Lob kann etwas Trauriges sein. In den YouTube-Kommentaren schreibt jemand unter das Video zur neuen Lena-Single: »Hört sich an wie Ellie Goulding! Super Song«. Natürlich, nett gemeint. Aber es benennt auch in aller Unschuld das Problem: Warum klingt Lena Meyer-Landrut plötzlich nicht mehr wie Lena Meyer-Landrut? Der Witz war doch, dass sie wie niemand sonst klang. Als sie vor fünf Jahren den Eurovision Song Contest mit dem Song »Satellite« gewann, war sie – ob man sie nun mochte oder nicht – eine ziemlich einmalige Erscheinung. Sie sang mit einem selbstgebastelten englischen Vorstadt-Akzent, manchmal war ihr Singen eher ein Juchzen, bei dem man wundersamerweise die Melodie hörte, ohne dass die einzelnen Noten klar erkennbar gewesen wären. Sie tanzte wie ein Mädchen, das sich unbeobachtet fühlt, und machte in Interviews lustige Sprüche, die oft wirkten, als habe sie sich die gerade erst ausgedacht. Verdammte Axt.
Und jetzt? Ist die Stimme plötzlich computergeglättet. Zu hören sind die gleichen geradegerückten, roboterisierten Melodiebögen wie in tausenden von anderen Hits. Der selbstgebastelte Akzent ist einem ordentlichen Schul-Englisch gewichen. Und der Song, den sie jetzt singt, nun ja, das ist tatsächlich die Art von Nummer-Sicher-Hit, die zurzeit gut geht: jaulige Jubelchöre über böllerigem We-Will-Rock-You-Schlagzeug. Wobei man sagen muss, dass »Wild & Free« weniger nach Ellie Goulding klingt als vielmehr nach Katy Perrys »Roar«, das dafür aber zu fast exakt 99,5 Prozent.
Damit wirklich nichts schief geht mit dem Single-Verkauf, wurde das Lied auch noch als Song in einem Kino-Blockbuster eingesetzt, das fördert den Absatz immer. In diesem Fall ist es Fack ju Göhte 2, deshalb spielt im Video auch Elyas M'Barek mit, dazwischen gibts ein paar Szenen aus dem Film. Alles perfekt getimt, perfekt geplant. Diese Woche reicht es aber nur für Platz neun der Charts.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Lena Meyer-Landrut sei ein Hit gegönnt, natürlich. Sie hat komplizierte Jahre hinter sich, nach den ersten Erfolgen und den ersten Versuchen, ohne ihren Entdecker Stefan Raab etwas aufzustellen, erlebte sie eine Durststrecke, hatte psychische Probleme, alles nicht einfach. Also: Hit, Erfolg, gern, bitte. Aber hier sind so viele überdeutliche Sicherungen angebracht, dass einem irgendwie der Spaß vergeht.
Es ist wie mit gentrifizierten Vierteln: Erst sind alle begeistert von den schiefen Fassaden, den kleinen Überraschungen und ungewohnten Winkeln. Dann ziehen alle hin, räumen auf, bis nichts mehr vom ursprünglichen Charme übrig ist. Und dann stellen sie irgendwann fest, dass sie aus Versehen das abgewickelt haben, weswegen sie mal gekommen sind.
Das Gute an Lena, der ersten, war ihre Unvorhersehbarkeit. Das Bedauerliche an Lena, der zweiten, ist ihre totale Berechenbarkeit. Spannend wird, vielleicht, eines Tages: Lena, die dritte. Mal sehen.
Erinnert an: Katy Perry.
Wer kauft das? 10% Lena-Fans, 10% Perry-Fans, 80% Fuck-ju-Göhte-Fans.
Was dem Lied gut tun würde: Mehr Lena.
Foto: Universal Music