Schenken

Filme, Musik, Spiele: Fast alles, was neu ist, gibt es sofort als illegalen Download. Das Argument der Raubkopierer: Jeder soll Zugang zu allen Informationen haben. Ein Kenner erklärt die "Warez"-Welt

    SZ-Magazin: Herr Sen, warum kann man sich heute fast jeden Film kostenlos im Internet anschauen?
    Evrim Sen: Dahinter steckt eine Gruppe von Menschen, die sich selbst Warez- oder Release-Szene nennt. Wenn irgendwo ein neuer Film in die Kinos kommt, wollen sie ihn im Internet veröffentlichen, am besten noch vor dem Kinostart.

    Wie kommen diese Leute denn an die Filme ran?
    In der Regel über Kontakte aus der Filmbranche – sogenannte Supplier. Das können Mitarbeiter von Special-Effect-Firmen sein, Cutter, Schauspieler oder Kinobesitzer. Die haben Zugang zu den Filmen, meist bereits in digitalisierter Form und ohne Kopierschutz. Aber warum sollten solche Profis Filme an irgendwelche Internet-Piraten weitergeben?
    Weil sie im Gegenzug auf die Server der Warez-Gruppen zugreifen können. Vielleicht interessiert sich der Cutter für Serien oder Pornofilme? Oder das E-Mail-Passwort seines verhassten Kollegen? Kein Problem – bei den Warez-Gruppen bekommt er alles. Umsonst.

    Was geschieht, wenn eine Warez-Gruppe einen Film zugespielt bekommen hat?
    Der Film muss innerhalb kürzester Zeit ins Netz gestellt werden. Die Gruppe, die schneller ist als die anderen, bekommt Respekt und Anerkennung – genau wie beim Sport.

    Meistgelesen diese Woche:

    Wie viele Menschen gehören denn der Szene an?
    Es gibt einen harten Kern, zu dem die Leiter der Warez-Gruppen und ihre direkten Handlanger gehören. Weltweit gibt es davon etwa 2000, in Deutschland 300. Dazu kommen Mitglieder, die nicht direkt in den Führungsebenen sind. Insgesamt kommt man auf rund 15 000 Menschen, in Deutschland sind es 2000.

    Und die stellen wirklich alles ins Netz, was in die Kinos kommt?
    Ja, so ziemlich jeder Film gelangt ins Netz. 2005 gab die Technische Hochschule Aachen eine Studie heraus. Sie machte deutlich, dass damals 94 Prozent aller US-Kinofilme im Netz heruntergeladen werden konnten, davon zwei Drittel bereits vor dem Start.

    Sie sprechen von sportlichem Wettkampf, aber es handelt sich doch um Straftaten. Filme sind urheberrechtlich geschützt, die unerlaubte Verbreitung ist Diebstahl.
    Der Warez-Szene geht es nicht ums Stehlen. Die Gruppen stellen die Filme nur auf ihre eigenen Server. Ein normaler Internet-User kommt dort gar nicht hin.

    Viele Filme sind von den Warez-Servern auf Tauschbörsen gelangt, wo sie dann jeder runterladen konnte.
    Jede Szene ist durchlässig. Denn schwarze Schafe gibt es immer. Über sie gelangen die Filme ins Netz. Nur: Bekommt die Szene dies mit, wird derjenige aus dem Kreis ausgeschlossen.

    Was für einen Begriff hat die Szene von geistigem Eigentum?
    Die Warez-Pioniere waren der Meinung, dass jeder freien Zugang zu allen Informationen haben und niemand mit einem geistigen Produkt Geld verdienen sollte. Diese Einstellung hat sich bis heute gehalten.

    Aber jedes Produkt hat doch auch einen materiellen Wert.
    Nicht in der Warez-Szene. Ein Film ist wie ein Fußballsticker. Man tauscht ihn.

    Können Sie verstehen, dass die Filmindustrie die Warez-Szene verurteilt?
    Natürlich. Aber es bringt nichts, der Szene die Schuld in die Schuhe zu schieben. Hätte die Industrie früher Angebote für kostenpflichtige Downloads geschaffen, wäre jetzt vieles einfacher.

    Inzwischen gibt es diese Angebote. Die Warez-Gruppen könnten die Filme legal herunterladen.
    Es werden ja nicht nur Filme kopiert, sondern auch PC-Programme, Musik oder e-Books. Man müsste schon alles frei ins Netz stellen, ohne Kopierschutz und Einschränkungen. Dann gäbe es eine Menge verwunderter Warez-Aktivisten, die sich eine neue Beschäftigung suchen müssten.

    Sie wurden schon Mitte der Achtziger Mitglied einer solchen Gruppe. Warum eigentlich?

    Ich habe meinen Computer geliebt und wollte wissen, was man alles mit ihm anstellen kann – auch die verbotenen Dinge. Die Leute in der Warez-Szene haben mir die Antworten gegeben.

    Und warum sind Sie heute nicht mehr dabei?
    Ich bin erwachsen geworden.

    ---
    Evrim Sen, 39, leitet eine Firma, die Marktforschungs-Software entwickelt. Er ist Autor des Buches No Copy. Die Welt der digitalen Raubkopie und mehrerer anderer Werke über die Hacker-Kultur. Der Schaden, den die Warez-Szene anrichtet, ist nach Angaben der Film- und Musikindustrie hoch: Allein in Deutschland sollen diesen Branchen durch illegale Downloads jährliche Verluste von 300 Millionen Euro entstehen.

    Gefällt Ihnen etwas nicht an diesem Text? Sind Sie anderer Meinung? Dann schreiben Sie eine Woche lang am SZ-Magazin mit! Bis zum 6. Mai sind alle Texte dieses Heftes unter sz-magazin.de/wiki offen für jeden, der sie verändern möchte.

    Illustration: Christoph Niemann