Die Ferien haben jetzt auch auf Facebook begonnen. Ich bin noch unschlüssig, ob ich es gut oder schlecht finden soll. Ich bin nämlich noch da. Im Viertel, mit leeren Parkplätzen und stillen Straßen, über die Touristen mit großen Augen flanieren. Wo es doch, denke ich, hier gerade gar nüscht zu sehen gibt – alle weg!
Aber je weniger zu sehen ist, desto genauer guckt man hin. Man sieht dann die Welt ganz anders. Auch deswegen springt mich jetzt auf Facebook diese Einsamkeit an, wie unterm Vergrößerungsglas. Die meisten Menschen, von denen ich da regelmäßig etwas mitbekomme, sind nämlich auf dem Weg in den Urlaub. Oder haben dort noch keinen WLAN-Schlüssel bekommen.
Es fehlen jetzt auf Facebook gewisse Typen, die sich normalerweise dort tummeln. Der berüchtigtste ist vermutlich die Katzen- und Rosenfoto-Posterin. Ich kenne allerdings keine und glaube, sie ist eine Erfindung von Facebook-Verleumdern. Dafür kenne ich einige vom Typ routinierter Politaktivist. Dessen Timeline ist gepflastert mit Change-org-Aufrufen. Ich will mich aber nicht lustig machen über ihn, er fehlt mir ein bisschen, und ich habe nachgeschaut: Zum letzten Mal war er hier 2d (für Facebook-Verweigerer: vor zwei Tagen).
Die DJane ist auch schon nicht mehr da. Das ist die Type, die früher leidenschaftlich gern Kassetten für Freunde aufgenommen hat und immer noch hie und da der Versuchung erliegt, ihren Musikgeschmack zu verbreiten, per Video. Ich habe das auch ein paar Mal gemacht. Da nahm mich eine Freundin beiseite und zischelte, das sei oldschool, peinlich, und wirke »irgendwie bedürftig«.
Ich habe einige einsame Freundinnen. Auf Facebook spürt man das sehr genau. Es ist der Typus, der mich am meisten rührt: die einsame Frau, die sendet. Sie sendet Nachrichten über den Hunger im Südsudan, über die Verheerungen in der SPD, über die Korruption in der ostchinesischen KP. Sie sendet elaborierte Lektürekommentare, Filmbesprechungen und Bilder von ihrem Balkon. Sie sendet und sendet und sendet. Doch allem Anschein nach kommt zu wenig zurück, keine menschliche Wärme. Das macht mich traurig. Auch mein Haus ist gerade still. Der Sommer kommt, die Zeit verrinnt, die Katze schnurrt. Über das Kopfsteinpflaster donnert ein Koffer.
Aber ich werde jetzt auf keinen Fall posten, wie anregend ich die Lektüre von Byung-Chul Hans neuem Essay fand. Der schreibt mir aus der Seele, die gerade so allein, quasi unsichtbar, vorm Bildschirm hockt: »Heute ist die Welt sehr arm an Blick. Wir fühlen uns sehr selten angeblickt oder einem Blick ausgesetzt. Die Welt präsentiert sich als Augenweide, die uns zu gefallen sucht. Der digitale Bildschirm hat ebenfalls nichts Blickhaftes. Windows ist ein Fenster ohne Blick. Es schirmt uns gerade vom Blick ab.« Ich werde also nicht senden, was ich gerade schreibe. Und wo ich demnächst hinfahre.
Bevor ich so tief sinke, in der digitalen Einsamkeit vor meinem blicklosen Bildschirm, Facebook runterscrollend, warte ich noch auf die Aphoristikerin. Das ist die Type, die weiß, ihren Status zu füllen als wäre sie Karl Kraus auf Speed. Sie sitzt noch im Flieger, wird aber sicher bald wieder online gehen. Wer dafür viel funkt, ist ein Mensch ohne Macht, auch so ein Typus: Leute, die es gewohnt sind, ganz oben im Mittelpunkt zu stehen, kommen zu Unzeiten – am Sonntagmorgen, in den Ferien, in Elternzeit – irgendwie in einen Mangel. Den versuchen sie zu kompensieren, indem sie von dort aus überall reinfunken. Man kann es das Sigmar-Syndrom nennen. Einige kommentieren jetzt sehr virulent auf Facebook. Ich glaube, es ist das, was bei Drogenabhängigen als »Cold Turkey« bekannt ist. Und doch gut, ab und zu Ferien von Facebook zu machen. Das sagt auch ein Artikel, der gerade auf meiner Startseite gelandet ist: Es zeuge von emotionaler Intelligenz – und 80 Prozent der erfolgreichen Chefs haben die angeblich –, sich Pausen zu nehmen.
Eins drunter, ups, ein Bild einer Princess-of-Wales-Rose. Also gibt es doch diese Art von Posterinnen? Vermutlich züchtet diese sich im Arbeitsalltag, wenn sich hier alle tummeln, unter meinem Radar entlang. Ich überlege, ob ich ihre rosa Diana liken soll. Damit sie sich nicht einsam fühlt. Oder ist sie ein Troll?
Die TIME postet, neue Studien ergäben, dass Katzen bei ihren Haltern möglicherweise Schizophrenie auslösen können. Auch Paranoia?
Ein Fernando, den ich mal vor Jahren kontaktet habe, hat soeben den Pico Duarte in der Dominikanischen Republik erklommen, 3098 Meter. Respekt, das like ich gleich.
Darunter steht, gepostet vom US-Magazin Atlantik, dass man im Netz mehr Geld lockermachen kann, wenn man schlank, weiß, attraktiv (und vollbusig) rüberkommt. Ich finde das alles sehr interessant. Man muss nur mal Zeit haben und genau hinschauen. Es ist, als würde mein Facebook-Account aus neuen Quellen gespeist. Das ist das Gute daran, wenn die aktivsten Kontakte in die Ferien gefahren sind und Platz machen für die, die ich sonst nicht wahrnehme. Ich habe sogar einen Freund, der jetzt erst zur Geltung kommt mit seinen pfiffigen Bonmots: »Erdogan erlaubt Pegida-Demo in Istanbul.«
Und nun kommen die ersten Urlaubsfotos rein. Sonnenuntergang. Straßengraffito. Kinder im Sand. Tomate mit Mozzarella. Jetzt aber schnell in die Pause!
Foto: Gettyimages / Bloomberg