Der falsche falsche Fuffziger

Konrad Kujau, der Erfinder der Hitler-Tagebücher,  war so gut, dass seine Fälschungen viel Geld brachten. Jetzt stellt sich raus, dass sogar der Fälscher gefälscht wurde. Ein Krimi in kräftigen Farben.

Was meinen Sie? handelt es sich bei diesem Gemälde um »Der Sommer« eines namenlosen Künstlers? Um »Der Sommer« von Allround-Fälscher Konrad Kujau oder gar um das Original »Der Sommer« von Caspar David Friedrich von 1807?

»K. Kujau 1991« steht auf einem der Gemälde. Das muss einfach gefälscht sein, Jack Vettriano hat das Original doch selbst erst 1994 gemalt! »Nein«, sagt Petra Kujau. »Der Konrad hat das Bild als seines ausgegeben und irgendeine Zahl draufgepinselt.« Wer soll da noch durchblicken?

Als die Polizisten die Galerie in der Nähe von Dresden betreten, fällt ihr erster Blick auf eine Couch. Darauf sitzen Konrad Kujau und Adolf Hitler. Die Ermittler fotografieren die beiden lebensgroßen Puppen, kümmern sich dann aber nicht weiter darum. Denn sie sind wegen der Bilder gekommen, die in den Räumen herumstehen und auf dem Boden liegen. Die Galerie gehört Petra Kujau, einer entfernten Verwandten des bekannten Fälschers, den sie ihren Großonkel nennt. Der Verdacht: Petra Kujau soll Konrad Kujaus Fälschungen gefälscht haben.

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Mit der Durchsuchung der Galerie begann ein grotesker Fall, der die Polizei vier Jahre lang beschäftigte. Am Dresdener Landgericht fiel nun ein Urteil, in dem vor allem eines deutlich wird: Konrad Kujau hat seine Kunden, Fans und Feinde noch viel mehr genarrt, als ohnehin schon bekannt war.

Petra Kujau, nach eigenen Angaben 45, ist schlank, trägt die blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden, die Wangen rot gepudert. Sie kommt aus einem Dorf bei Dresden, sächselt leicht und ohne Luft zu holen. Von ihrem Großonkel Konrad, der im Westen lebte, hatte sie lange Zeit nur in der DDR-Presse gelesen: dass er die Hitler-Tagebücher gefälscht hat, dass der Stern 1983 darauf hereingefallen ist, dass Kujau ins Gefängnis musste. Nach der Wende besuchte er die Familie in Dresden. »Der Konrad hatte ein gutes Herz«, sagt sie. Er gab ihr Arbeit. Sie war damals gerade mit dem Gesangsstudium fertig und allein mit zwei kleinen Söhnen.

Sie kümmerte sich nun »um die Erschließung des Ostens«. Kujau war schon wieder gut im Geschäft, er kopierte jetzt Werke großer Maler: da Vinci, van Gogh, Monet, Klimt, Klee, quer durch die Kunstgeschichte. Er wurde eine Marke. Ein echter Kujau kostete bis zu 15 000 Mark. Petra Kujau organisierte Vernissagen, eröffnete 1999 mit ihm eine »Galerie der Fälschungen« in Berlin, begleitete ihn zum Graben in den Wald, als er einem Bild-Reporter vorgaukelte, er wisse, wo das Bernsteinzimmer versteckt sei. »Er hat alle verarscht. Nicht nur mit den Hitler-Tagebüchern, sondern immer«, sagt sie. Im Jahr vor seinem Tod fragte ihn ein Journalist der Sächsischen Zeitung, was denn in einem Lexikoneintrag über ihn stehen müsste. »Kujau, Konrad: Maler, Fälscher, Schlitzohr«, antwortete Kujau, »genau in dieser Reihenfolge.« Er starb 2000 an Magenkrebs.

Kurz vor seinem Tod, sagt Petra Kujau, habe er ihr seine restlichen Gemälde geschenkt. Sie eröffnete die Galerie bei Dresden und begann die Bilder bei Ebay zu verkaufen, etwa 380 Stück. Zwischen 600 und 3000 Euro zahlten die Sammler pro Bild. Nebenher eröffnete sie ein Fälschermuseum im baden-württembergischen Pfullendorf. Sie ließ die Kujau- und die Hitler-Puppe bauen; Kujau sollte im Museum an einem Schreibtisch sitzen und Hitler darüber hängen. Es sollte so aussehen, als flüstere er Kujau den Text für die Tagebücher ein. Das alles hätte dem Konrad gefallen, sagt Petra Kujau. Er habe sich immer gewünscht, dass jemand aus der Familie das Geschäft weiterführt. Aber als die Polizisten kamen, war es mit dem Geschäft vorbei.

»Ich musste sie anzeigen«, sagt Gabriele Sauler, 41 Jahre alt, Malerin, wie Petra Kujau schlank und blond. 1988 stand sie mit ein paar Arbeitsproben in Kujaus Atelier, er nahm sie als seine Schülerin auf. In ihrer Stuttgarter Galerie tut Sauler bis heute auch das, was Kujau tat: berühmte Gemälde nachmalen. Ihr fiel bei Ebay die Verkäuferin auf, die Kujaus mit Echtheitszertifikat anbot. So viele waren das, sagt Sauler, dass sich Sammler bei ihr meldeten. Wer schmeißt da so viele Kujaus auf den Markt? Deswegen habe sie genauer hingesehen. »Es waren so große und viele Bilder, die kann kein Maler in seinem Leben malen«, sagt sie. Sauler fuhr in das Fälschermuseum in Pfullendorf und befand: »Da hängt kein einziger echter Kujau drin.« Also zeigte sie die Museumsgründerin an.

Die beiden Damen streiten sich nicht zum ersten Mal darüber, wer mit dem Namen Kujau Geschäfte machen darf. Petra Kujau sagt, Sauler sei die »selbsternannte Meisterschülerin«. Sauler sagt, Kujau höchstpersönlich habe sie seine Schülerin genannt, als sie mit ihm einmal bei Sat.1 im Fernsehen war. Auch Petra Kujau tauchte in den ersten sächsischen Presseartikeln als »selbsternannte« oder »angebliche« Großnichte auf. »Ha! Das ist die größte Frechheit«, sagt sie. Natürlich sei sie mit Kujau verwandt: »Mein Urgroßvater und sein Großvater waren Cousins.«

Beim Stichwort Kujau wissen deutsche Polizisten, wen sie anrufen müssen: Ernst Schöller. Kriminalhauptkommissar Schöller, 56 Jahre alt, ist seit den Achtzigern am Landeskriminalamt Baden-Württemberg für Kunstdelikte zuständig. 1988 stieg er zum ersten Mal in Kujaus damaliges Kelleratelier in Stuttgart hinunter. Hundert Bilder nahm er mit. Kujau kopierte damals schon Gemälde. Das ist sogar erlaubt, wenn man ein paar gesetzliche Regeln einhält, zum Beispiel mit seinem eigenen Namen unterschreibt. Aber Kujau tat das oft nicht. Und Schöller war von da an hinter ihm her.

Alle sechs Monate habe er mal bei ihm vorbeigeschaut, sagt Schöller. »Mit dem Konny konnte man ganz locker reden.« Aber Kujau hat deswegen das Tricksen nicht gelassen. Mal erwischt ihn Schöller, wie er abwaschbare Farbe für die Signatur benutzt; mal lässt Kujau einen Kunststudenten einen Andy Warhol malen und schreibt »Kujau« drunter. Es wird niemals langweilig.

Wer soll da noch durchblicken?

Konrad Kujau, Maler, Fälscher und Schlitzohr. Nachdem er wegen den gefälschten Hitler-Tagebüchern im Gefängnis gesessen hatte, verdiente er mit Kopien von Meisterwerken viel Geld – bis zu 15 000 Mark pro Bild.

Als Kujau aus Baden-Württemberg wegzieht und schließlich stirbt, denkt Schöller: »Das war’s.« Jahre später – Schöllers kurze Haare und der Bart sind grau geworden – klingelt das Telefon, und ein Dresdener Kollege sagt: »Wir haben hier wieder Kujau.«
Schöller rückt mit den sächsischen Polizisten zur Durchsuchung an. Über die Hitler- und Kujau-Puppen will er heute am liebsten gar nicht mehr reden. »Also wirklich, wer lässt denn solche Puppen machen und packt sie nebeneinander auf eine Couch?«, fragt er. Eins wird den Ermittlern schnell klar: Petra Kujau hat nicht Konrads Chuzpe. Sie war baff und hatte Angst. »Der Konny hätte bei der Durchsuchung sofort seine Freunde von der Bild-Zeitung angerufen, zum Fotografieren«, sagt Schöller. Stoßweise liegen in Petra Kujaus Atelier unsignierte Gemälde, Werkzeug zum Rahmen und fertig gerahmte Bilder mit Kujau-Schriftzug. Schöller urteilte: Die Bilder stammen wohl aus chinesischen Malwerkstätten und wurden hier mit »Kujau« signiert. »Da waren Arbeiten mit Kindern dabei, mit Tränen auf den Wangen. Das konnte der Kujau gar nicht so gut«, sagt Schöller. Sie fanden Quittungen für 380 verkaufte Gemälde. Petra Kujau beteuerte ihre Unschuld, doch die Sache sah eindeutig aus.

Die Staatsanwaltschaft schickte allen Käufern einen Brief. Darin stand, dass ihre Fälschung möglicherweise gefälscht ist. Die fünfzig teuersten Bilder wurden zur Begutachtung abgeholt – vom Spezialtransport, mit weißen Handschuhen angefasst, in Luftpolsterfolie verpackt.

In keinem Auktionshaus, an keiner Universität fand sich jemand, der etwas zu den Gemälden sagen wollte. Ein Kunstexperte rümpft die Nase, wenn er den Namen Kujau hört. Also suchten die Ermittler im Internet. Sie fanden: »kujau-experte.de«. Die Seite von Philipp Schnauthiel. Er ist Maler, 82 Jahre alt und Pressesprecher der Kreis-Senio-ren-Union Schwäbisch Hall. Ein kleiner Mann mit Brille und grauem Bart. Wenn er ehrlich sein soll: Er ist kein unabhängiger Kujau-Experte, sondern ein begeisterter Kujau-Weggefährte. Seit 1989 hat er mit Kujau zusammengearbeitet. Aber vor allem (und das sagt er den Dresdener Ermittlern erst einmal nicht): Er hat für Kujau gemalt.
Schnauthiel nahm den Experten-Auftrag an.

Im August 2010 trugen zwei Kunsttransporteure ein Bild nach dem anderen in seine Galerie. Zwei Polizisten und eine Videokamera schauten zu. Schnauthiel befand, es sei wohl keines der Bilder von Kujau. Und: »Siehe da, da waren zwei dabei, die ich gemalt habe.« Ein Dalí und ein Franz Marc. Meist habe er für Kujau aufwendige Klimts produziert, der zahlte ihn pro Bild, signierte es dann und verkaufte es als Kujau. Und da wäre noch etwas: »Kujau hat auch aus China importiert und mit ›Kujau‹ unterschrieben.« Schnauthiel war somit kein Gutachter mehr, sondern ein Zeuge. Die Ermittler stöhnten. Wie sollte man diesen Fall aufklären?

Petra Kujau hatte für jeden Vorwurf, der gegen sie erhoben wurde, ein Gegenargument. Nur eines gibt sie zu: Sie hätte keine Echtheitszertifikate ausstellen dürfen, weil sie nicht bei jedem Gemälde geprüft hat, ob es von ihrem Großonkel stammt. Und die Bilder aus China, die im Atelier gefunden wurden? »Die waren doch gar nicht signiert, die hätte ich nie als Kujaus ausgegeben.« Sie habe sie nur weiterverkaufen wollen an Kunden, denen ein echter Kujau zu teuer ist. Die vielen Bilder, obwohl Kujau schon so lange tot ist? »Er war sehr produktiv: Mirós hat er so fünf Stück am Tag gemacht.« Etwa 600 Bilder habe er ihr hinterlassen. Und was ist mit dem Bild von Jack Vettriano, auf dem »K. Kujau 1991« stand? Die Unterschrift muss gefälscht sein, Vettriano hat es erst 1994 gemalt! »Der Konrad hat das Bild als seines ausgegeben und irgendeine Zahl draufgepinselt«, sagt Petra Kujau. Einmal kamen Kunden, die wollten ein Bild, das er 1992 gemalt hat. Weil das für sie ein besonderes Jahr war. »Schwupps, hatte er am nächsten Tag eines von 1992 da. Er hätte auch 1800 draufgeschrieben. Er wollte nur die Kohle.«

Petra Kujau kommt verkleidet zum ersten Prozesstag. Sie hat eine rotbraune Perücke über das blonde Haar gezogen, sich dazu eine Brille mit dickem Rand ausgeliehen. Denn sie will ihre Ruhe vor den Pressefotografen. Experte Philipp Schnauthiel dagegen will, dass man ihn erkennt, und hat extra eine Baseballkappe aufgesetzt. Darauf steht: »Schnauthiel kujau-experte.de«. Weil er im Gerichtssaal nicht gebraucht wird, gibt er draußen Interviews. Drinnen unterbricht Petra Kujau den Richter, verbessert den Staatsanwalt. »Mir ist der Kragen geplatzt. Ich will hier nicht als Dreckschnitte dastehen«, sagt sie. Fehlte nur noch der Konrad. »Wenn der das erlebt hätte«, sagt Petra Kujau, »der hätte sich auf die Schenkel geschlagen. Der ganze Rummel wäre genau nach seinem Geschmack gewesen.« Hätte es ihn überhaupt gestört, wenn sie tatsächlich seine Bilder gefälscht hätte? »Mit Sicherheit nicht. Der hätte gesagt: Da warste clever.«

Wie es nun tatsächlich war, können Staatsanwaltschaft und Verteidigung nicht aufklären – alles viel zu verworren. Man trifft sich irgendwo in der Mitte. Petra Kujau wird im September wegen der Zertifikate verurteilt. Gewerbsmäßiger Betrug, zwei Jahre auf Bewährung, 150 Sozialstunden im Altenheim. Sie ist nun pleite, die Galerie zu. Hitler und Kujau liegen auf ihrem Dachboden und verstauben. Aber: Auch bei Konrad Kujau begann nach der Strafe erst die große Karriere. »Ich hab da noch ein Ass im Ärmel«, sagt sie. Das Ass heißt Karl und ist ihr Sohn, 21 Jahre alt. Er malt. Motive großer Meister und eigene. »Kalli, hab ich ihm gesagt, die Geschichte, die du drum rum hast, ist Gold wert.« Sie will die Galerie der Fälschungen mit seinen Bildern wiedereröffnen. Er darf signieren mit »K. Kujau«.

Fotos: Alfred Steffen