Einige SMS-Nachrichten sind in modernen Handys voreingestellt: »Ich rufe gleich zurück« oder »Kann gerade nicht sprechen«. Was überraschenderweise nicht dabei ist: »Meld dich, wenn du was brauchst.« Auch die Formel MDWDWB hat sich zum Trösten noch nicht durchgesetzt. Dabei ist der Satz eine Standardreplik in Freundschaften, die heute ja zum großen Teil in Form von SMS, WhatsApp- oder Messenger-Nachrichten stattfinden. In Krisenzeiten füreinander da zu sein ist das Urversprechen jeder Freundschaft, und, so ahnt man, auch eine Bewährungsprobe. Deshalb schreibt man beflissen den »Meld dich«-Satz und klopft noch ein paar Ausrufezeichen dahinter. Zu jeder Tages- und Nachtzeit, hörst du? Getippt, abgeschickt, mit dem Liebsten ins Wochenende gefahren. Den Gedanken an die Freundin, die von ihrem Freund verlassen wurde oder die seit zehn Tagen Grippe hat, beiseitegeschoben. »Sie wird sich schon melden«, sagt man sich. »Ich weiß ja nicht, was sie genau braucht.« »Vielleicht sind da engere Freunde, deren Trost sie lieber hätte.«
Immer wieder gibt es Studien, die die Intensität von Freundschaften erforschen: Wonach Menschen heute im Schnitt 350 Freunde bei Facebook haben, aber auf die Frage, von wie vielen Freunden sie erwarten würden, dass sie zum Geburtstag erscheinen, nur noch sechs bis zehn nennen; und selbst dieser Kreis reduziert sich noch einmal auf fünf bis sieben Personen, die sie anrufen würden, wenn sie nachts in einer Notsituation wären. Vielleicht ist »Meld dich, wenn du was brauchst« deshalb einfach die unbeholfene Art zu sagen, dass man hofft, zu diesem Kreis zu gehören.
Andererseits signalisiert der Satz Fürsorge, die in Wahrheit nicht weiter reicht als die Bergrettung, die dem Bergsteiger in der Not ein Seil hinwirft und sich dann umdreht und geht. Der Satz schafft nur einem selbst Erleichterung. Denn der Freund hat jetzt die Holschuld, ihm obliegt es, sich zu melden, wenn er etwas braucht. Er muss seine Notlage, Schwäche, Verzweiflung noch einmal zum Ausdruck bringen, obwohl er das ja schon implizit hat – sonst wäre man kaum auf die Idee gekommen, den Satz zu schreiben. »Ich habe diese SMS bestimmt dreißig Mal im letzten Monat erhalten«, erzählt ein Kollege, dessen Vater vor Kurzem schwer erkrankte. »Ich habe mich über die Anteilnahme gefreut, aber diejenigen, mit denen ich wirklich sprechen wollte, die hätten das gar nicht erst schreiben müssen.«
Keine Frage, es ist nicht leicht, in einer solchen Situation das Richtige zu tun. Eine Trennung, ein Todesfall, eine Krankheit – das alles passt nicht in unseren Alltag, in dem alles weitgehend störungsfrei zu laufen hat. Wie lange dauert das Trösten? Hat die Post danach noch auf? Das Wochenende mit dem Liebsten war ewig geplant, soll ich jetzt wirklich alles absagen? »Über den Umgang unter Freunden« schreibt Adolf Freiherr von Knigge: »Halte ihn (den Freund) in Ehren, auch wenn das Glück dich plötzlich über ihn erhebt … Hänge fest an ihm, ohne ihm lästig zu werden«. Doch lässt sich das »Festhängen« per SMS überhaupt ausdrücken? Knigge sparte das Thema zwangsläufig aus. Aber die Geschichte, die eine Bekannte neulich erzählte, hätte ihm gefallen: »Ich schrieb an meine Freundin: Bin eben heimgekommen. Ralfs Schrank ist leer, offenbar ist er ausgezogen. Als Antwort kam eine Nachricht, die keine Replik verlangte: ›Ich komm vorbei.‹«