die Frau rannte weinend raus. Der Frontmann von Slipknot schlug vor zwei Wochen einem Teenager in der ersten Reihe sein Handy aus der Hand. Auch Beyoncé, die Königin des Pop, ist sich seit Jahren nicht zu blöd, Fans anzumaulen, die sie auf der Bühne filmen.
Damit reiht sie sich ein in eine inzwischen auch schon Jahre alte Tradition: Popstars als Handyhasser. Prince, Neil Young, Mumford and Sons - dutzende superprominente Musiker haben schon Wasser auf Fans gespritzt, Konzerte unterbrochen oder Schilder in die Konzerthallen gehängt, auf denen sie »no cellphones out or in use!!« verlangen (Jack White) oder »PUT THAT SHIT AWAY!« (Yeah Yeah Yeahs). Die Eagles haben mal in einem Interview sehr bedeutungsschwanger erklärt: »Die Welt ständig durch einen Sucher anzuschauen ist nicht Sehen.« Die Folkband Lumineers unterbrach kürzlich ein Konzert mit der flehenden Bitte: »Packt die Handys weg und seid für einen Moment Mensch mit uns!«
Jarvis Cocker von Pulp verkündete, es sei »dumm, etwas durch einen winzigen Bildschirm zu betrachten, das direkt vor dir passiert«. Ach wirklich. Hach ja. Es ist seltsam, aber beim Thema Smartphones klingen sogar die kantigsten, unbürgerlichsten Künstler plötzlich wie Tanten, die die Welt nicht mehr verstehen.
Klar, es mag sich seltsam anfühlen, wenn 5000 Smartphones auf einen gerichtet sind, während man singt. Vor 5000 Feuerzeugen fühlte sich das in den Siebzigern bestimmt lauschiger an. Und ja, ein Fan, der lieber ein Rattfratz-Pokémon fängt, statt in den Refrain einzustimmen, ist möglicherweise nicht mit dem Ernst bei der Sache, den man sich als Popstar so wünscht. Aber, mal im Ernst: Ist das ein Grund, wie ein hilfloser Lateinreferendar Klassenverweise auszusprechen?
Die Zeit lässt sich leider nicht zurückdrehen. Die Leute haben heute nun mal Smartphones. Sie machen damit gerne und oft Fotos, einfach weil sie es können. Und weil Fotos an schöne Momente erinnern. Wer darauf wie die Eagles mit »aber früher...« antwortet: Unsinn. Hätte es bei Woodstock schon iPhones gegeben, Instagram wäre heißgelaufen.
Zweitens gibt es im Pop (anders als im Latein-Unterricht) keine Anwesenheitspflicht. Ein Konzert zu spielen ist kein Akt der Gnade. Sollen die Fans ernsthaft dankbar sein, 60 Euro zahlen zu dürfen, um Rihanna zu sehen? Ist es nicht eine seltsame Perversion des Dienstleistungs-Prinzips, zahlenden Gästen vorzuschreiben, wie sie ein Konzert zu genießen haben? Es ist ja nun wirklich nicht so, dass drei Pokémonspieler einer wogenden Menge den Spaß am Konzert vermiesen. Im Gegenteil: Wer so viel Geld hinblättert, hat das verdammte Recht, der Show auch mit dem Rücken zur Bühne beizuwohnen.
Und Drittens ist die Smartphone-Kritik natürlich hochgradig verlogen. Die Fans machen ja nicht zuletzt deswegen so viele Fotos und Videos, weil Stars wie Rihanna und Beyoncé es ihnen seit Jahren vormachen. Kann jemand, der für seine 40 Millionen Follower täglich sieben Bilder postet (und damit übrigens nicht wenig Geld verdient), ernsthaft seinen Fans verbieten zu fotografieren?
Die Frau, die von Disturbed aus der Halle gemobbt wurde, hat übrigens später einer Zeitung erzählt, was los war: Sie hatte ihrer Tochter eine SMS geschrieben, die alleine zuhause saß und sich vor einem Gewitter fürchtete. Was die Band angehe, so sei dies das letzte Konzert gewesen, für das sie je Karten kaufen werde.
Fotos: dpa