SZ-Magazin: Millionen Überstunden, mangelhafte Ausrüstung, mehr gefährliche Großeinsätze: Die Polizei sei am Limit, warnen Polizeigewerkschaften. Herr Herzog senior, würden Sie heute auch Polizist werden?
Artur Herzog: Jein. Der Beruf hat sehr positive Seiten, aber wenn ich mir anschaue, was in Hamburg rund um den G20-Gipfel passiert ist - da wollte ich nicht mit rein.
Ulrich Herzog: Der Respekt hat stark abgenommen, nicht nur auf Demonstrationen. Die Leute hinterfragen alles. Ob wir überhaupt das Recht hätten, einzuschreiten? Auf Grundlage welcher Paragrafen?
Die Bürger sind selbstbewusst, ist das nicht wünschenswert?
Ulrich Herzog: Doch, aber wir werden heute oft grundsätzlich attackiert. Mein Bruder ist auch Polizist. Er hat neulich einen Ladendieb in einem Kaufhaus verhaftet und den Täter dabei auf dem Boden gedrückt und festgehalten. Sofort haben sich mehrere Bürger eingemischt und meinen Bruder verbal angegriffen, obwohl er sich als Polizist ausgewiesen hat. Es ging so weit, dass einige ihn sogar vom Täter wegziehen wollten. Die haben sich mit dem Dieb solidarisiert.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Artur Herzog: An der Sozialisierung durch die Medien: Früher haben wir im Fernsehen John Wayne oder den Jungs von Bonanza zugesehen, die haben immer gerecht und fair gehandelt. In den Filmen heute sind oft die Brutalen die Erfolgreichen.
Ulrich Herzog: Wie im Gangster-Rap. Durch Kriminalität reich zu werden gilt da als erstrebenswert. Die Polizei muss als Feindbild herhalten.
Caroline Herzog: Außerdem werden viele Angriffe auf uns gefühlt zu schwach geahndet. Die Angst vor den Folgen ist nicht da, weil die Strafen sehr gering sind.
Herr Herzog senior, wie war es in den Sechzigerjahren, Streife zu laufen?
Artur Herzog: Wir hatten nicht genug Personal, um zu Fuß unterwegs zu sein. Uns stand nur ein Auto zur Verfügung, obwohl wir für zehn Ortschaften zuständig waren.
Früher war also nicht alles besser.
Artur Herzog: Nein, aber solche Anfeindungen, wie sie heute üblich sind, habe ich nicht erlebt. Nur in der Fastnacht vielleicht. Wenn wir da zu einer Prügelei vor einem Festzelt gerufen wurden, standen wir zwischen den Fronten. Aber meistens gab es dann eine Clique, die zu uns gehalten hat, eben weil wir so wenige Leute waren. In der Regel kamen wir allein oder zu zweit.
Frau Herzog, wie fühlte es sich an, 2015 erstmals auf Streife zu sein?
Caroline Herzog: Sehr ungewohnt, weil jeder mich angeschaut hat: Oh, die Polizei ist da. Die Menschen wurden ruhiger. Man merkt, dass man jetzt jemand Besonderes ist. Ich muss dazu sagen, dass ich in einer dörflichen Gegend unterwegs war, dort herrscht vielleicht noch mehr Respekt.
Mit welchen Worten wurden Polizisten früher beleidigt, wie ist es heute?
Artur Herzog: Ich wurde nie beleidigt.
Ulrich Herzog: Anfang der Neunzigerjahre war ich normaler Streifenbeamter in Mannheim, einer Arbeiterstadt. Da waren wir halt die »Schmier«, das kommt vom Schmierestehen. Was ich erst seit ein paar Jahren häufig erlebe, ist der Vorwurf, ein Nazi zu sein. Vergangene Woche haben wir die Wohnung einer libanesischen Familie durchsucht, wegen mehrerer Raubüberfälle. Sofort haben die uns als Nazis beschimpft.
Was ist mit »Bulle«?
Caroline Herzog: Ich glaube, das ist Umgangssprache, kein Schimpfwort mehr.
Es heißt oft, die Gewalt gegen Polizisten habe stark zugenommen. Statistisch lässt sich das nur für minderschwere Straftaten belegen, Beleidigungen, Bedrohungen, einfache Körperverletzungen. Ist Ihr Beruf wirklich gefährlicher geworden?
Ulrich Herzog: Ich war Ende der Achtziger als Bereitschaftspolizist bei Demonstrationen in Hamburg rund um die Hafenstraße und habe schon damals nicht verstanden, warum die Steine nach uns werfen. Ich habe aber den Eindruck, dass die Gewalt auf Demonstrationen jetzt wesentlich organisierter ist. Und dass heute nicht mehr Polizisten im Dienst schwer verletzt werden, liegt auch daran, dass viele Schutzwesten tragen, früher tat das niemand. Als ich anfing, wurde ein Kollege von einem Einbrecher mit einem Messerstich ins Herz getötet.
Caroline Herzog: Heute wird auch viel mehr dokumentiert, gerade bei Einsätzen während Demonstrationen. Das ist ja eigentlich positiv. Jeder hat heute ein Smartphone, jeder filmt, wie sich die Polizei verhält. Aber damit auch wir festhalten können, wie sich Personen gegenüber uns verhalten, müssen wir in den kommenden Jahren mit Bodycams ausgestattet werden.
Hat die Außenwirkung in der Ausbildung früher auch eine Rolle gespielt?
Artur Herzog: Ja, schon.
Caroline Herzog: Ihr habt doch aber viel mehr Strammstehen trainiert und wie eure Uniform richtig sitzt.
Artur Herzog: Ja, 1962 lebten wir Monate in einer Kaserne, zehn Mann je Stube. Jeden Morgen mussten wir marschieren. Wir haben gelernt, wie man Handgranaten wirft, obwohl Granaten nicht zur Polizeiausstattung gehörten. Und als ich ein Jahr nach meinem Diensteintritt heiraten wollte, wurde meine Frau geprüft: Sie musste ein einwandfreies Führungszeugnis vorweisen.
Mussten Sie mal etwas durchsetzen, was Ihnen sinnlos vorkam?
Artur Herzog: Am Anfang meiner Dienstzeit war es verboten, dass zwei Männer sich lieben. Ich musste Anzeigen wegen Unzucht bearbeiten. Das war mir peinlich, weil es oft ganz anständige Leute waren, denen ich keine Probleme machen wollte.
Ulrich Herzog: Grundsätzlich finde ich ergebnisoffene Prüfungen bestehender Gesetze sinnvoll. So hat ja vor Kurzem der Gesetzgeber unter strengen Auflagen Cannabis für Schmerzpatienten erlaubt.
Hatten Sie, Herr Herzog junior und Frau Herzog, nie den Wunsch, gegen Ihre Eltern zu rebellieren und beruflich etwas völlig anderes zu machen?
Ulrich Herzog: Wir sind sehr frei aufgewachsen. Mein Vater hat mich nicht kontrolliert. Daher ergab sich diese Frage nicht.
Haben Sie nie gekifft oder geklaut?
Ulrich Herzog: Nein. Aber auch ich habe jugendtypische Streiche gespielt. Und über meine Tochter kann ich sagen, dass sie sich seit ihrer Bewerbung bei der Polizei sehr stark selbst diszipliniert.
Caroline Herzog: Und ich kann mir ja keinen Beruf fürs Leben suchen, nur weil ich etwas gegen meine Eltern machen will.
Über welchen Polizeiwitz lachen Sie?
Ulrich Herzog: Im Krankenhaus wird ein Kind geboren und sagt: »a² + b² = c²«. Der Arzt schüttelt den Kopf: »Das Baby ist viel zu schlau, wir müssen ihm die Hälfte des Gehirns rausnehmen.« Nach der OP wird das Kind wieder untersucht und sagt: »a² + b² = c²«. Der Arzt: »Wir müssen ihm auch die andere Hirnhälfte entfernen.« Nach dieser OP sagt das Kind nur noch: »Fahrzeugkontrolle, Führerschein bitte.«