Also komm, jetzt versuch’s noch mal. Kurz räuspern. Hallohallo. Test, Test. Neee, das hört sich doch total bizarr an. Soll ich mir jetzt hier beim Denken zuhören? Doch, genau das. Mit sich selber sprechen ist: laut denken. Sagt die Psychologie. Und wer laut denkt, denkt präziser. Also weiter. Du willst einen Artikel über Selbstgespräche schreiben. Weil sie dir unheimlich sind. Weil du immer schnell aus dem Weg gehen möchtest, wenn auf der Straße oder im Büro jemand leise mit sich selbst spricht. Weil du manchmal kurz davor bist, Leute, die in der U-Bahn vor sich hin flüstern, am Kragen zu packen und zu sagen, hey, psst, hören Sie doch auf, merken Sie das gar nicht? Aber Selbstgespräche sind sinnvoll, sagt die Wissenschaft. Also dann.
Okay, bis hierhin schon einen ganzen Absatz laut gesprochen, ging doch. Aber wenn jetzt hier jemand im Raum wäre … Es wäre mir sagenhaft unangenehm. Außerdem werde ich schon nach diesen wenigen Sätzen ein bisschen persönlichkeitsgespalten: Wann soll ich mich duzen, wann sage ich »Ich«? 96 Prozent aller Menschen führen Selbstgespräche, hat eine Studie ergeben. Also praktisch alle. Erscheint mir realistisch. Der Dings murmelt vor dem Computer in der Redaktion die Sätze, die er schreiben will. Die eine Kollegin in der Kantine flüstert immer vor sich hin, was sie gleich bestellen wird. Die eine Frau gestern Abend in der U-Bahn hat auch ständig gemurmelt. Ich dachte erst, Jessas, eine Irre, aber dann merkte ich, nein, die zählt Einkäufe auf, wahrscheinlich will sie gleich in den Supermarkt.
Aber sei ehrlich, Fellmann, du redest auch viel, wenn du dir was merken willst oder nach einem Gedanken suchst. Du redest mit deiner Frau, mit Freunden, mit Kollegen. Heinrich von Kleist, »die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden« und so. Der Sprung zum Selbstgespräch fällt mir trotzdem nicht leicht. Das liegt auch an Leuten wie dem sogenannten Selbstgesprächsexperten, den die Zeit mal interviewt hat. Auf die Frage, warum er Selbstgespräche führt, sagte der Mann: »Ich unterhalte mich gerne mit intelligenten Menschen.« Puh. Klingt wie Woody Allen, »Masturbation ist Sex mit jemandem, den man wirklich liebt«.
Man kann im Selbstgespräch besser Selbstkritik üben
So will ich nicht sein. Aber es hilft nichts, ich drehe mich in Gedanken oft im Kreis, ewige Karussellerei, und die Wissenschaft sagt: Der Ausgang ist das Selbstgespräch. Dabei wurden Selbstgespräche lange Zeit nicht groß wissenschaftlich untersucht, sie galten als Zeichen von Depression oder psychischen Defekten. Das Bild aus dem Mittelalter, der arme Irre auf dem Marktplatz. Erst in den Achtzigerjahren, also noch gar nicht lange her, entdeckte die Psychologie das Thema und begann zu fragen: Warum reden Menschen mit sich selbst? Und was haben sie davon? Am weitesten gekommen ist der US-Psychologe Thomas Brinthaupt, er hat die wunderbaren Möglichkeiten des Selbstgesprächs in einer »Self-Talk Scale« zusammengefasst:
1. Man kann im Selbstgespräch besser Selbstkritik üben. Also sich nicht nur vage ärgern über irgendwas, sondern klar benennen, was los ist. Ich habe es versucht, ich habe gestern laut zu mir selbst gesagt: »Fellmann, du musst diesen Artikel bis Redaktionsschluss fertigkriegen, aber du hast noch keine einzige Zeile geschrieben.« Dabei bin ich kurz erschrocken. Aber heute habe ich mich zügig an den Tisch gesetzt und losgelegt. Funktioniert tatsächlich.
2. Man kann sich besser selbst managen. Stimmt. Seit Wochen habe ich jeden Samstag vage im Hinterkopf, dass ich den Krempel aus dem Keller zum Wertstoffhof bringen müsste. Solange ich nur neblig dran denke, passiert nichts. Vorigen Samstag Vormittag aber habe ich laut zu mir selber gesagt: »Geh jetzt in den Keller, trag die Sachen zum Auto und fahr los.« Zugegeben, alle in meiner Familie haben sich vielsagende Blicke zugeworfen. Aber bis Mittag war das Zeug weg. Hurra!
3. Es fällt leichter, soziale Situationen einzuschätzen. Auch das habe ich ausprobiert. Eigentlich wollte ich einem alten Freund längst sagen, dass es mich wahnsinnig macht, wenn er in jedem zweiten Satz das Wort »sozusagen« verwendet. Ich stand zu Hause allein am Fenster, schaute raus und sagte laut vor mich hin: »Sei mir nicht böse, aber du sagst ständig sozusagen, das macht mich …« – in dem Moment wurde mir klar, dass das der blödeste Vorwurf der Geschichte ist. Ich traf mich mit dem Freund auf ein paar Bier, freute mich über den lustigen Abend und nahm gut gelaunt 87 Sozusagens in Kauf.
4. Ein gutes Selbstgespräch dient der Selbstbestätigung. Der Tennisspieler Tommy Haas redete bei den Australian Open 2007 sehr laut mit sich selbst, während die Mikros auf ihn gerichtet waren. Eine vorbildliche Tirade. Da war Selbstbestätigung drin, auch Selbstkritik, überhaupt alles, was die Psychologen empfehlen. Der Monolog ist unbedingt ein vollständiges Zitat wert: »So kannst du nicht gewinnen. So kannst du nicht gewinnen, Haasi, das geht nicht. So geht’s nicht. So geht es nicht. Zu schwach einfach. Zu viele Fehler, zu viele Fehler. Es ist immer das Gleiche. Ich habe keinen Bock mehr. Ich habe keine Lust mehr. Für was mache ich die Scheiße? Für was? Für wen? Außer für mich selber, ha? Wieso? Weshalb? Warum? Ich kann es nicht, ich kapier es nicht. Ich zahle Leute für nichts, für absolut nichts. Damit ich mich aufregen kann. Du bist ein Vollidiot, bist du selber. Schön wieder nicht reingegangen ans Netz. Aber du gewinnst. Du gewinnst es noch, komm. Du kannst es nicht verlieren. Fighten. Fighten. Kämpf.«
Dann hat er gewonnen.
Gut. Ich sehe es ein. Ab jetzt Selbstgespräche. So oft wie möglich. Ich werde mich schon daran gewöhnen. Und wenn es mir doch zu unangenehm wird, mache ich es einfach wie der Mann im Park neulich. Der brabbelte vor sich hin, hatte aber einen guten Trick: Er trug ein Headset. Dass das Kabel am Kopfhörer nicht eingesteckt war, sondern lose nach unten raushing, hat im Vorbeigehen kaum jemand gemerkt.