Während Raucher und Kneipenwirte noch nicht wissen, wie sie mit dem Rauchverbot umgehen sollen, hat Marlboro längst reagiert. »Marlboro Wides« heißt die Antwort: eine kurze, dicke Zigarette in silberner Packung. »Die lange Genuss-Zigarette wird abgelöst von der flotten Zwischendurch-Zigarette. Eine Art Nikotin-Espresso«, sagt der Mann im dunkelblauen Zweireiher. »Rauchverbote treiben mehr Leute auf die Straße, also entwickeln wir Produkte in Richtung schneller Kick.« Auch das Ende der Light-Zigarette sei eingeleitet. »Wir brauchen mehr Nikotin, weil die Kunden künftig schneller befriedigt werden müssen.«
Mit »wir« meint der Mann die Zigarettenindustrie, für die er offiziell nicht sprechen will. Ein Topmanager, der jährlich Milliarden Zigaretten verkauft, aber vor Kurzem selbst aufhörte zu rauchen. Er äußert sich nicht unter seinem Namen, aber was er anonym sagt, offenbart Strategien, wie seine Branche der Verbotspolitik immer einen Schritt voraus ist. »Wir können mit diesen Rauchverboten gut leben, glauben Sie mir.« Warum das so ist? »Ich will Ihnen einmal erklären«, sagt der Mann, »wie die Zigarettenindustrie funktioniert.« Ein Werbe- oder Rauchverbot komme großen Tabakkonzernen teilweise sogar entgegen. »Sie arbeiten unter Umständen gezielt auf Werbeverbote hin. Sie spielen den gelehrigen Schüler der Gesundheitspolitik, auch deutsche Politiker glauben tatsächlich: Die werden ja anständig. Dabei will der betreffende Konzern nur seine Marktanteile zementieren: Ich bin Marktführer, ohne Werbung gibt es wenig Verschiebung im Markt – also bleibe ich Marktführer. So einfach ist das«, sagt der Mann. Eine perfide Strategie. Ähnliche Mechanismen würden bei Rauchverboten greifen. »Je weniger Zigarettenschachteln auf einem Restauranttisch liegen, umso weniger komme ich in Versuchung, eine andere Marke zu probieren. Diese wirtschaftliche Rechnung lässt sich gut als ›verantwortungsbewusst‹ verkaufen.«
Ein Blick auf die Zahlen offenbart, was auf totale Rauchverbote in Irland, Italien und anderen Ländern für die Zigarettenindustrie folgte: Der Aktienkurs von British American Tobacco, Hauptmarke: Lucky Strike, ist in den letzten zwölf Monaten über 15 Prozent gestiegen, die Aktie von Japan Tobacco, unter anderem Camel, etwa 25 Prozent. Imperial Tobacco, mit West im Portfolio, legte mehr als 30 Prozent zu. So ist die Tabakindustrie der Freund eines jeden Bankers. »Die Kunden sind körperlich abhängig. Unser Umsatz ist dadurch exakt berechenbar, es gibt keine erratischen Einbrüche. Die meisten Kunden sind zudem ihrer Marke treu bis in den Tod.«
Tatsächlich gebe es Zigarettenmarken, die irgendwann mit ihrem letzten Raucher sterben, weil sie nicht mehr aktiv beworben werden. In Deutschland Marken wie Atika oder Peer, aber auch größere wie HB, Ernte, Camel. »Das sind Melkkühe«, sagt der Mann, »weil kein Cent für Marketing aufgewendet wird.« Da spart die Sucht viel Werbegeld. Etwa 1,5 Cent verdient die Industrie an jeder Zigarette. »Normalerweise stecken wir bei vitalen Marken 50 Prozent davon wieder ins Marketing. Bei aggressiven Strategien kurzfristig 100 Prozent und mehr.« Und das, obwohl seit dem 29. Dezember 2006 Tabakwerbung in Presse, im Internet sowie grenzüberschreitendes Sponsoring (zum Beispiel Formel 1) verboten ist. »Wir belegen jetzt auch noch die letzte Ecke in der Tankstelle an der Kasse – mit Hintergrundbeleuchtung. Werbung am Point of Sale ist ja nicht verboten.«
Das für Deutschland geplante Rauchverbot, so sagt der Mann, werde von der Branche allgemein begrüßt. »Die Ausnahmeregelungen sind für uns ein toller Erfolg. Ich sehe sogar neue Marketing-Ansätze.« Erste Strategien würden gerade auf die sogenannten deutschen Länderlösungen zugeschnitten. »Ich erwarte eine verstärkte Marketing-Präsenz bei Events, bei denen geraucht werden darf. Ich gehe davon aus, dass wir Raucherkneipen gezielt unterstützen. Interessant sind auch Vereinsgaststätten. Selbstverständlich liefern wir die komplette Ausstattung: Aschenbecher, Feuerzeuge et cetera. Wir denken aber auch über eine neue Form des Sponsorings nach für Vereine, die das Rauchen in ihren Festzelten oder Gaststätten erlauben.«
Ein totales Rauchverbot wie in Kalifornien, wo die Zigarette zudem gesellschaftlich geächtet sei, hätte den Konsum tatsächlich etwas belastet. »So verändert sich aber nur wenig«, da ist sich der Mann sicher. Vielleicht ein marginaler Umsatzrückgang, mittelfristig, wenn überhaupt. »Es gibt ja nicht plötzlich in Deutschland weniger Süchtige.« Der Anteil junger Raucher steigt sogar. 1995 meldete das Statistische Bundesamt einen Raucheranteil in der Gruppe der 15- bis 20-Jährigen von 18,2 Prozent. Zehn Jahre später, 2005, waren es schon 23,6 Prozent. Tendenz für 2006/2007: »leicht steigend.« Rauchen sei bei »jungen Erwachsenen« in. »Trotz oder gerade wegen der Verbote.«
Die Deutschen, sagt der Mann, hätten eine klare Vorstellung, wie ihre Zigarette auszusehen hat. »Sie hassen ein weißes Tipping, also Mundstück. Sie wollen einen Korkimitat-Filter. Weiß ist einem Deutschen zu sehr Chichi, deshalb ist auch das Papier nie reinweiß, sondern geripptes Vergépapier. Der Filter muss zudem weich sein. Deutsche kauen auf ihren Filtern herum, brauchen unbedingt ein weiches Feeling. Damit können sie ihre Zigaretten auch gut ausdrücken. Wichtig, denn: Der Deutsche zerstört seine Filter im Aschenbecher. In den meisten anderen Ländern wird die Zigarette nur ausgetupft.«
Die Tabakindustrie weiß viel über die ihr Verfallenen. Derzeit werde verstärkt mit Kakao, einer süßlichen Geschmacksvariante, gearbeitet. »Was bei der Verbrennung von Kakao passiert, ist nicht bis ins kleinste Detail erforscht, diesen Vorwurf kann man uns vielleicht machen.« Andererseits: »Jeder weiß doch, Rauchen ist ungesund.«
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