Krafttraining, Spinning, Yoga, Pilates, Ballett: Ich gehe vier- bis fünfmal pro Woche zum Sport. Da spüre ich die verspannten Schultern von zu viel Bildschirmgesitze, ärgere mich über meine steifen Glieder, keuche, schwitze. Aber ich werde ja belohnt. Zum Beispiel genieße ich meine mittlerweile recht starken Arme, und ich komme ohne Probleme die Treppen ins neunte Bürostockwerk hinauf. Vor allem aber habe ich mich mit meinem Körper versöhnt – dank der Umkleiden.
Ich war ein unfitter Teenager, dankbar über jeden Unterleibskrampf, der mich vom Schulsport abhielt. Musste ich doch mitmachen, haben Dauerläufe und Reckturnen nachhaltig meinen Blick auf mich selbst verfinstert. Mein Körper war mir suspekt, besonders in Bewegung, von der ich niemals dachte, dass sie Spaß machen könnte. Freiwillig einen Raum voller springender, rennender, schwitzender Menschen zu betreten, Woche für Woche meine Unsportlichkeit wie einen Volleyball ins Gesicht geklatscht zu bekommen, das wäre mir früher nie in den Sinn gekommen. Auch weil ich das Umziehen unter Gleichaltrigen kaum aushielt: diese Blicke zu spüren, die Vergleiche, ob dieses oder jenes Körperteil zu groß oder zu klein ist. Der Luft aus Pubertätsdunst und Tropical-Fruit-Deo bin ich oft genug entflohen, um mich allein in einer Toilettenkabine umzuziehen – vielleicht merkt es niemand? Doch, natürlich. Und sie lassen es dich spüren.
Einer der größten Vorteile davon, dass ich nun erwachsen bin: nie mehr Geräteturnen. Ein Nachteil: dass ich manche Dinge nur durch Schmerzen lerne. Nach etlichen Tiefs und Rückenbeschwerden kam ich zur Einsicht, dass es mir besser geht, wenn ich mich regelmäßig bewege. Und so habe ich auch die Umkleideräume lieben gelernt. Nirgendwo sonst erlebe ich fremde Leiber so nah: groß, klein, asymmetrisch, runzelig, krumm, pickelig, vernarbt, tätowiert. Fast jeder Mensch ist mit diesem oder jenem Körperteil unzufrieden, ich auch. Doch erschien im Spiegel des Zumba-Kurses noch jede Falte übergroß, so ist sie in der Umkleide bloß noch eine unter vielen. Wer sich nur mit kuratierten und retuschierten Körpern beschäftigt, die es außerhalb von Umkleideräumen (und besonders innerhalb sozialer Medien) massenhaft zu geben scheint, verliert ja völlig den Maßstab. In den Sportumkleiden ist alles ungeschönt, jeder gleich schwitzig, die teuerste Wimperntusche verschmiert und jeder Körper ist ausgeleuchtet durch Neonröhrenlicht.
Hier begegnet man Menschen jeglichen Alters, mit denen man erst mal nichts teilt als die Freude an Aquafit mit ABBA-Untermalung. Beim Spinning, beim Schwimmen, am Crosstrainer sind die Menschen auch ganz auf sich fokussiert – egal, wie sehr die Trainer Nähe simulieren: Die Yogalehrerin haucht ein »Du« in den Raum mit 20 Leuten. Der Spinning-Coach spricht von der Gruppe vor ihm als »Team«: »Go Team«, »Gute Arbeit, Team«, »Jetzt wird’s anstrengend, Team!« Wir sind kein Team. In der Umkleide aber weichen die Grenzen zwischen uns dann auf. »Ich spüre meine Beine nicht mehr«, sagt jemand und stöhnt. Unsere Körpergerüche mischen sich, der Dampf aus den Duschen hüllt alle ein, Handtücher liegen aufeinander. Jetzt, hier, sind wir ein Team.

Illustration: Sara Andreasson
In meinem Fall ein rein weibliches. Auch das ist der Zauber der Umkleide: Selten bin ich in Räumen, in denen sich ausschließlich Frauen aufhalten. Und hier Frauen aus allen Generationen zu sehen, hat etwas sehr Tröstliches. Unsere Körper verändern sich – mit den Jahren, durch Verletzungen, nach Schwangerschaften. Keine sollte sich dafür schämen, dass ihr Leben an ihrem Körper Spuren hinterlässt. Ich schnüre mir gerade die Schuhe zu, als der »Fit im Alter«-Kurs endet – und komme ins Gespräch mit einer 94-Jährigen mit wilder Dauerwelle, die von ihren Sportübungen seit den Siebzigerjahren erzählt. »Man muss beweglich bleiben«, sagt sie und wünscht mir ein schönes Training. Einer Bekannten schlage ich vor, gemeinsam zum Sport zu gehen, statt wie immer nur einen Kaffee zusammen zu trinken. Wir schwitzen die Contemporary-Dance-Klasse durch, und danach in der Umkleide, erschöpft und gelöst, sprechen wir auf einmal über Dinge, für die unser Verhältnis vorher nicht gereicht hat. Nach dem Verlassen des Studios umarmen wir uns innig.
Diese Woche habe ich in der Spinning-Klasse 789 Kalorien verbraucht. Meine Herzfrequenz lag durchschnittlich bei etwa 160. Bei den Bench-Chest-Presses habe ich Zehn-Kilo-Hanteln gestemmt. Nach solcher Mühsal ist der scharfe Geruch nassen Polyesters der allerschönste, auf einmal schmeckt nichts so gut wie das Wasser aus dem Hahn der Umkleidetoilette – und einer anderen das Deo zu leihen, einen Proteinriegel zu teilen, über das Motivationsgequatsche des Trainers zu lästern, das alles ist für ein paar Minuten plötzlich ganz selbstverständlich in dieser Zwischenwelt, die nicht mehr zum Sport gehört, aber irgendwie doch, in der immer alles gleich abläuft, aber irgendwie nicht, und in der die Menschen mir weder bekannt noch fremd sind. Es ist eine Gemeinschaft, und davon haben wir ja nicht mehr so viele. Jetzt geht euch umziehen. Vergesst die Turnbeutel nicht.

