Kerstin Greiner schreibt:
Es gibt viele Vermutungen darüber, woher die Furcht vor Spinnen rührt. Eine besagt, dass die Spinne für den Schreck selbst steht. So ist das bei mir: Sehe ich eine Spinne, kriege ich so einen Schreck, von dem ich einen so schlimmen Schreck bekomme, dass ich mich noch viel mehr erschrecke. Ich schwitze fürchterlich, das Herz klopft, ich will schnell weit weg. Ich habe Furcht vor Spinnen, weil ich fürchte, mich zu erschrecken.
Eine andere Annahme besagt naheliegenderweise, dass die Furcht vor Spinnen evolutionär von der Furcht vor einer einst tatsächlichen Bedrohung kommt. Diese zweite Theorie stimmt bei mir auch. Ich erschrecke mich vor ihnen, weil sie mir signalisieren: Ich bin gefährlich, schau mich doch an, meine vielen Beine, meine Augen, mein behaarter Körper, allein die huschenden Bewegungen! Solche Lebewesen müssen was mit der Unterwelt zu tun haben, mit Tod, Teufel, Verdammnis.
Wieder eine andere These führt ins Mittelalter, wo Spinnen aus den Strohhaufen krabbelten, auf denen Pestkranke lagen. Viele Menschen glauben, dass Spinnen Krankheiten übertragen, und reagieren darauf mit Ekel.
Kurz gesagt: Man weiß nicht genau, woher diese Furcht stammt, und Forscher wundern sich, warum der Mensch sich nicht viel mehr vor anderen, gefährlicheren Kleintieren fürchtet, vor Wespen etwa. Ich frage mich, warum man sich nicht vor Kakteen oder Steckdosen fürchtet. Aber mit den Steckdosen in meiner Wohnung komme ich hervorragend zurecht, mit den Spinnen nicht. Wie auch immer: Etwa zehn Prozent der Deutschen sagen, dass sie sich vor Spinnen fürchten.
Was Frau Schneider über Mäuse rechts schreibt, kann ich nicht nachvollziehen. Wir hatten da neulich einen Disput, weil sie wiederum meine Abneigung gegenüber Spinnen nicht nachvollziehen kann, im Gegenteil, sie zog Mäuse und Ratten in die Diskussion hinein, die süßesten Knuddeltiere überhaupt. Früher wollte ich eine Ratte besitzen (trugen die Coolen im Gymnasium in ihrer Jackentasche) oder zumindest ein paar weiße Mäuse in einem Stall halten. Wir hatten allerdings schon zwei Katzen, da erschien mir das unvernünftig.
Für alle, die jetzt die Hände über den Kopf zusammenschlagen und rufen: Das sind doch Klischees! Frauen, die Angst vor Spinnen und Ratten haben, Frau Greiner, Frau Schneider, geht’s noch? – da entgegne ich: Es fürchten sich nun mal mehr Frauen als Männer. Vor Spinnen fürchtet sich etwa jede dritte Frau und nur jeder fünfte Mann. Überhaupt haben Frauen mehr Angst, wie Wissenschaftler des Nationalen Forschungsrats CNR in Rom herausgefunden haben, und das scheint an einer Genvariante zu liegen, die zu einer Serotonin-Störung führt. Der Entwicklungspsychologe David Rakison, Universität Pittsburgh, hat männlichen und weiblichen Babys Bilder von Spinnen gezeigt und ihnen dazu positive und negative Assoziationen geliefert. Die Mädchen prägten sich dann die negativen Assoziationen eher ein. Sie lernten also besser, sich zu fürchten. Das mag etwas mit unseren Vorfahren zu tun haben: Eine Abneigung gegen Spinnen könnte Frauen geholfen haben, gefährliche Tiere zu meiden, während in der männlichen Entwicklung ein kühnes Verhalten für eine erfolgreiche Jagd von Vorteil war. Rakison sagt auch, dass moderne Ängste wie die vor dem Fliegen oder vor Spritzen bei Männern und Frauen gleich verteilt sind. Noch ein Indiz dafür, dass die weibliche Spinnenfurcht etwas Archaisches ist, dem wir nicht so leicht entfliehen können.
Ich habe also sicher recht, wenn ich Spinnen nicht leiden kann, Ratten und Mäuse aber mag. Die zu fürchten ist überhaupt nicht logisch, Frau Schneider!
Susanne Schneider schreibt:
Mäuse? Eklig. Ratten? Noch viel ekliger. Und ich habe so was von recht damit. Ich brauche dafür weder befreundete Küchenpsychologen, die irgendwas von Urängsten oder unverarbeiteten Traumata schwafeln, noch Kolleginnen, denen es vor Spinnen graust, die aber im nächsten Augenblick säuseln, wie süüüß doch Mäuse seien mit ihren Knopfaugen und wie intelligent Ratten. Ja, irre süß, Mäuse haben mir meine halbe Kindheit versaut. Sie trieben in unserem Schwimmbecken, tot und angenagt oder halbtot und angenagt, fallen gelassen von der Nachbarskatze. Selbst nachdem jemand sie rausgefischt hatte, wollte ich in dem Wasser nicht mehr schwimmen, klar, oder? Und einmal, am Abend, sagte meine Mutter, ich solle die Papierkörbe ausleeren, einer stand gleich neben der Schlafzimmertür, ich nahm ihn, schüttete ihn aus, aber irgendwas lag fest an seinem Boden, ich fasste hinein und griff in eine zerfleischte Maus, die die Nachbarskatze, Bärle hieß sie, durch die offene Terrassentür reingetragen hatte. Ich weiß nicht mehr, ob ich mir zwei oder vier Stunden mit heißem Wasser die Hände gewaschen habe. Und vor Mäusen soll ich mich nicht ekeln?
Und vor Ratten auch nicht? Bloß weil sie doch so wahnsinnig sozial eingestellt sind? Wo ist denn da der Zusammenhang? Die klettern Abflussrohre bis ins Badezimmer hinauf! Die besetzen Abbruchhäuser, fallen Menschen an und infizieren sie mit Krankheiten! Kann schon sein, dass professionelle Psychologen über meinen Ekel tatsächlich Substanzielles sagen könnten, will ich aber alles gar nicht wissen, diesen Teil erledigt zum Glück Frau Greiner auf der Seite links, der es, wie schon angedeutet, vor Spinnen graust. Mir sind Spinnen übrigens total egal. Nee, süß sind sie nicht, keine Knopfaugen weit und breit. Aber Giftspinnen sind ja bei uns sehr selten, alle anderen lässt man halt da, wo sie sind, und wenn sie einen stören, nimmt man sie vorsichtig und bugsiert sie nach draußen. Das ist alles. Das Gewese um sie verstehe ich nicht.
Ich habe trotzdem mal heimlich gegoogelt. Mein Ekel vor Mäusen heißt fachsprachlich Murophobie und hat in der Tat sehr verständliche Gründe: Mäuse und auch Ratten stellten schon immer eine Gefahr für Lebensmittelvorräte dar und werden in Zusammenhang mit Müll, Unrat und Krankheiten gebracht. Na bitte, würde man eine Rangfolge der phobischen Vernunft erstellen, so wäre mein Ekel vor Mäusen viel besser nachvollziehbar als der vor Spinnen. Nur leider: Warum sich grundsätzlich viel mehr Frauen als Männer ekeln, kann kein Psychologe erklären, es müsse irgendwie an der Biologie liegen, heißt es.
Hamster, Meerschweinchen und Eichhörnchen mag ich auch nicht. Erinnern mich zu sehr an Mäuse und Ratten. Meine Tochter habe ich übrigens früher oft Mäusekind genannt. Das muss etwas mit Verdrängung oder Überkompensation zu tun haben. Aber ich finde, ich habe nichts aufzuarbeiten. Zwar wäre mein Leben leichter, grauste es mir nicht vor diesen Viechern, doch ändern kann ich es wohl auch nicht mehr. Lasst mich damit in Ruhe. Und lasst die Spinnen in Ruhe. So einfach könnte das sein. Aus die Maus, Frau Greiner.
Illustration: Brecht Evens