Alex, mir stinkt's

In unserem Büro sitzen sich seit drei Jahren ein Schwerstraucher und ein Nichtraucher gegenüber. Und seit drei Jahren fragen wir uns: Wie zum Teufel geht das?

Kennen Sie das Hesse-Gedicht Seltsam, im Nebel zu wandern? Genau so geht es mir, wenn ich am Morgen in mein Büro komme. Wohin ich auch schaue, Rauch und Qualm. Scheint die Sonne, kann ich zusehen, wie Nikotinschwaden durch den Raum tanzen. Es stinkt nach Aschenbecher, Fäulnis und Tod. Ich komme mir vor, als würde ich meine Texte in Mordor schreiben, dabei habe ich meine letzte Zigarette vor zwanzig Jahren geraucht. Es schmeckt mir nicht, meine Augen brennen; was Rauch betrifft, bin ich sehr empfindlich. Und heute ist es manchmal so schlimm, dass ich sofort nach der Arbeit ein Schaumbad nehmen muss.

Schuld ist mein Kollege Alexandros. Er sitzt mir im Büro gegenüber, spricht nur, wenn es unbedingt sein muss, ist gescheit, lustig, aufrichtig, im Grunde ein Traumtyp - wenn er nicht nikotinsüchtig wäre. Er raucht nicht nebenbei oder weil er nervös ist, nein, Rauchen ist neben seiner Frau, dem Karlsruher SC und griechischen Philosophen seine ganz große Leidenschaft. Lieber verzichtet er auf ein paar Jahre seines Lebens als auf die nächste Zigarette, er ist da sehr konsequent. Auch mit Statistiken oder Bildern von schwarzen Lungen braucht man ihm nicht zu kommen. Sein Vater Christoforos hat geraucht, sein Großvater Georgios auch, die Tradition möchte er fortsetzen.

Eigentlich hat er immer, wenn ich ihn sehe, eine Zigarette in der Hand oder im Mund. Beim Schreiben, beim Telefonieren, selbst beim Aus-dem-Fenster-Schauen. Man kann von unserem Büro aus die Alpen sehen - ein Anblick, der in einer Firma viel Trost spenden kann -, aber das Fenster aufmachen und durchlüften, das geht natürlich nicht: Doppelfenster, Sicherheitsvorschrift, unser Büro liegt im neunten Stock. Eigentlich darf man in den Büros gar nicht rauchen. Es gibt Rauchmelder, aber es muss sich um Attrappen handeln. »Wie hältst du das nur aus?«, fragen die wenigen Kollegen, die überhaupt noch in unser Zimmer kommen. »Du bist doch Nichtraucher.« »Hab mich dran gewöhnt«, habe ich früher gesagt, heute sage ich gar nichts mehr, sie würden es doch nicht verstehen. Ich glaube, sie halten mich für tolerant.

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Am Anfang hat es mich auch gestört. »Alex, kannst du zum Rauchen nicht runtergehen?«, habe ich gefragt, »die anderen machen es doch auch.« Ich kann ihm nicht vorwerfen, dass er es nicht versucht hätte, eine Woche lang, aber wer am Tag zwanzig-, dreißigmal mit dem Aufzug vom neunten Stock ins Erdgeschoss und wieder zurück fährt, sollte sich nicht viel anderes vornehmen. Dazu kommt, dass er es würdelos findet, zusammen mit den anderen Süchtigen in einem viereckigen Raucherhäuschen zu stehen, und da kann ich ihm nicht widersprechen.

Er hat dann doch im Büro weitergeraucht. Kippe an, Kippe aus, Kippe an, so geht das seit Jahren. Hat er zwei Wochen Urlaub, stinkt es trotzdem, nur weniger frisch. Woran ich merke, dass er ein schlechtes Gewissen hat? Er meidet das Thema. Und ich sehe es an seinen Augen, wenn ich mal husten muss. Einmal hat er eine Flasche Febreze mitgebracht. Ich glaube, dass er sich sogar ein bisschen schämt. Er würde so gern Rücksicht nehmen - und schafft es nicht, obwohl er sonst so großzügig, ja ein richtiger Gentleman ist. Monatelang habe ich überlegt, das Büro zu wechseln, aber ich komme nicht von ihm los. Er ist so wunderbar unvernünftig, unmodern, unverkrampft, wo findet man das heute noch? Klar gäbe es nette Nichtraucherkollegen, aber der eine telefoniert zu laut, der zweite frühstückt warmen Leberkäse, der dritte sammelt unter seinem Schreibtisch leere Bionade-Flaschen. Alexandros würde Bionade nicht mal trinken. Er ist eher der Whisky-Typ. Keiner, der Tai Chi im Park macht.

Es ist halt so, dass ich ihm gegenüber wunderbar vergessen kann, dass es ein Büro ist, in dem wir sitzen. Jeder Montagmorgen fühlt sich an wie ein Freitagabend. Bei ihm kann ich Bach, Slayer oder Tokio Hotel hören, mit meiner Freundin am Telefon streiten, auf verbotenen Internetseiten surfen oder vom Traumhintern aus dem sechsten Stock schwärmen, ohne gleich ein Sexist zu sein. Bei ihm kann ich gut oder schlecht gelaunt, ironisch, zickig, traurig, neunmalklug sein, er würde es nicht mal kommentieren. Wir würden uns nie eine Facebook-Nachricht schreiben, sondern immer ein Bier trinken gehen oder den Mund halten. Wir haben noch nie über Kitas oder Altersvorsorge gesprochen, er ist mir noch nie auf die Nerven gegangen, wir lassen uns, wie wir sind. Wenn er eine Frau wäre - oh mein Gott, ich wäre am Ziel.

Manchmal bringt er mir einen Cappuccino, ohne dass ich ihn darum gebeten habe. Manchmal wetten wir um zehn Euro, welches Telefon als nächstes klingelt. Einmal hat er mir ein Champions-League-Spiel, das ich nicht sehen konnte, mit 87 SMS live mitkommentiert. Manchmal umarmt er mich, einfach so. Wenn einer mal keine Lust zu arbeiten hat, weiß der andere, was er zu sagen hat: »Ach, der? Ist beim Arzt.« Klappt wunderbar. Alexandros ist mein Freund geworden, ein Freund mit einem Makel, das schon, aber gibt es andere?

In einer Bürogemeinschaft ist es wie in einer Ehe. Man muss Kompromisse schließen. Man bleibt dort, wo man sich wohlfühlt, wo man sich nicht verstellen muss, und das geht nur bei ihm. Natürlich stört mich die Qualmerei, natürlich hätte ich mich gefreut, wenn er es geschafft hätte, aufzuhören, wenigstens im Büro, aber na ja, hat er halt nicht. Ich nehme es in Kauf. Jeder Jackpot hat einen Haken. Und was ist schon ein bisschen Rauch, wenn man sich mag, vertraut, liebt. Alex mit Rauch ist mir nun mal lieber als jeder andere ohne Rauch.

Ich habe mal nachgezählt: Wir sitzen uns jetzt drei Jahre gegenüber. Sind ungefähr 700 Arbeitstage. Macht 15 000 Zigaretten, die ich inhaliert habe. Ich glaube, bei 20 000 rauche ich eine mit. Und ja, ich weiß, Rauchen kann tödlich sein - aber das Leben auch.

Illustration: Jean Jullien