Noch mehr Geborgenheit

Auch in der Online-Fantasiewelt Azeroth können Freundschaften entstehen. Portrait einer 34-jährigen Managerin, die erst bei World of Warcraft zu sich selbst gefunden hat. Mit Audio-Slideshow über eine LAN-Party.

    Wenn Daniela ihre Freunde trifft, töten sie manchmal. In der Gruppe, weil das mehr Spaß macht als alleine. "Ich frag mich, was andere Leute nach der Arbeit tun, wenn sie keine Lust haben rauszugehen", sagt sie. Daniela sitzt abends zuhause am Schreibtisch, darauf der Porzellanaschenbecher mit einem Bild vom "kleinen Arschloch", der Comicfigur, die untenrum unbekleidet ist. Daneben steht ihr Computer. Zuhause, das ist in Heilbronn. Dort erzählt Daniela nicht allen, dass sie World of Warcraft (WoW) spielt, ein Online-Rollenspiel, das die bayerische Landesregierung nach dem Amoklauf in Winnenden verbieten wollte . "Das passt nicht zu dem Bild, das die Leute auf der Arbeit von mir haben", sagt sie, und will deshalb nicht, dass ihr Nachname in diesem Text steht.

    Wenn Daniela arbeitet, leitet sie ein Team von 39 Mitarbeitern in einer Firma für IT-Support. Wenn sie nicht arbeitet, leitet die 34-jährige bei WoW die Gilde Bellum. Bellum ist Lateinisch und heißt Krieg. Weltweit zahlen 11,5 Millionen Menschen bis zu 13 Euro monatlich für ein WoW-Abo. Zu Bellum gehören 22 aktive Mitspieler. Sie treffen sich im Netz, in der Fantasiewelt Azeroth, die ein bisschen aussieht wie Der Herr der Ringe: Wälder, Dörfer, Schluchten und Monster. Dort besiegen sie Feinde und lösen Aufgaben. Der aktuelle Gegner ist eine Wolke aus Totenköpfen und Knochen, sehr groß, sehr schwer zu besiegen. Daniela heißt dann Viviana und spielt eine untote Priesterin mit Wespentaille. "Der Charakter kann nichts wirklich gut, aber vieles gut genug, um sinnvoll zu sein", sagt Daniela. Als Gildenleiterin stimmt sie ab, ob alle Spieler Zeit haben, Sonntag zwischen sieben und zehn zum Beispiel. Drei Mal pro Woche vier Stunden. Das Spiel kann süchtig machen. Acht Prozent aller Spieler verbringen zu viel Zeit in der Fantasiewelt. Sie gehen nicht mehr zur Arbeit oder in die Schule.

    Daniela sagt, sie hatte nie Angst, süchtig zu werden. "Es gab immer etwas, was ich außerhalb des Spiels schaffen wollte." Ihr Abitur innerhalb eines Jahres nachholen, das Wirtschaftsinformatik-Studium in sechs Semestern, die Teamleitung in der Firma. Das Studium klappte nicht, weil sie Vollzeit in der Firma einstieg. „Im Spiel habe ich gemerkt, dass Gruppenleitung für mich funktioniert“, sagt sie. Durch WoW sei sie selbstbewusster geworden. Ehrgeizig sei sie schon immer gewesen und sei es noch. "Es ärgert mich, wenn andere Gruppen etwas schaffen und wir nicht. Dann werde ich ein Stück weit zickig", sagt sie. "Aber da ich die Zeit nicht mehr habe, jede Nacht bis zwei Uhr zu spielen, ist mein Ehrgeiz inzwischen eher, dass es Spaß macht."

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    Ohnehin gehe es nicht ums Spielen, sondern um die Gemeinschaft. 60 Prozent aller WoW-Spieler formieren sich in sozialen Gilden. Dort ist das Miteinander wichtiger als Kämpfe im Spiel zu gewinnen. Der Kontakt läuft über Chatkanäle. Viele Spieler sitzen mit Headset vor dem Computer, damit sie die Stimmen der anderen hören können. Daniela klingt gut. Wie jemand, der Märchen vorlesen kann. Leise und sanft und so, als könnte man zu ihrem süddeutschen "nimmer" gut einschlafen, müsste man sich nicht auf die Totenkopfwolke konzentrieren.

    Die Gilde spricht nicht nur über den Gegner, sondern auch über persönliche Dinge. Dass es schlimm war auf der Arbeit, oder spannend bei Deutschland sucht den Superstar. Online-Rollenspiele wie WoW sind soziale Milieus, sagt Nicholas Yee. Er hat für die Universität Stanford in Kalifornien 40 000 Spieler befragt. Die Gildenmitglieder würden sich wie Freunde in der realen Welt unterstützen. Und wie in der realen Welt achten sie darauf, Freunde zu bleiben: Gute Manieren sind wichtig. Auf der Internetseite www.wow-europe.com heißt es: "Euer Ruf folgt euch durch die gesamte Spielerkarriere.“ Wer bei WoW eine Schatztruhe plündert, obwohl die Mitspieler noch kämpfen, gilt als unhöflich. Heilmittel sollten für verletzte Gruppenmitglieder genutzt und nicht für sich selbst behalten werden. Und wer einen Gegenstand erbeutet, den er nicht gebrauchen kann, sollte ihn einem Freund geben, anstatt ihn zu verkaufen."

    Wissenschaftler sind sich einig: Aggressive Spiele können aggressives Verhalten fördern . In WoW wird zwar auch gekämpft. Aber die Spieler lernen dort noch etwas anderes: hilfsbereit zu sein und zusammenzuarbeiten. Eigentlich ist WoW-Spielen so, wie Kegeln im Verein. Der Stammtisch trifft sich im Internet. Und wird ab und zu in die wirkliche Welt ausgelagert. Manchmal fahren Daniela und ihre „Bellums“ ein Wochenende aufs Land und feiern gemeinsam Silvester. Und manchmal wird aus Gemeinschaft im Internet auch Liebe. "Ich habe schon Hochzeiten erlebt. Die ersten bekommen jetzt Kinder", sagt Daniela.

    Sie selbst hat keinen Freund. "Es ist schon doof, wenn man keinen Partner hat. Aber wenn es richtig doof ist, geh ich on." Von einem Ex-Freund ist der Kleines-Arschloch-Aschenbecher geblieben. Wenn sie nicht Computer spielt, liest sie Fantasybücher. Wenn sie beruflich in Hotels ist, schaut sie fern. Aber das sei ihr eigentlich zu einsam. Deswegen sei WoW so schön. "Da kann ich mitmachen. Außerdem kann man im Spiel viel für die wirkliche Welt lernen." Sich in eine Gemeinschaft einzufinden zum Beispiel. "Es ist Klassen- und Aussehensunabhängig. Es ist eine Chance, nach dem beurteilt zu werden, was man ist", sagt sie. Einer sei ihr im Spiel besonders aufgefallen. Er habe den anderen immer bei Computerproblemen geholfen und nie die Geduld beim Erklären verloren. Sie hat ihn eingestellt. "Er ist mein bester IT-Techniker", sagt Daniela.

    Sehen Sie auf der nächsten Seite eine Audio-Slideshow über das Gemeinschaftserlebnis bei einer großen LAN-Party.