Mark Woollen hat in den Achtzigern in seinem Einzimmer-Kellerapartment mit einem Avid-Keybord angefangen, inzwischen logiert er mit 15 Mitarbeitern – vom Grafik-Designer bis zum Animations-Experten – im ehemaligen Büro von Arnold Schwarzenegger in Santa Monica. Er hat Trailer für die Filme großer Regisseure wie Terrence Malick, David Fincher, Werner Herzog, Spike Jonze, Sofia Coppola und Alejandro Gonzáles Iñárritu geschnitten.
SZ-Magazin: Sie haben für einige der in diesem Jahr für den Oscar nominierten Filme die Trailer geschnitten. Da wären: James Francos The Disaster Artist, Darkest Hour mit Gary Oldman oder das viel gelobte Sozialdrama The Florida Projekt. Werden Sie zur Verleihung eingeladen?
Woollen: Klar, aber ich werde an den hinteren Tischen platziert, die niemals on camera zu sehen sind. Letztes Mal saß ich zwölf Reihen hinter Ryan Gosling.
Sie hatten sein Gesicht monatelang auf dem Bildschirm, als Sie die Vorschau zu La La Land geschnitten haben. Er hat Ihren Namen vermutlich noch nie gehört. Stört Sie das?
Nein. Wenn ich mehr Aufmerksamkeit bräuchte, hätte ich mich nicht für einen Job entschieden, bei dem man die meiste Zeit in einem abgedunkelten Raum vor Bildschirmen sitzt. Meine Trailer haben keine Credits, aber eine Handschrift.
Wie kann man aus dem Material eines anderen eine eigene Handschrift entwickeln?
Indem man auch darin seinen Stil entwickelt: Im Intro wird eine Figur oder Szene etabliert, danach zieht der Rhythmus an, der entweder auf die Bilder oder auf die Musik geschnitten wird, gefolgt von einem Bruch, einer klitzekleinen Atempause und zum Schluss einem Cliffhanger, der nicht immer offensichtlich ist.
Die Psychologie eines Trailers?
Appetit machen.
Der erste Trailer auf Ihrer Webseite ist Schindlers Liste von Steven Spielberg. War das der Grundstein für Ihre Karriere?
Könnte man so sagen. Ich habe ihn mit 22 Jahren geschnitten. Die Branche wurde damals schlagartig auf mich aufmerksam, und ich habe mich kurze Zeit später selbstständig gemacht.
Erzählen Sie mal, wie es dazu kam, dass Spielberg Ihnen den Trailer für seinen Film anvertraute?
Das klingt, als er hätte Spielberg mir seinen Film persönlich übergeben. In Hollywood läuft das anders ab. Nach der Schule habe ich bei Universal Studios angeheuert, war einer von sehr vielen und für Filme wie Die Schöne und das Biest zuständig. Eine kleine Gruppe hat sich Schindlers Liste angeschaut, ich war zufällig dabei. Danach hatten alle mit den Tränen zu kämpfen. Anschließend wurden mehrere Cutter gebeten, einen Trailer zu schneiden. Ich habe auf die Emotionen, die dokumentarisch wirkenden Bilder und die Musik gesetzt, und eine Version fast ohne Dialoge geschnitten. In einer Szene ruft ein Mädchen »Bye-bye jews« und am Ende sagt Itzhak Stern »The list is life«. Das ist alles. Spielberg hat sich zur Überraschung aller für diese Version entschieden und nur zwei Bilder ausgetauscht.
Waren Sie bei dem Meeting dabei?
Nein. Ich war nur ein Rädchen im Riesengetriebe. Aber es fühlte sich gut an, dass ich Spielbergs Vision auf den Punkt gebracht hatte. Der Film hat sieben Oscars bekommen und war weltweit ein großer Erfolg.
Und dann rannten die Regisseure Ihnen die Bude ein?
Nicht direkt. Erst nachdem ich den Trailer für Traffic von Steven Soderbergh geschnitten hatte, das war 2000, war klar, dass meine Trailer nicht nur interessant sind, sondern auch das Publikum ins Kino locken.
Wer ruft Sie an und sagt, Mark, ich möchte, dass du den Trailer für meinen Film machst?
Mein Part fällt unter Postproduction und Marketing, und dafür sind Studio und Verleih zuständig, nicht der Regisseur.
Ach. Man stellt sich eigentlich vor, dass die Coen-Brüder neben Ihnen vor dem Schirm sitzen . . .
Ich habe sie noch nie persönlich kennengelernt. Sie leben in New York, sind scheu. Wir kommunizieren via Studio, per Mail und Telefon. Wir arbeiten inzwischen mehr als 20 Jahre zusammen, seit Fargo und The Big Lebowski.
Schicken die Coens wenigstens Champagner, wenn sie zufrieden sind?
Dafür sind sie zu beschäftigt! Nach dem Film ist bei den Coens immer vor dem Film. Im Ernst: Ein Trailer ist für Regisseure zwar wichtig, aber er ist ein Marketing-Werkzeug. Eine Ausnahme ist Alejandro Iñarritu. Seine Filme sind bei uns Chefsache. Er will mitreden, und ich will, dass er mitredet. Wir arbeiten seit 21 Gramm zusammen.
Was ist für Sie ein schlechter Trailer?
Der verrät den Film, in dem er dem Zuschauer zuviel verspricht oder nur Höhepunkte hintereinander abspielt. Er macht den Zuschauer zum Trailer-Opfer, weil der im Kino feststellt, dass der Film nicht mehr zu bieten hat als der Trailer. Auch fatal: Eine Schlüsselszene preisgeben, wie die, in der Leonardo di Caprio sich in The Revenant zum Schlafen in das tote Pferd legt.
Wie oft schauen Sie einen Film, für den Sie den Trailer schneiden?
Beim allerersten Mal schaue ich ihn immer ohne Ton, lasse nur die Bilder auf mich wirken. Danach immer abschnittsweise, es ist eine Sisyphos-Arbeit. Ein Prozess, der sich über mehrere Monate hinzieht. Ich entschlüssele die DNA des Films, sonst kann ich ihn nicht komprimieren. Danach geht es um Rhythmus, Tempo, Gefühl. Wenn ich neue Cutter anstelle, nehme ich mit Vorliebe Musiker. Was bei Regisseuren das Casting ist, ist bei uns die richtige Musik.
Zum Beispiel?
»Creep« von Radiohead hatte ich fünf oder sechs Jahre lang auf meiner Playlist, bevor ich den Song für The Social Network benutzt habe. Der Aufbau, die Botschaft, der Ton, all das passte perfekt zu der Collage aus Facebook-Fotomomenten.
Was muss ein Trailer kosten dürfen?
Eine Faustregel ist, dass das Marketingbudget so hoch ist, wie der Film gekostet hat. Davon fließen 20 Prozent in den Trailer. Ich rechne unterschiedlich ab, habe keine festen Tagessätze und vereinbare immer Pauschalen. Es fängt bei 10 000 Dollar an und hört bei 50 000 nicht auf.
Schindlers Liste kam 1994 ins Kino. Wie hat sich die Branche seither verändert?
Einige Monate vor dem Trailer wird heute online ein Teaser veröffentlicht und später noch weitere. Hinzu kommen die TV-Spots. Für Filme wie Finchers Gone Girl entwickeln wir die ganze Kampagne. Für Iñarritus The Revenant haben wir über ein Jahr verteilt immer wieder unterschiedliche Trailer, Teaser, Spots angefertigt. Als ich anfing, gab es noch nicht das Internet und die Fans, die alles sofort kritisieren oder beklatschen.
Lesen Sie die Kommentare?
Keine Zeit.
Auf welchen Trailer aus der letzten Zeit sind Sie besonders stolz? I’m not your Negro. Ein wichtiger Film und mir lag am Herzen, dass der Trailer so gut ist, dass man nicht an ihm vorbeikommt.
Welche fünf Trailer charakterisieren Ihre Arbeit am besten?
Oje. Ich bin Vater von Zwillingen. Das ist, als müsste ich entscheiden, welches meiner Kinder origineller ist.
Der seltsamste Auftraggeber, den Sie bisher hatten?
Ein Anruf aus Deutschland, ob ich nach Berlin kommen könnte, um das Material zu sichten. Sie könnten mir nicht verraten, wer der Filmemacher sei. Ich bat sie zu schicken, was sie hatten. Ungesehen nehme ich nur Filme von Regisseuren an, mit denen ich schon gearbeitet habe. Sie wollten nichts schicken. Also verabredeten wir einen Termin bei mir im Büro. Mir wurde das Material auf einem verpanzerten Laptop gezeigt und alle Beteiligten mussten ihre Handys in den Kühlschrank legen.
Das klingt nach Snowden!
Es war Citizenfour von Laura Poitras. Den Job hab ich dann natürlich doch angenommen. War interessant, denn ich finde oft Hollywood schon ziemlich geheimnisvoll. Projekte wie Fifty Shades of Grey haben einen Codenamen, und ich muss strenge Verträge mit Schweigepflicht und Geheimhaltung unterzeichnen.
Auf seiner Webiste »Die Criterion Collection der Filmvorschauen« sammelt und präsentiert Marc Woolen seine Film-Favoriten der Vergangenheit und Gegenwart.