Fluchtpunkt Adria

Filmreife Überfälle, gigantische Beute: Eine Bande von gewitzten Dieben klaut auf der ganzen Welt Diamanten - bis jetzt im Wert von mehr als 330 Millionen Euro. Interpol weiß, die Gauner sollen aus Montenegro kommen. Mehr nicht. Also machten wir uns dort auf die Suche.

Am 5. März 2004 um 11.45 Uhr betreten zwei Männer das Juweliergeschäft Le Supre-Diamant Couture de Maki in Tokio, um den größten Diebstahl in der Geschichte Japans zu begehen. Einer von ihnen trägt braune Lederhandschuhe und eine Tasche mit Cartier-Logo, der andere ist dunkel gekleidet. Sie lassen sich die Halskette »Comtesse de Vendôme« zeigen, ein 24 Millionen Euro teures Meisterwerk der Juwelierskunst, bestückt mit 116 Diamanten. Um 11.46 Uhr zeichnen die Überwachungskameras folgende Szenen auf: Einer der Männer holt einen Zettel aus seiner Tasche, anscheinend will er dem Verkäufer etwas aufschreiben. Als der Angestellte sich herunterbeugt, sprüht der Mann ihm Pfefferspray ins Gesicht. Sein Komplize schlägt mit einem Hammer die Vitrinen ein, rafft das Collier und weitere Diamanten zusammen, die Diebe stürmen aus dem Laden und flüchten auf Motorrädern. Die Aktion dauert weniger als vierzig Sekunden. Die Kette »Comtesse de Vendôme« ist seitdem verschwunden.

Es war der lukrativste Überfall einer Diebesbande, die so berühmt ist, dass sie von der Polizei einen Spitznamen bekommen hat: Pink Panthers, benannt nach dem Film Der rosarote Panther, in dem David Niven einen meisterhaften Juwelendieb spielt und Peter Sellers als Inspektor Clouseau ihm recht erfolglos auf den Fersen ist. Die Diebe haben sich sogar ein Versteck für ihre Beute aus dem Kino abgeschaut: Bei einer Razzia in London haben Polizisten in einer Cremedose einen Diamantring im Wert von knapp 600 000 Euro entdeckt – genau wie im Film. Spätestens durch den Spitznamen ist die Bande, die in den letzten zehn Jahren laut Interpol mehr als 330 Millionen Euro erbeutet hat, zu einer Art Mythos geworden: die erfolgreichsten Diebe der Welt, die mit einer Mischung aus Kreativität und Dreistigkeit Nobeljuweliere überfallen und der Polizei immer um ein paar Minuten voraus zu sein scheinen. Wenn man sich mit den Pink Panthers befasst, tut sich eine Gangster-Story auf, in der es um Hoffnung auf schnellen Reichtum geht, um Überfälle, die sogar Polizisten ein bisschen bewundern – und um ein Land, in dem Kriminelle als Helden gefeiert werden.

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DIE ÜBERFÄLLE

Die Taten laufen meist nach ähnlichem Muster ab: Gut gekleidete Diebe betreten in Gruppen von zwei bis fünf Personen als Kunden getarnt ein Juweliergeschäft. Oft haben sie den Laden wochenlang ausgespäht, um genau zu wissen, wo der wertvollste Schmuck aufbewahrt wird. Dann schlagen sie zu: Zwei Männer bedrohen die Mitarbeiter, andere reißen so viel Schmuck aus den Vitrinen, wie sie zu fassen kriegen. Fluchtwege sind genau einstudiert, auch die Entfernung zur nächsten Polizei-station ist berechnet. Um zu verhindern, dass die Läden bei ausgelöstem Alarm den Ausgang verriegeln, stellen die Panther Aktentaschen in die Tür. Die Überwachungskameras überlisten sie mit filmreifen Verkleidungen: Perücken, Sonnenbrillen und Schminke gehören zu ihrem Handwerkzeug ebenso wie die kurzstieligen Hämmer, mit denen sie die Vitrinen einschlagen. Und auch sonst erinnern ihre Taktiken an Hollywood: In Rom hatte eine attraktive Komplizin den Sohn eines Juweliers verführt, um herauszufinden, wo die teuersten Diamanten aufbewahrt werden, bevor als Handwerker getarnte Diebe den Tatort genau auskundschafteten. Nach ihren Coups flüchten die Panther oft zu Fuß gegen die Fahrtrichtung durch Einbahnstraßen, was die Verfolgung mit Streifenwagen erschwert. In Dubai sind sie mit einem gestohlenen Audi A8 in das Schaufenster eines Juweliers gerast und haben in weniger als zwei Minuten den Laden leer geräumt, in Saint-Tropez haben sie sich als Urlauber verkleidet und sind mit einem Schnellboot übers Meer geflüchtet.

Die Beute wird kurz nach den Überfällen von Zwischenhändlern begutachtet. Wenn die Ware gefällt, werden die Steine – zum Beispiel in einem Sandwich versteckt – außer Landes geschmuggelt. Sie landen meist in Antwerpen oder New York, wo sie von Fachleuten zu neuen Steinen umgeschliffen werden. Mit gefälschten Zertifikaten landen sie dann teilweise auf dem regulären Markt.

DIE ERMITTLER

Irgendjemand verdient mit diesen Überfällen ein Vermögen. Nur wer? Für Ewald Ebner, einen der obersten Panther-Jäger bei Interpol in Wien, sind Risiko und Gewinn ungleich verteilt: »Die meisten Täter, die wir festnehmen, sind arbeitslose Burschen, die für ein Handgeld Läden überfallen.« Er erzählt stolz von Fahndungserfolgen – wenn auch meist nur die unterste Hierarchiestufe erwischt wird. Die Gefängnisse sind voll mit sogenannten Runnern, die für das Einschlagen der Vitrinen und das schnelle Wegrennen mit der Beute ein paar hundert Euro bekommen. Ihnen wird ein Aufstieg innerhalb der Gruppe versprochen, wenn sie sich bewähren, »doch meist endet der Ausflug im Gefängnis«. In Deutschland und Österreich sitzen mehr als fünfzig von ihnen ein, fast immer aus Ex-Jugoslawien. Kaum einer redet, die Beute bleibt verschwunden, von den Hintermännern keine Spur.

Dabei kann man den Ermittlern nicht Untätigkeit vorwerfen: Der Fall aus Tokio hat mehr als hundert Polizisten beschäftigt und – nach zwei Jahren Recherche – zwei Serben ins Gefängnis gebracht. Genau wie alle anderen Verhafteten haben sie vor Gericht beteuert, keine Ahnung vom Verbleib der Beute zu haben. Pink Panthers? Nie gehört.

Joachim Kledtke, beim Landeskriminalamt Düsseldorf auf organisierte Kriminalität spezialisiert, hat einige Panther verhört. »Sie wirken klug, sprechen zum Teil mehrere Sprachen und sind eher schüchtern.« Der Anwalt eines Täters erzählt gern die Geschichte, bei der die Diebe auf der Flucht eine alte Frau umrennen, sich entschuldigen und ihr wieder auf die Beine helfen. Als einer der Diebe des Überfalls in Dubai, ein Mann names Milan Ljepoja, nach einer Verfolgungsjagd im Mai 2008 in Frankreich von Polizisten umzingelt wurde, ergab er sich mit den Worten: »Gute Arbeit«.

Kledtke ist in ganz Europa unterwegs und sichtet Aufnahmen von Überwachungskameras, um den Kollegen Tipps zu geben. »Einer so professionellen Bande kann man nur in enger internationaler Zusammenarbeit das Handwerk legen«, sagt er. Bei Interpol gibt es eine Pink-Panther-Arbeitsgruppe, etwa sechzig Ermittler aus zwanzig Ländern. Im April haben sie sich zur siebten Jahrestagung in Wien getroffen und zwei Tage lang über neue Strategien diskutiert. Ebner, der Mann aus Österreich, will Details der Konferenz nicht verraten, die Diebe lesen schließlich auch Zeitung. Nur so viel: Er vermutet eine strenge Hierarchie hinter den Überfällen. »In vielen Städten gibt es Ortskundige, die bei der Logistik helfen und Täter bei sich wohnen lassen.« Viele Täter benutzen gefälschte oder gestohlene Pässe. Weil Innenstadt-Juweliere aus Angst vor den Panthern immer weiter aufrüsten – etwa mit Panzerglastüren, durch die nur Kunden mit Termin in den Laden gelassen werden –, schlagen die Panther öfter in Randbezirken zu. Dort ist die Ware zwar nicht so exklusiv, aber dafür lassen sich mit Hammer und Überraschungsmoment noch immer Schmuck und Uhren in Millionenwert erbeuten.

Ein anderer Ermittler, der in Wien dabei war, aber seinen Namen »aus ermittlungstaktischen Gründen« nicht in der Zeitung lesen will, wird etwas deutlicher: Ja, ein bisschen sei man auch fasziniert von den Ideen der Diebe, vor allem beim Bier nach der Konferenz fiel immer wieder der Begriff Hollywood. Und er nennt einen Ort, den man sich mal anschauen solle: Cetinje in Montenegro. Viele festgenommene Runner stammten von dort. Ein Nest der Pink Panthers.

Das Diebesnest

DAS DIEBESNEST

Die Straße nach Cetinje sieht aus wie ein Werbespot für Cabrios: Straßen schlängeln sich über grüne Hügel, die Adria schimmert, in der Ferne ankern Yachten unter Palmen. Bei reichen Urlaubern ist das Land beliebt, doch mit einem Durchschnittslohn von weniger als 500 Euro im Monat zählt es zu den ärmsten Gegenden Europas. Am Ortseingang: leer stehende Häuser und streunende Hunde. Cetinje war eine Industriestadt, dann kamen die Kriege, die Sanktionen, die Krise. Eine große Elektrofabrik im Ortszentrum hat nach dem Balkankrieg in den Neunzigerjahren zugemacht. Früher haben hier 6000 Menschen gearbeitet, fast jeder dritte Einwohner der Stadt. Heute döst ein Wachmann in einem vergammelten Wärterhäuschen und passt auf, dass die Leute ihren Sperrmüll woanders abladen.

Neben der leeren Fabrik betreibt Duda Pajovic seine Bar »Café 357«, eine Eckkneipe mit abge-griffenem Tresen und Spielautomaten, die nach Aschenbecher riechen. Pajovic hat um 11 Uhr morgens schon seinen zweiten Schnaps auf dem Tisch, er dreht Zigaretten, seine Augen sind rot. »Die Sanktionen haben uns arm gemacht«, sagt er. Als nach dem Krieg wegen des UN-Embargos keine Produkte aus Serbien und Montenegro exportiert werden durften, sei die Wirtschaft zusammengebrochen. »Niemand hat Arbeit hier, schaut euch doch mal um«, er zeigt auf die Männer auf der Straße, die an einem Werktag auf Bänken sitzen und in der Sonne dösen.

Aus dieser Gegend rekrutieren die Panther ihre Gehilfen, die der Interpol-Mann aus Österreich ins Gefängnis sperrt. Auch den Barbesitzer haben ein paar Männer, die sich gelegentlich an seinem Tresen getroffen haben, schon gefragt, ob er nicht mit ihnen zusammenarbeiten will. Er sei ein guter Schütze und damit reaktionsschnell, militärisch geschult, solche Leute könne man brauchen. Doch Pajovic ist ein ehrlicher Mensch. Natürlich kennt er Kriminelle, jeder hier im Ort weiß von jemandem, der im Knast sitzt, meist irgendwo in Europa. Einige werden nicht erwischt und kommen mit Geld zurück nach Cetinje. Der Supermarkt am Ortseingang, wo zwei Liter Bier in der Plastikflasche 1,65 Euro kosten, soll einem ehemaligen Panther gehören, genauso wie das Straßencafé mit den Beck’s-Sonnenschirmen gegenüber. »Immerhin gibt das den Leuten Jobs«, sagt einer der Gäste in der ehemaligen Arbeiterkneipe, »mir ist egal, woher das Geld kommt – Hauptsache, es landet bei uns.«

Vom Marktplatz dröhnt Musik: die Europahymne. Die Europainitiative Montenegros hat zu einer Werbeveranstaltung geladen, Schulkinder wedeln mit Europafähnchen. Das kleine Land will in die EU. Der Ruf, Zufluchtsort einer Verbrecherbande zu sein, ist da kein gutes Argument.

Der Chef der Initiative heißt Momcilo Radulovic, ein wuchtiger Mann mit Koteletten, polierten Lederschuhen und Wohlstandsbauch. Er beschreibt Montenegro als eine Art Paradies. »Es gibt kaum Gewalt, keine Bankenkrise, überall wird gebaut.« Und die Kriminalität? »Ich bitte Sie! Gehen Sie mal durch Neapel, da werden Sie viel eher überfallen.« Als das Gespräch auf die Pink Panthers kommt, lächelt er verlegen. Ein paar Leute hätten eben Geld im Ausland verdient, zum Teil ja auch hier investiert. Und überhaupt, der Name schon: »Pink Panthers«, Radulovic spuckt die Worte aus wie verdorbenes Essen, »alles Halbstarke, die angeben wollen, schreiben Sie das!«

DER DIEB

Wie ein Halbstarker wirkt Filip nicht. Er hat Arme wie Keulen und ein Kreuz wie ein Möbelpacker, dazu Narben, Glatze, Türsteherbart, Sonnenbrille. Als Treffpunkt hat er den oberen Stock einer Pizzeria vorgeschlagen, dort sind wir die einzigen Gäste. Ein Bekannter unseres Fotografen kommt aus derselben Stadt wie er, darum hat er einem Interview zugestimmt. Filip heißt eigentlich anders, und wo sich die Pizzeria befindet, darf auch nicht in der Zeitung stehen. Seine ersten Überfälle mit den Panthern liegen Jahre zurück, aber er erinnert sich genau: »Schnell rein, alles mitnehmen, schnell raus.« Er spricht Deutsch mit rheinländischem Einschlag, er war in Deutschland im Gefängnis, 18 Monate, aber nicht wegen Diamantenraub, »eher so Milieugeschichten, bisschen Gewalt und so«. Wenn er von den Panthern erzählt, kommt er ins Schwärmen: von einem Team aus sechs Leuten, die Ziele ausspähen, Pläne aushecken und sich nie, nie, nie gegenseitig verraten würden. »Ich kann wunderbar schweigen«, sagt er und zeigt beim Lächeln seine schlechten Zähne. Heute aber will er reden. Weil er anonym bleiben kann. Vieles, was er über die Panther erzählt, werden Polizisten später bestätigen.

Die Bande verkauft ihre Beute für etwa 25 Prozent des Marktwerts an Hehler, es gibt ein regelrechtes Vertriebsnetz für gestohlene Diamanten. Filips Truppe nimmt Bestellungen entgegen, »wir klauen nie auf gut Glück, die Ware ist schon verkauft, bevor wir loslegen«. Viele Überfälle sind vorher abgesprochen, sagt er: Die Geschäfte kassieren die Versicherungssumme, und die Steine werden auf dem Schwarzmarkt verkauft. »Die Beute deponieren wir noch auf der Flucht in Mülleimern.« Der Hehler wartet gegenüber, oft als Müllmann verkleidet, und nimmt die Steine mit. Damit es keine Zeugen gibt, inszeniert die Bande Ablenkungsmanöver: Oft parken sie ein Auto in der Nähe und lassen kurz vor ihrem Coup die Alarmanlage losgehen. Damit sie keiner zufällig beobachtet, hängen sie ein »Frisch gestrichen!«-Schild an Bänke gegenüber dem Tatort.

Filip ist gelernter Koch, hat in seiner Heimat keine Arbeit gefunden und ist kriminell geworden, »erst wegen Geld, dann auch aus Nervenkitzel«. Wie viel er verdient hat mit den Überfällen, will er nicht verraten, lieber spricht er über seine Verkleidungen. Dafür reibt er sich mit Babyöl ein, schlüpft in mit Watte ausgestopfte Skiunterwäsche und zieht dann einen Anzug darüber, ein paar Nummern zu groß. So überfällt er einen Juwelier – und streift im Fluchtwagen das Fettkostüm einfach ab. Auch rasiert hat er sich schon auf dem Rücksitz. »Ein dicker Typ mit Bart steigt ein, ein schlanker Typ ohne Bart steigt aus.«

Warum erzählt er das alles ausgerechnet einem Journalisten? »Weil die Leute Unsinn über uns verbreiten.« Die wahren Panther sind eine kleine Gruppe, die nur alle paar Monate zuschlägt, dann aber gut vorbereitet ist. Und sie haben Prinzipien: keine echten Waffen bei den Überfällen. Und kein Wort zur Polizei. Die Leute, die als Runner im Gefängnis sitzen, sind Trittbrettfahrer, »die haben vielleicht zwei Vorstadtjuweliere überfallen und prahlen mit ihrem Geld.« Filip trägt keine teure Uhr, fährt kein dickes Auto, »ich bin lieber unauffällig, aber frei«. Angst vor der Polizei hat er nicht. »Wir sind denen voraus.«

Erst im Mai wurde ein Panther aus dem Gefängnis Bois-Mermet bei Lausanne befreit – wohl weil seine Erfahrung für weitere Coups gebraucht wurde. Jemand ist mit einer Leiter von außen über die Gefängnismauer geklettert und hat eine Schneidezange und eine Schreckschuss-Pistole in den Innenhof geworfen. Trotz Großfahndung fehlt von dem Ausbrecher jede Spur.

Der Mafiastaat

DER MAFIA-STAAT

In Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, hat auch Interpol ein Büro, in einem sozialistischen Zweckbau mit kaputten Fensterläden. Der leitende Ermittler klingt nett und etwas müde am Telefon. Natürlich können wir ihn interviewen, er muss nur kurz jemanden aus dem Ministerium um Erlaubnis fragen, reine Formsache. Wir hören nie wieder etwas von ihm, alle Nachfragen bleiben unbeantwortet. Es scheint leichter zu sein, in Montenegro mit Kriminellen zu sprechen als mit Vertretern der Behörden.

Die amerikanische Politikzeitschrift Foreign Affairs hat Montenegro letztes Jahr als »Mafia-Staat« bezeichnet. Der Regierungschef Milo Djukanovic, Spitzname »König Milo«, ist immer wieder in Korruptionsskandale verwickelt. Ein Bericht der italienischen Polizei wirft ihm vor, dass er das Land in ein »Paradies für Schmuggler« verwandelt habe. In der Nähe der Uni in Cetinje klebt ein Aufkleber an einem Stoppschild: »Unterstützt den Präsidenten, wenn ihr wollt, dass euer Parteibuch wichtiger ist als euer Abschlusszeugnis«.

In Montenegro wurde im Jugoslawienkrieg zwar kaum gekämpft, aber als enger Verbündeter Serbiens war das kleine Land vom Handelsembargo der UN in den Neunzigerjahren betroffen. Zigaretten, Waschpulver und Windeln mussten aus Italien geschmuggelt werden. Die Folge: ein riesiger Schwarzmarkt, auf dem zwar alles verfügbar war – aber eben illegal. Menschen, die zu dieser Zeit in Montenegro aufgewachsen sind, berichten von einem sehr flexiblen Unrechtsempfinden: Ein bisschen gilt ein Dieb in Montenegro als Held – schließlich konnte man bei ihm CDs, Jeans und Schnaps kaufen, als die Läden leer waren.

Vielleicht erklärt das, warum die Symbole der Pink Panthers hier überall zu sehen sind. An ein Garagentor im Küstenort Bar hat jemand die Cartoon-Figur des rosaroten Panthers gemalt, nachts fahren Autos mit einem Panther auf der Motorhaube durch die Straßen der Hauptstadt, am Steuer junge Burschen in Trainingsjacken. Ein beliebtes Lied in der Region geht so: »Wir klauen nicht aus Montenegro, wir klauen für Montenegro.«

DER HINTERMANN

Das Treffen mit Ivan war bis zuletzt in der Schwebe. Er ist weit oben in der Hierarchie der Panther, einer, der keine Läden überfällt, sondern sich nur um den Verkauf der Beute kümmert. Er ist nur auf der Durchreise, eigentlich lebt er in einem reichen EU-Land, nur für ein Familienfest ist er in seiner alten Heimat. Durch einen Kontakt vor Ort hat Ivan zugestimmt, mit uns zu reden, aber nur für zehn Minuten, wir sollen ihn mit dem Auto abholen. Wir treffen ihn an einer Kreuzung, er gibt uns mit Handzeichen zu verstehen, dass wir auf einem Parkplatz gegenüber auf ihn warten sollen. Nach kurzer Zeit geht die Hintertür unseres Mietwagens auf, Ivan setzt sich auf den Rücksitz. Er riecht nach Aftershave, trägt eine goldene Rolex mit Lederarmband und einen brillantbesetzten Ring am kleinen Finger der rechten Hand. Er ist etwa fünfzig und sieht aus wie jemand, der viel Sport in der Sonne treibt. Die Haare trägt er kurz, dazu einen Dreitagebart, Jogginganzug. Man kann ihn sich gut im Smoking vorstellen, ein bisschen erinnert sein Gesicht an den Schauspieler Heiner Lauterbach. Ivan, der natürlich anders heißt, versteht sich als Geschäftsmann, er besitzt drei Pässe – zwei sind gefälscht – und war früher auch mit einen Diplomatenpass aus Jugoslawien unterwegs.

»Was wollt ihr wissen?«, fragt er mit tiefer Stimme.
»Was mit der Beute passiert.«
»Es gibt sehr wenige Kunden, die sich die gestohlenen Steine leisten können, ein Dutzend vielleicht, die meisten sitzen in Belgien, Israel, den USA und in arabischen Ländern.«

Gestohlene Diamanten nennt er »heiße Kartoffeln«, weil sie so schnell weg müssen. Vor ein paar Wochen gab es einen spektakulären Überfall auf dem Brüsseler Flughafen, bei dem Diebe sich als Polizisten verkleidet hatten, um Diamanten im Wert von fast vierzig Millionen Euro aus dem Frachtraum eines Flugzeugs zu stehlen. Anfang Mai wurden mehr als dreißig Tatverdächtige festgenommen, vor allem in Frankreich und der Schweiz. Mit den Pink Panthers hatte der Überfall nichts zu tun, sagt Ivan, »aber die Ware landet bei denselben Käufern wie bei uns«.

Über die Diebe, die in seinem Auftrag Läden auf der ganzen Welt überfallen, weiß er wenig, das erledigen Mittelsmänner, »interessiert mich auch nicht besonders. Hauptsache, sie liefern.«

Mit den Käufern der Steine wird über das Internet kommuniziert, meist in Chats über Skype. Bestimmte Codes haben sich etabliert: Wenn Diamanten für den arabischen Raum geklaut werden sollen, ist von »blonden Frauen« die Rede, weil Araber ja angeblich so auf blonde Frauen stehen.

Vertrauen sei alles in der Branche, darum ärgert ihn die Aufmerksamkeit, die der Name Pink Panthers mit sich bringt. »Heute will sich jeder Provinzpolizist auf die Fahnen schreiben, einen ihrer Anführer verhaftet zu haben.« Er glaubt nicht, dass er und die anderen Hintermänner viel zu befürchten haben. Er wäscht sein Geld mit Bankgeschäften und hat Verbindungen nicht nur in die Unterwelt. Eigentlich will er raus aus den illegalen Geschäften. »Aber manchmal kommen eben Anfragen nach besonders heißen Kartoffeln. Das kann ich mir nicht entgehen lassen.«

Zum Abschied nickt er kurz und wortlos, noch heute wird er Montenegro wieder verlassen. Er öffnet die Autotür und geht in Richtung Straße. Ein paar Sekunden später ist er verschwunden.

Fotos: Donald Weber