Der amerikanische Internetkonzern Facebook steht wegen seines zweifelhaften Umgangs mit Hasskommentaren, Gewaltdarstellungen und Falschmeldungen seit längerer Zeit unter Druck. Seit Herbst 2015 lässt Facebook nun auch in Berlin Beiträge löschen, mit Hilfe der Bertelsmann-Firma Arvato. Doch Details zu den genauen Löschregeln oder zu Qualifikation und Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter, die dort jeden gemeldeten Beitrag überprüfen, hält die Firma bis heute geheim. Reportern des SZ-Magazins ist es in monatelanger Recherche gelungen, mit vielen derzeitigen und ehemaligen Mitarbeitern der Berliner Löschtruppe zu sprechen – und Einblicke in ihre Arbeit und die internen Löschregeln von Facebook zu erhalten.
Den vom SZ-Magazin befragten Mitarbeitern ist es eigentlich untersagt, mit Journalisten oder Politikern zu reden. Doch sie wollen ihre Arbeitsbedingungen öffentlich machen. Sie sind die unsichtbaren Leidtragenden, die für Facebook Inhalte möglichst schnell entfernen sollen – aber sich für diese Arbeit oft nicht ausreichend vorbereitet und psychologisch betreut fühlen. Viele berichten von Stress, Überlastung und unübersichtlichen Vorgaben, welche Inhalte gelöscht werden müssen und welche nicht. Viele klagen auch über schwere psychische Probleme, die durch das Sichten von oftmals schockierenden Inhalten wie Folter, Mord oder Kindsmissbrauch hervorgerufen werden. Mit ihren Problemen fühlen sie sich die Mitarbeiter allein gelassen – professionelle Hilfe stehe ihnen nicht ausreichend zur Verfügung.
Die Titelgeschichte des SZ-Magazins ist der erste Einblick in das verschwiegene Geschäft der Löschtruppen in Deutschland. Mehr als 600 Menschen aus verschiedenen Ländern arbeiten für Arvato im Auftrag von Facebook in Berlin. Es gibt unter anderem Teams für die Sprachen: Arabisch, Türkisch, Italienisch, Französisch. Viele der Angestellten sprechen kein Deutsch. Das Gehalt liegt nur knapp über dem Mindestlohn. Im arabischen Team arbeiten auch Flüchtlinge, die dem Krieg in Syrien entkommen sind und nun in Deutschland in Schichtarbeit Enthauptungsvideos und Terrorpropaganda sichten müssen. Alle berichten von strengen, oft undurchsichtigen Vorschriften, die sich oft ändern.
Das Arbeitspensum der untersten Hierarchiestufen liegt bei etwa 2000 zu prüfenden Beiträgen pro Tag. Höher gestellte Mitarbeiter, die auch Videos begutachten, haben nur etwa acht Sekunden Zeit für ihre Löschentscheidung.
Auch die geheimen Löschregeln, nach denen Inhalte bei Facebook entfernt werden müssen, liegen dem SZ-Magazin in großen Teilen vor. Es ist eine Art firmenintern definierte Form der Meinungsfreiheit, in dem der Konzern genau vorschreibt, was zensiert wird und was zirkulieren darf. Über die genaue Entstehung dieser Regeln macht Facebook grundsätzlich keine Angaben.
Lesen Sie hier die Titelgeschichte aus dem SZ-Magazin mit SZ-Plus
Illustration: Sead Mujic