Auf den ersten Plätzen der Single-Charts tut sich gerade nichts, möglicherweise ferienbedingt, deshalb begleiten wir die Deutschen doch mal in den Urlaub – ans liebste Reiseziel außerhalb der Republik. Lohnt sich sowieso, denn die Mallorca-Charts sind im Vergleich zu den regulären Hitparaden ein Kosmos mit eigenen Regeln: Wer dort ganz oben landen will, kann sich nicht auf ein schickes Video mit Weitwinkelbildern verlassen (wie etwa bei Felix Jaehn vergangene Woche).
Überhaupt zählen Youtube-Quoten oder iTunes-Downloads auf Mallorca rein gar nichts – vermutlich ist die Versorgung mit Breitbandinternet in den meisten Ausnüchterungshotels noch recht mies. Platz eins auf Mallorca bedeutet aber: Man ist ein zäher Hund. Um dort zu landen, muss man sich an den ganz Großen vorbeikämpfen, die auf wundersame Weise in den Insel-Top-Ten überleben. Zum Beispiel, immer noch, ja, wirklich, »Atemlos durch die Nacht«. Oder »Geh mal Bier hol’n (GmBh)« von Mickie Krause, ein Song, den man auf Anhieb ins Präkambrium der Trötenmusik Ende der 90er verortet hätte – der aber tatsächlich erst aus dem letzten Sommer stammt.
Diese merkwürdige Abkopplung vom Musikgeschehen in Kontinentaldeutschland macht die Malle-Charts so interessant: Was dort funktioniert, schwappt nicht nur so als Hittchen vorbei und wird nächste Woche vom nächsten House-Remix ersetzt – es berührt die Deutschen wirklich, zumindest einen Sommer lang. (Was wiederum zu der Frage führt, was die ganzjährig aktualisierten Mallorca-Charts eigentlich abseits der Saison, etwa im November, aussagen. Aber dazu ein andermal.)
Jedenfalls ist vor diesem Hintergrund verständlich, warum da gerade Buddy mit »Der Sommer unseres Lebens« ganz oben steht. Der Mann macht das einfach schon ewig: Sein Lied »Ab in den Süden« war 2003 ein Riesenhit, wird bis heute auf dem Oktoberfest gespielt sowie in den diversen regionalen Versionen (»Ab in den Norden«, »Ab auf die Piste«) jahrein, jahraus zwischen Ostsee und Kärnten rezitiert.
Buddy heißt eigentlich Sebastian Erl und ist ein gelernter Gas-Wasser-Installateur aus Berlin. Sein neuer Hit ist erstmal erstaunlich nah dran an »Ab in den Süden«: dieselbe Flamenco-Schrammelgitarre, derselbe stoische Galeerenbeat, und drüber eine Strophe, von der man (genau wie damals) bis zum Schluss nicht abschließend sagen kann, ob sie nun gesungen oder doch melodisch gerappt ist. Und textlich, nun ja: »Jetzt sind die Tage wieder länger, wir sind startbereit / Wir holen die T-Shirts aus den Schränken, es ist Sommerzeit« – war das bei »Ab in den Süden« nicht genau gleich? Plus natürlich die unsterbliche Zeile »Tequila, Tequila, Tequila, Wonderbra«?
Wenn man nach einem Hinweis sucht, dass Buddy in den vergangenen 12 Jahren überhaupt hin und wieder mal zeitgenössische Popmusik verfolgt hat, wird man im Refrain fündig: Da peitscht der Beat sich hoch, bis eine EDM-Orgel in Super-Dur loszimmert. Und die hört man ja in den letzten Jahren wieder exakt so im Formatradio, nämlich bei Leuten wie Avicii oder Calvin Harris. Wobei im Refrain dann auch klar ist, warum die sich nie in Mallorca durchgesetzt haben. Hätten sie die Berufserfahrung von Buddy, wüssten sie: Die EDM-Orgel allein reicht nicht. Für Mallorca braucht es mindestens noch ein gegröltes »Döp-döp-dö-di-oh-oh«. Wenn dann noch eine Zeile kommt wie »Das wird der Sommer, der Sommer, der Sommer unsres Lebens sein« - dann klappt’s auch mit der Nummer eins.
Erinnert an: Ballermann 2003 bis 2014
Wer kauft das? Urlauber, die Gruppen-T-Shirts tragen und »wir sehen uns an der Playa« sagen
Was dem Lied gut tun würde: eine, oder wenigstens eine halbe neue Idee
Foto: Beverly