Falsch verbunden

Ein Mann lernt eine Frau auf Facebook kennen und verliebt sich in sie. Viele Mails später ist er ihr hoffnungslos verfallen. Und merkt nicht, dass die Frau nur eine Täuschung ist, eine ausgedachte Figur, ein Streich. Die Geschichte einer digitalen Amour fou.

Jakob war seit Langem allein. Er hatte oft Frauen kennengelernt, mit vielen von ihnen Sex gehabt, aber irgendetwas fehlte immer. Jedes Jahr vor Weihnachten saß er da und dachte, ob nicht seine Freunde recht hatten, die ihm sagten, dass seine Ansprüche überzogen waren. Dieser Gedanke nagte an ihm, aber er blieb dabei: Irgendwo musste es die eine, die vollkommene Frau doch geben. Als er Louisa sah, wusste er, dass er sie gefunden hatte.

Louisa Catharina Jacardi, 28, lange blonde Haare, schön wie die Frauen in der Raffaelo-Werbung – am 15. September 2012 hat Jakob ihr Profilfoto auf Facebook entdeckt und sie angeschrieben. Sie ist Managerin bei Next Models, einer der drei größten Modelagenturen der Welt, hatte selber kurz gemodelt, bis ihr strenger jüdischer Vater es ihr verbot. Sie stammt aus einer wohlhabenden Familie, ist mehrsprachig aufgewachsen, pendelt zwischen New York und London, hat eine Yacht im Hafen von Palma liegen, macht in ihrer Freizeit Charity. Sie ist genau das, wonach Jakob immer gesucht hatte. Und auch er scheint ihr zu gefallen: Allein in den ersten zwei Wochen, bevor die beiden das erste Mal telefonieren, schreiben sie einander mehr als 5300 Nachrichten.

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Am 27. November ändert Jakob auf Facebook seinen Beziehungsstatus von »Single« auf »in einer Beziehung mit Louisa Catharina Jacardi«. In den kommenden Wochen verfolgen seine Freunde mit Enthusiasmus und vielen Likes seine neue Beziehung auf Facebook. Einmal schreibt er: »Ich werde geliebt!« Der ewige Single Jakob, 33, ein begehrter Junggeselle, der seit Kurzem in Los Angeles lebte, um als Schauspieler in Hollywood Fuß zu fassen, ist endlich angekommen.

Weihnachten will sie ihn in Los Angeles besuchen und zwei Pferde mitbringen. Jakob, der bei einer Pflegefamilie auf dem Land aufgewachsen ist und Pferde liebt, reist kreuz und quer durch die Stadt, um Ställe auszusuchen, er sucht Strände für Badeausflüge, kauft Geschenke; etwa 2000 Dollar gibt er aus für dieses Weihnachten mit Freundin. Sie lässt ihn aber sitzen, ein Prozess gegen ihren Ex-Freund beanspruche sie zu sehr – es ist schon das dritte Mal, dass sie ihn versetzt. Er ist verzweifelt.

Seine Halbschwester macht ihn darauf aufmerksam, dass es sich bei den Bildern auf Louisas Profil um verschiedene Frauen handele. Er will es nicht wahrhaben.

Widerwillig vergleicht er die Fotos, die sie von sich ins Netz gestellt hatte, bei der Bildersuche von Google. Und tatsächlich, die Frau auf den Bildern ist eine andere. Als er Louisa damit konfrontiert, gesteht sie, ihn getäuscht zu haben. Alles war falsch, die Bilder auf ihrem Profil hatte sie von Modelblogs und Pornoseiten; das Bild ihres eingegipsten Beins, mit dessen Hilfe sie einen Unfall vorgespielt hatte, selbst ein Foto ihres iPads: alles aus dem Internet. Die Frau hinter Louisa ist eine 38-jährige Sekretärin, die in Hamburg lebt. Normales Gesicht, normaler Beruf, sogar der Name ist normal, es gibt ihn sicher einige Tausend Mal in Deutschland; nennen wir sie Melanie Schmidt.

Jakob war mit einer Frau zusammengewesen, die es nicht gibt. Wie konnte er so blind sein? Und was hatte Melanie Schmidt von dem Schauspiel?

Jakob erlebte ein Szenario, das längst in die Populärkultur Einzug gehalten hat. In dem Dokumentarfilm Catfish macht sich ein junger Mann auf, seine Online-Liebe zu sehen – und findet statt eines Models eine Hausfrau vor, die zwei schwer behinderte Stiefsöhne pflegt. Der Film steht seinerseits in dem Ruf, Scripted Reality zu sein, also frei erfunden.

Menschen können sehr viel Energie darauf verwenden, sich ständig neue Lügengeschichten auszudenken. Auch wenn es noch so sinnlos erscheint: Es wird getäuscht, und gar nicht mal so selten. Die US-Börsenaufsicht SEC geht davon aus, dass 8,7 Prozent aller Facebook-Profile unter fal-schem Namen geführt werden, das wären 83 Millionen weltweit. Es gibt viele Gründe, so ein Profil zu erstellen. Den Ex-Freund überwachen. Jemandem einen Streich spielen. Seine Schüler kontrollieren, wie es die Direktorin der Clayton High School in Missouri getan hat, die daraufhin ihre Stelle verlor. Die meisten Fälschungen gehen auf Firmen zurück, die mittels der Profile Marketing betreiben wollen. Erst recht bedienen sich amerikanische Geheimdienste bei Facebook.

Ausnahmslos gilt: Wer nicht beweisen kann, dass er echt ist, ist nicht echt.


Große Communities wie die Webseite Reddit oder das Online-Irrenhaus 4chan sind aus leidvoller Erfahrung inzwischen sehr streng mit den Identitätsbeweisen von Usern, die mit erfundenen Geschichten von Missbrauch und Krebs, Gewalterfahrungen und Mobbing um Aufmerksamkeit oder auch Geld betteln. Egal wie herzzerreißend die Geschichte ist: Als echt geht dort nur durch, wer sich mit einem Bild ausweist, das ein aktuelles Datum zeigt. Ausnahmslos gilt: Wer nicht beweisen kann, dass er echt ist, ist nicht echt.

Vor Facebook war es üblich, im Internet unter Tarnnamen unterwegs zu sein. Die Klarnamenpflicht hat die Regeln geändert. Und groteskerweise dazu geführt, dass auf diesen Seiten erst recht getrickst und getäuscht wird. Im Netz kursieren Anleitungen, die erklären, wie sich unechte Profile erkennen lassen. Gleichzeitig gibt es Seiten, auf denen gezeigt wird, wie man ein Video für andere Personen im Chat so abspielen kann, dass das Gegenüber den Schwindel nicht bemerkt.

Männer nützen dieses Wissen etwa, um an freizügige Bilder von Mädchen zu kommen. Sie spielen Videoschleifen vor, die suggerieren, beim Partner im Chat handle es sich um einen makellosen Jüngling, während auf der anderen Seite in Wahrheit jemand ganz anderes sitzt.

Louisa Jacardi alias Melanie Schmidt fand immer neue Wege, Jakob zu täuschen: Mal sagte sie, sie sei technisch nicht in der Lage, mit ihrem iPhone aktuelle Fotos von sich zu verschicken, mal ging ihr angeblich alles zu schnell, wenn er einen Videochat vorschlug. Bis zuletzt, selbst als sie im Netz längst ein Paar sind, hat sie immer Ausreden parat, warum sie nicht mit Bild chatten können. Mal leidet sie an einer Hirnhautentzündung, mal unter zu viel Stress. Kurz bevor sie ihn das erste Mal besuchen soll, macht sie einen Rückzieher: Ihr Bruder Daniel habe sie gewarnt. Es gebe so viele gefälschte Profile.

Wenn sie nicht bekommt, was sie will, droht sie mit Kontaktabbruch. Fühlt sie sich von Jakob in die Enge getrieben und droht ihr Spiel aufzufliegen, erniedrigt sie ihn. Aus der unterwürfigen Anpassung wird plötzlich Aggression. Er halte sich wohl für etwas Besonderes, sie dagegen halte niemanden für etwas Besonderes.

Natürlich erscheint Jakob bei der Geschichte naiv, das weiß er selbst. Aber er würde es eher »an seine Träume glauben« nennen. An seine Träume glauben muss er als deutscher Schauspieler in Los Angeles. Filme können immer auch nicht zustande kommen, und so sind im Filmgeschäft eigentlich alle im Zustand des angespannten Wartens. Die Warterei wird dadurch erträglich, dass die Hoffnungen und Erwartungen bezüglich künftiger Projekte möglichst fantastisch sind. Aber natürlich ist er dadurch auch für Illusionen anfällig geworden.

Anlagebetrüger haben ihren Erfolg nicht, indem sie sich an irgendwelche Normalsterblichen wenden, denen sie fünf Prozent Zinsen versprechen. Sie wenden sich an erfolgreiche Geschäftsleute, die selbst gern die Regeln bis an den Rand des Legalen dehnen, und versprechen ihnen zwanzig Prozent. Was, wenn man sich das Angebot entgehen lässt und der Konkurrent auf einmal die Millionen macht?

Louisa war zu gut, um wahr zu sein. Vor allem aber war sie zu gut, um sie sich entgehen zu lassen. Dabei übersah Jakob, dass er sich im Grunde nur von Puzzleteilen blenden ließ. Alle Bilder zeigten Louisa im Halbprofil oder mit Sonnenbrille. Melanie Schmidt hatte Fotos mindestens sechs verschiedener Frauen benutzt.
Von Jakob kannte Louisa nicht viel mehr als Dutzende von Fotos, die ihn posierend zeigten. Seinen vollkommenen Körper, er geht fünfmal die Woche ins Fitnessstudio; sein männliches Gesicht, die melancholischen Augen.

Ein großer Teil der Nachrichten, die das Paar sich schickte, dreht sich darum, welches Pferd sie irgendwann kaufen wollen, welcher Agent gut ist. Manchmal macht sie ihm Eifersuchtsszenen, wenn er das Bild einer anderen mit einem »Gefällt mir« versieht. Dann muss er die Freundschaft wieder kündigen. Er fühlt sich geschmeichelt, weil die Eifersucht doch heißen muss, dass er ihr etwas bedeutet. Er war verliebt, zum ersten Mal seit Jahren. Verliebt in eine schöne Stimme, die seine Worte wiederholte. Er liebte Kinder? Sie liebte Kinder. Er trank nicht? Sie trank nicht. Er machte Charity? Sie machte Charity.

Es ist ein wenig wie in der Geschichte von Narziss und Echo: Echo wurde von Hera dazu verdammt, nur noch die letzten Worte, die jemand an sie richtete, zu wiederholen. Sie verliebt sich in den schönen Jüngling Narziss, kann ihn aber wegen des Fluchs nicht ansprechen. Als sie ihm folgt, während er auf der Hirschjagd ist, hört er sie und ruft nach ihr. Es kommt zu einem kurzen Wortgeplänkel, das er für einen Dialog hält, dann zeigt sie sich ihm. Er weist sie zurück. Narziss konnte sich nur verlieben, weil Echo sein konnte, wen immer er sich vorstellte. Mehr noch: Sie konnte alle Frauen sein.

Auch wenn Echo wunderschön gewesen wäre, wäre Narziss nicht interessiert gewesen, wenigstens nicht dauerhaft. Das ist heute die Tragik des Narzissten: Er erträgt die Limitierungen der realen Welt nicht.

Auch Melanie Schmidt war klar, dass Jakob sie zurückweisen würde, wenn er ihr wahres Gesicht erblickte. Aber solange das nicht geschehen war, wusste sie genau, was sie ihm sagen musste.

Nachdem die Nicht-Existenz von Louisa aufgeflogen und Louisas Profil und die Seiten ihrer erfundenen Freunde gelöscht worden waren, blieben Melanie Schmidt und Jakob in Kontakt. Zuletzt drängte sie ihn, sich mit ihr zu treffen. Sie sei schließlich Louisa. Wenn er sich weigere, sei dies ein Zeichen, dass Louisa – von der sie ihm gegenüber immer noch spricht, als sei sie eine Person – immer recht gehabt hatte, als sie befürchtete, ihm gehe es nur um ihr Aussehen. Sie, Melanie, könne nicht alles so leicht hinter sich lassen wie er, ihre Gefühle seien schließlich echt. Sie liebe ihn.

Für ein Gespräch mit dem SZ-Magazin stand Melanie Schmidt zunächst nicht zur Verfügung. Statt zu antworten richtete sie über Jakob aus, es würde ein schwerer Weg für sie werden, sich mit ihrem Handeln auseinanderzusetzen, da wäre ein Zeitschriftenartikel nur belastend.

Nach einigem Hin und Her erklärte sie sich doch bereit, Fragen per Mail zu beantworten. Mal droht sie mit ihren Anwälten, sagt, sie kenne ihre Rechte, mal wirkt sie geradezu ergeben. Im Umgang mit Melanie Schmidt entsteht unweigerlich ein gewisses Unbehagen.

Der Kick, das Spiel auszureizen, sei zu groß.


Von einer solchen Irritation beim Gespräch mit Betrügern berichtet auch die Psychologieprofessorin Heidi Möller, die mehrere Jahre lang in einer Justizvollzugsanstalt gearbeitet hat. Sie sei dort immer vor den Betrügern gewarnt worden. Selbst im Therapiegespräch wisse man nie, woran man sei. Ist also Melanie Schmidt wirklich verreist, wenn sie sagt, sie sei nun für drei Wochen in Florida und der Karibik? Hat sie sich tatsächlich wegen dieses Artikels mit zwei Anwälten beraten und zuvor bei zwei Polizeiwachen selbst angezeigt?

Offensichtlich hat sie Angst davor, sich strafbar gemacht zu haben. Sie spielt in den Antworten ihre Verantwortung herunter. Sie habe Louisa zusammen mit zwei Freundinnen erfunden. Eine der Freundinnen sei damals gerade von ihrem Freund verlassen worden, weil dieser eine Frau auf Facebook kennengelernt hatte. »Es war ein bunter Abend, und nach ein paar Gläsern Wein« seien drei Profile entstanden: Louisa, ihre Cousine Sara und ihr Bruder Daniel. Ein Spaß, um zu sehen, wie viele Kontaktanfragen kommen, wenn man einfach ein paar hübsche Bilder nutzt. Besonders Louisa sei rasch so beliebt geworden, dass sogar echte Bekannte von Melanie Schmidt unter den Interessenten waren. Meistens hätten die Kontaktsuchenden behauptet, Louisa irgendwoher zu kennen. Jakob dagegen habe sofort zugegeben, nur auf das hübsche Foto hin geschrieben zu haben. Eine Ehrlichkeit, die ihr Interesse geweckt habe, schreibt Melanie Schmidt.

Von Anfang an habe sie das Gefühl gehabt, »um jeden Preis« verhindern zu müssen, irgendwann zu sagen, dass es Louisa gar nicht gibt. Seine Ernsthaftigkeit habe sie überrumpelt. Sie sei ein anderer Mensch geworden, habe es als einen Teufelskreis erlebt, immer weitermachen zu müssen, um Jakob nicht das Herz zu brechen. Sie habe ein schlechtes Gewissen gehabt, »das mich immer wieder lieb und herzlich werden ließ, wenn es ihm schlecht ging«. So habe sie gelogen und die Geschichte mit Jakob dadurch verlängert, gleichzeitig aber gehofft, alles würde aufhören. Sie habe fast genauso sehr gelitten wie Jakob.

Melanie Schmidt stellt es so dar, als sei die Initiative im Grunde immer nur von Jakob ausgegangen. Habe er sich mal einen Tag nicht gemeldet, habe sie das »fast wie Urlaub« empfunden. Die Psychologin Möller sagt, ihrer Erfahrung nach könnten Betrüger nur schwer aufhören. Der Kick, das Spiel auszureizen, sei zu groß.

Ernsthaft den Kontakt gesucht zu Jakob habe sie erst, erzählt Melanie Schmidt, als der die Wahrheit kannte. Kurz habe sie sogar geglaubt, sie sei in ihn verliebt. Noch im Februar 2013 bittet sie ihn um ein Telefonat. Sie sei eifersüchtig und ihm sei es ganz egal, weil er sie nur »ganz nett« finde. Einen Tag darauf schreibt sie ihm, dass sie ihn liebe.

Der Nachrichtenaustausch der beiden spricht eher dafür, dass Melanie Schmidt an dem Katz-und-Maus-Spiel immer mehr Gefallen fand, je länger es dauerte, und dass sie die Macht, die sie über Jakob besaß, genoss. An manchen Mails schrieb sie mehrere Stunden. Louisa war Teil ihres Lebens geworden.

Melanie Schmidt hat Louisa im Jahr 2008 erfunden. Sie sagt, sie habe mit drei Männern einschließlich Jakob ein engeres Verhältnis gehabt, etwa 500 Leute waren mit ihr befreundet. Unter dem Namen Louisa Jacardi findet sich heute noch eine alte MySpace-Seite, mit dem Foto eines Models namens Nofri Gaillard als Profilbild, ein leerer Youtube-Kanal und ein Konto bei Soundcloud mit einem Lieblingslied, dem Reckoning Song. Reste eines erfundenen Lebens. Eine der »Freundinnen«, mit der zusammen sie angeblich Louisa erfunden hat, ist immer noch auf Facebook aktiv. Sie nutzt Bilder und den Namen des Models Elisa Sednaoui. Tausend Menschen haben ihre Status-Updates abonniert. Das Spiel muss weitergehen.

Illustration: Arne Bellstorf