Sehr leerreich

Alte Plastikverpackungen werden zu Jeans, Trenchcoats und Taschen verarbeitet. Ist das eine gute Idee - oder nur eine hübsche Hülle für das schlechte Gewissen?

Es ist ja ganz nett, als Sex- und Stilgott zu gelten, Multimillionär und Musikpreisabonnent zu sein, aber wirklich zufrieden ist Pharrell Williams mit seinem öffentlichen Image noch lange nicht. Ein bisschen mehr Lob und Heiratsanträge könnten es schon noch sein. Es reicht ihm auch nicht mehr, pro Monat einen globalen Hit für Madonna oder Beyoncé abzumischen oder die Songs der Einfachheit halber gleich selbst einzusingen. Er will nicht nur der Typ sein, der den Pop gerettet hat, für das Jahr 2014 hat sich Pharrell Williams auch noch vorgenommen, Mutter Erde zu retten.

»Wenn wir endlich tun, was wir tun sollen, dann kann die ganze Welt glücklich werden«, sagt Pharrell Williams. Er spricht diesen Satz derzeit in ungefähr jede Kamera, die er zu Gesicht bekommt, und das sind ziemlich viele. Schnürsenkel, Oberhemd, Gesichtshaut: Alles an Pharrell scheint glattgebügelt. Er schaut beim Reden nicht ins Objektiv, sondern starr und schräg daran vorbei, als sehe er dort hinten weit entfernt am Horizont die Wahrheit geschrieben. Vielleicht hat er aber auch einfach nur gekifft. Pharrell also plant die Revolution. Dafür trainiert er aber nicht am Schießstand, stattdessen hat er sich an den Laptop und an die Nähmaschine gesetzt und bringt mit G-Star eine Jeanslinie und mit Adidas gleich eine ganze Kleiderkollektion heraus. Das Garn, aus dem die Klamotten hergestellt wurden, stammt aus Plastikmüll, der zuvor aus den Weltmeeren gefischt wurde. Die Pharrell-Jeans soll nicht nur einen guten Hintern machen, sondern auch ein gutes Gewissen.

Ein Musikproduzent braucht vor allem gutes Timing. Er muss wissen, ob die Welt bereit ist für Eunuchenstimmen, und wie viele Takte man in einem Song den Bass aussetzen lassen kann, damit die Hörer ausrasten, wenn er wieder einsetzt. Pharrell ist ein Meister des Moments, er setzt keine Trends, er erkennt sie nur früh und reagiert schnell. Schon 1993 brachte der Outdoorausrüster Patagonia Fleecejacken aus recycelten PET-Flaschen auf den Markt. Aber erst jetzt scheint die Zeit wirklich reif zu sein. Nike hat bei der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft die brasilianische Mannschaft in PET-Trikots spielen lassen. Die deutsche Ledermanufaktur Roeckl bringt eine Taschenlinie heraus, die aus recycelten Plastikflaschen besteht. Vivienne Westwood hat die Uniformen für das Flugpersonal von Virgin Atlantic aus ehemaligen Plastikflaschen fertigen lassen. Aber machen diese Kunststoffklamotten die Welt nicht nur schöner, greller, bunter und künstlicher, sondern eben auch – besser? Steckt da wirklich eine tiefe Überzeugung dahinter oder nur der Wunsch nach Aufmerksamkeit? Ist das alles am Ende nur ein, nun ja, Modegag?

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Weit weg von den Bühnen, Laufstegen und roten Teppichen dieser Welt sitzt Sascha Schuh in einem Büro in Bonn. Schuh herrscht nicht über goldene Handys, Drittyachten, Groupie- und Modelarmeen, er kümmert sich eher um die Drecksarbeit für andere: Die von ihm gegründete Firma Ascon berät Firmen bei den Themen Abfall und Recycling. Schuh interessiert sich nicht für High Fashion und Imagekampagnen, er ist ein Mann der Analyse und der nüchternen Zahlen, er sagt: »Der Markt um die Verwertung von PET-Flaschen hat große Wachstumsraten und das wird auch in Zukunft so weitergehen.«

Mag schon sein, dass gerade der Spätkapitalismus herrscht oder auch die Spaßgesellschaft, ganz sicher lebt der moderne Mensch aber im Kunststoffzeitalter, im Plastozän. »Plastik ist die erste magische Materie«, hat der französische Philosoph Roland Barthes einmal gesagt, alle unsere Gebrauchsgegenstände und Träume – Stabmixer oder Laptops – bestehen aus Kunststoff. Und wenn man in einer fernen Zukunft für ein historisches Museum ein Objekt sucht, das für unsere Epoche steht, sollte man in die Vitrine eine PET-Flasche stellen. Die alten Griechen hinterließen uns prächtige Vasen und einarmige Statuen. Von den Azteken sind scharfe Onyx-Messer erhalten. Der Mensch des frühen 21. Jahrhunderts war aber offenbar sehr durstig und verspürte immer und überall ein großes Bedürfnis, Wasser in sich hineinzuschütten, die eigene innere Welt zu reinigen und die fremde äußere Welt zu verschmutzen.

Aus 16 Eineinhalb-Liter-PET-Flaschen lässt sich ein Fleecepulli in Größe L herstellen.


16 Millionen Tonnen PET-Flaschen werden jährlich in den Umlauf gebracht, in Deutschland liegt die Recyclingrate bei 95 Prozent, weltweit sind es nur fünfzig Prozent. Der Müllstrudel im Nordpazifik soll mittlerweile die Größe Zentraleuropas erreicht haben, er besteht neben Plastiktüten und Kanistern vor allem aus Plastikflaschen. Und das ist nicht nur eine ökologische und moralische, sondern auch einen finanzielle Katastrophe. »Polyethylenterephthalat, kurz PET, ist ein wertvoller Kunstoff«, sagt Sascha Schuh, »er lässt sich sehr gut weiterverarbeiten«. Die in Deutschland eingesammelten Flaschen werden größtenteils nach China verschifft. Weil recyceltes PET nicht so klar und transparent ist, wie wir Kunden es gerne hätten, wird nur etwa ein Fünftel zu neuen Flaschen und Behältern umgearbeitet. Gut die Hälfte der PET-Flaschen findet aber Verwendung in der Textilindustrie. Dafür wird das PET zermahlen und erhitzt und dann durch eine Matrize gepresst. Die so entstehenden Fäden werden abgekühlt und aufgespult, im Extremfall sind sie dann nur noch 0,03 Millimeter dick, gleichzeitig aber sehr formbeständig und reißfest und stellen somit eine ideale Kunstfaser da. Aus 16 Eineinhalb-Liter-PET-Flaschen lässt sich ein Fleecepulli in Größe L herstellen, der Materialwert liegt in diesem Fall bei etwa fünfzig Cent, verkauft wird das gute Stück dann für Preise zwischen sechzig und 150 Euro.

Das Garn, aus dem die Pharrell-Jeans hergestellt werden, besteht zu 45 Prozent aus dem Pazifikplastik, beigemischt wird unter anderen auch noch Baumwolle, damit sich der Stoff vertrauter anfühlt. Neun Tonnen Müll zieht G-Star so aus dem Meer, das ist, verglichen mit den mindestens 35 000 Tonnen, die dort sonst noch herumschwimmen, nicht besonders viel. Trotzdem liefert der Kunststoff damit schon genug Gesprächsstoff, was heute, wo es kaum mehr möglich ist, eine Jeans herzustellen, die sich optisch oder haptisch von den Konkurrenzprodukten unterscheidet, umso wertvoller ist. Und besser als mit nachhaltigem Recycling ließ sich lange kein Kauf mehr vor sich selbst rechtfertigen.

Die westliche Mittelklasse glaubt ja nicht mehr an Demonstrationen, Generalstreiks oder Wahlen als Mittel der politischen Auseinandersetzung und hat stattdessen die einst so hart kritisierten Marken als Waffen im Kampf zur Weltverbesserung entdeckt. Man liest nicht mehr Marx, sondern legt sich nachhaltige Produkte in den Einkaufskorb, es wird weniger an der Wahlurne als vielmehr an der Ladenkasse abgestimmt. Pharrell Williams erklärt ja auch gern, dass die Weltrettung per Jeanskauf jede Menge Spaß bringe. Solche Einstellungen hat die Autorin Kathrin Hartmann in ihrem Buch Ende der Märchenstunde furios kritisiert. Es gebe kein richtiges Shopping im falschen Weltwirtschaftssystem. Würde also nur wirklicher Verzicht – beispielsweise der auf Kunststoffflaschen – die Welt wirklich besser machen?

»Die Deutschen glauben, dass nur das, was weh tut, auch wirklich gut ist«, sagt der Verfahrenstechniker und Ökovisionär Michael Braungart, Professor an der Universität Rotterdam, »aber das ist Quatsch.« Schon 1993, in der Zeit, als Patagonia den ersten PET-Fleecepulli herausbrachte, hat er die Designerin Britta Steilmann dabei beraten, einen Herrenanzug komplett aus PET herzustellen. Braungart hält das derzeit gebräuchliche PET für minderwertig und teilweise gesundheitsschädlich, aber über »wirklich gutes PET« kann er stundenlang schwärmen. Mode, Möbel, Medizin: Überall lasse sich PET einsetzen und wiederverwerten. Der Kunststoff stellt damit ein gutes Beispiel für die von Braungart imaginierte Kreislaufwirtschaft dar, bei der überhaupt keine Abfälle mehr entstehen und die Hersteller zu Rohmaterialbanken werden, die ihre vom Kunden abgenutzte Produkte wieder zurücknehmen, um etwas Neues daraus zu machen. Am Ende des Prozesses kann hochwertiges PET sogar mit chemischer Hilfe kompostiert werden, der Kunststoff ist strukturell der Zellulose sehr ähnlich. Asche zu Asche, Staub zu Staub, noch nicht einmal Plastik bleibt Plastik.

Braungart findet, dass die Deutschen ihr schlechtes Öko-Gewissen und ihre Abneigung gegen Hüllen aller Art ablegen sollten, und sagt: »Eine PET-Flasche verpackt Wasser, aber letztlich ist auch eine Jeans nur eine Verpackung für die Beine, und Häuser verpacken ganze Körper.« An diesem Punkt trifft er sich mit Pharrell Williams, dem Selbstdarsteller, der ganz genau weiß, wie er Töne, politische Botschaften und sich selbst einkleiden muss, um maximale Aufmerksamkeit zu generieren. Vielleicht müssen Egoinszenierung und Engagement, finanzielle und ökologische Interessen, Oberflächendesign und tiefe Überzeugung ja gar keine Widersprüche sein. Williams hat letztlich eine ganz einfache Botschaft: Wir brauchen bessere Verpackungen!

Fotos: André Mühling