Medical Detectives, Criminal Intent, Markus Lanz – welche dieser Sendungen passt nicht in die Reihe? Richtig. Denn bei der Talkshow von Markus Lanz schlafe ich nie vor dem Fernseher ein. Warum, möchte ich später erklären. Einer Freundin von mir dagegen fallen sofort die Augen zu, kaum erscheint sein Gesicht spätnachts, »weil ich den so grauenhaft finde«. Der Logik kann ich nicht folgen. Anfangs dachte ich noch, ich könne bei ihm nicht einschlafen, weil ich Markus Lanz entgegen der landläufigen Meinung nicht grauenhaft finde, aber wie gesagt, das war zu Beginn meines Versuchs.
Längst weiß ich, dass nachts vor dem Fernseher ganz andere Kriterien gelten als »langweilig« oder »furchtbar« oder sogar »ziemlich gut«. Big Bang Theory gehört, trotz Lacher aus der Konserve, in die gute Kategorie. Drum schaut sie sich mein Mann auch nicht mehr an.
Wir haben beide ein schwieriges Verhältnis zum Schlaf. Was mich betrifft, ist das Einschlafen kein Problem, aber so gegen halb zwei wache ich häufig auf, und bis etwa vier Uhr läuft gar nichts mit Schlaf. Nicht immer, aber immer öfter. Allein bin ich damit nicht, wenngleich ich nicht rauskriege, mit wie vielen Deutschen ich mir dieses Problem teile: Die Webseite planet-wissen.de spricht von 25 Prozent Deutschen, die Schlafstörungen haben, laut Bayerischem Rundfunk leidet sogar jeder Dritte hierzulande darunter. Bei mir steckt, glaube ich, eine Melange aus frühseniler Bettflucht und zu viel Grübelei dahinter, gepaart mit der jahrelangen Gewohnheit, eines der Kinder mitten in der Nacht beruhigen zu müssen oder es gleich mit ins eigene Bett zu nehmen. Ich kenne quasi alle Ratschläge: Kräutertee trinken, aber keinen Alkohol, keine Schlaftabletten nehmen, immer zur selben Zeit ins Bett, immer zur selben Zeit aufstehen – und sich die Grübelei abgewöhnen. (Nur wie das geht, steht nirgends.) Nützen alle Maßnahmen nichts, den Arzt aufsuchen. Vor allem aber sollte man nicht fernsehen.
Regel eins: Nicht im Wohnzimmer auf der Couch fernsehen – da wacht man irgendwann auf
Das mache ich jetzt trotzdem, denn genau das hat mein Mann als sein Zaubermittel gegen die Schlaflosigkeit entdeckt. Seine Regel Nummer eins: Nicht aufstehen, um sich im Wohnzimmer auf die Couch zu legen und fernzusehen. Zwar fallen einem die Augen zu, vorausgesetzt, man hat die richtige Sendung ausgewählt, doch irgendwann wacht man auf, weil die Couch zum Schlafen eher unbequem und vielleicht erst eine Stunde rum ist. Daher: Tablet oder Laptop im Schlafzimmer, dort dann über die Mediathek oder Youtube die Sendungen gucken, oft laufen aber auch nachts drei, vier Folgen einer Serie hintereinander auf Super RTL, Vox oder Sat.1 Gold. Regel zwei: keine Spielfilme oder Serien mit fortlaufender Handlung, die halten einen wach, weil man wissen will, wie es weitergeht. Regel drei: Mittelinteressante Serien mit hundert und mehr Folgen und jeweils abgeschlossener Handlung fördern die Müdigkeit, vor allem, wenn das Ende immer gleich ist und man deshalb nichts verpasst, sollte man einschlafen: Frau kriegt Mann, Polizei fasst Mörder, Hund findet nach Hause. Darum eignen sich die Talkshow von Markus Lanz nicht und Big Bang Theory auch nicht – zu viel Neues. Dummerweise schlafe ich die ersten beiden Nächte, in denen ich den Selbstversuch starten will, sowieso durch.
Dafür bin ich tagsüber fit und kann mich weiter ins Thema einlesen. Glaube nur ja niemand, es gäbe wenige Menschen mit diesem Problem! Auf watson.de zum Beispiel steht unter dem Stichwort »Serien zum Einschlafen«: »Es gibt diese Serien, die schaut man nur aus einem einzigen Grund an: Sie helfen dir beim Wegdösen. Klingt einfach, ist aber eine Herausforderung. Die Sendung muss dir beim Runterkommen helfen, sie muss so verständlich sein, dass du jederzeit trotzdem wieder einsteigen kannst, und sie muss dir rundherum ein gutes Gefühl geben.« Sag ich doch. Es folgen zehn Tipps. Auf Platz eins: Die außergewöhnlichsten Häuser der Welt auf Netflix. Begründung: Die Sendung sei »vollkommen inhaltslos und deshalb perfekt zum Einschlafen«. Platz zwei: Star Trek – Raumschiff Voyager, ebenfalls auf Netflix, weil Captain Janeway und ihre Crew sieben Staffeln brauchen, um vom abgelegenen Delta-Quadranten den Weg zur Erde zu finden. Die Serie sei wie »GZSZ, nur im Weltraum«. Auch alle Verfilmungen von Agatha-Christie-Krimis werden genannt, ebenso der Bergdoktor, hellhörig allerdings werde ich erst bei Platz acht: Medical Detectives – Geheimnisse der Gerichtsmedizin wurde mir nämlich schon öfter als Einschlafmittel empfohlen, in den Kommentaren auf Youtube wird die Serie regelrecht bejubelt. Ein User schreibt: »Wenn ich ehrlich bin, schlafe ich jeden Tag damit ein. Bestimmt seit 12 Jahren.« Mein Mann kennt diese Serie natürlich. Viele der 250 Folgen habe er vermutlich mehrfach gesehen, sagt er, weil er oft mittendrin eingeschlafen sei. Inzwischen aber ist er bei On The Case – Unter Mordverdacht angekommen, auch eine True-Crime-Serie, gleiches Muster, viele Folgen.
Ich versuche es mit Medical Detectives. Das ist bei mir bestimmt zielführender als die bewusst langweiligen Videos auf »Napflix«, in denen zum Beispiel eine Frau mit langen Fingernägeln wortlos auf irgendwelche Gegenstände klopft oder man einer Sanduhr beim Rieseln zusehen kann. Das Prinzip bei Medical Detectives geht so: Ein wahrer Kriminalfall aus den USA der Neunzigerjahre, ein Mord wird geschildert, bebildert mit Fotos der echten Opfer, meistens aus der Abschlusszeitung der Highschool und dem Ausweis. Dann erzählen Ermittler und Staatsanwälte, wie sie, schwierig genug, den Täter eingekreist haben, immer versprühen sie »Luminol«, um Blutflecken sichtbar zu machen, Angehörige berichten, was für ein wunderbarer Mensch die oder der Ermordete war, in bewusst körnigen Bildern werden Szenen mit Schauspielern nachgestellt – und am Schluss wird der Täter überführt. Diese sich ständig wiederholende Abfolge ist spätestens in der dritten Nacht einschläfernd genug, doch wahrscheinlich geht ein Großteil der einsetzenden Müdigkeit auf Hubertus Bengsch zurück, der mit sonorer Stimme in der deutschen Fassung die verbindenden Worte spricht. Bengsch ist auch die Synchronstimme von Richard Gere. Wer mit mir diskutieren will, ob es verwerflich sei, echte Mordfälle als Einschlafhilfe zu verwenden, dem entgegne ich: Schau dir erst mal ein paar Folgen an, dann wirst du sehen, wie langweilig Mord sein kann.
Ein Vorteil, den man nachts nicht unterschätzen sollte: Wird der Computerbildschirm nach einer Weile dunkel, ist das egal, die Bilder sind so nichtssagend, dass es völlig genügt, den Ton zu hören. Das gilt auch für fast alle anderen True-Crime-Formate wie Snapped – Wenn Frauen töten oder Cold Justice – Versteckte Spuren.
Noch aber bin ich nicht so weit, noch schlafe ich bei Medical Detectives tatsächlich ziemlich regelmäßig ein. Mit einer gar nicht so seltenen Ausnahme: wenn der Fall so hanebüchen ist, dass ich mich aufregen muss. Dann zum Beispiel, wenn der Mörder bereits zwei Wochen vor dem Mord an seiner Ehefrau die Einladungskarten für seine nächste Hochzeit verschickt. Na, dann gute Nacht.