»Heissen Sie den Mac willkommen«, werden potenzielle Käufer eines Computers aufgefordert. In einem TV-Spot räumt eine Ladenkette zwanzig Prozent Nachlass auf alle Artikel ein, »ausser Tiernahrung«. Und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit unterschreibt seine Korrespondenz ungeniert »mit besten Grüssen«. Wo in diesen Beispielen das unheimliche Buchstabenpaar »ss« zu finden ist, müsste eigentlich ein »ß« stehen, auch nach den neuen Regeln. Doch wurde das »ß«, »Eszett« ausgesprochen und auch »scharfes Es« genannt, in den vergangenen Jahren zum Kollateralschaden der Rechtschreibreform, zum Buchstaben-Zombie, der nicht leben kann und nicht sterben darf. Stimmen wir also ein Abschiedslied an:
Schon durch die korrekte Anwendung der neuen Regeln wurden etliche »ß« ausgemerzt. Der »Fluß« etwa, einst ein natürliches Ökosystem, wurde zum »Fluss« begradigt, das »Gußeisen« zum »Gusseisen« umgeschmiedet. In den »Preßsack« zwängten die Reformer sogar drei »s« hinein: »Presssack«. Noch verhängnisvoller als diese Verluste sind die Ausfälle infolge der missverstandenen Reform. Viele glauben, der elegant geschwungene Buchstabe sei generell abgeschafft, und schreiben in vorauseilendem Gehorsam nur noch »ss«. Wer darauf achtet, stolpert nicht nur in Privatkorrespondenz, sondern auch in erstaunlich vielen Büchern und Medien über das falsche Doppel-»s«. Aber muss ein Verschwinden stets bedeuten, dass etwas verloren geht? Ist die Schrift nicht ein lebendiges System, das sich immer wieder erneuert und dabei Unbrauchbares ausscheidet? Bevor wir das »ß« leichtfertig dem Vergessen überantworten, sollten wir uns allerdings bewusst machen, welche historischen Wurzeln gekappt werden. Sie reichen zurück bis ins Mittelalter, zu den tironischen Noten in einer Urkunde Karls des Großen. Aus diesen lateinischen Abkürzungszeichen hat sich in den Frakturschriften das deutsche »ß« entwickelt, dessen ältester bekannter Fundort das Wolfdietrich-Fragment ist, ein Heldenepos aus dem 13. Jahrhundert.
Immer wieder ist das »ß« Ziel von Anwürfen und Anfeindungen gewesen, haben Sprachverächter seine Abschaffung gefordert. Fast scheint es, als würde dem »ß« seine unreine Herkunft zum Verhängnis. In den Antiquaschriften als eine aus zwei Buchstaben gebildete Ligatur entstanden, reicht das lästige Findelkind an die Vollkommenheit von A bis Z nicht heran und fand demzufolge auch keine Aufnahme ins Alphabet. Ersichtlich wird der untergeordnete Status auch am Fehlen eines großen »ß«, trotz einiger Versuche, eine Versalform zu etablieren.
Doch ist es nicht nur der Bestandsschutz, der uns für das »ß« einnimmt. Auch sonst gibt es genug Gründe, eine melancholisch verdunkelte Liebe zu diesem Zeichen zu empfinden: Betrachten wir nur seine unvergleichliche Form, die kühn nach oben schnellende Gerade, an die sich ein sanft herniedergleitender Mäander schmiegt. Und das »ß« ist sinnvoll. Seine Oberlänge ragt gut sichtbar aus dem Schriftband heraus, gliedert somit hervorragend den Wortinnenraum. Doch es hilft alles nichts, das »ß« scheint dem Untergang geweiht. Hiermit sei jedoch versprochen, dass es auch dann, wenn der Buchstabe lebendig begraben wurde, einen letzten Ort geben soll, an dem sein Andenken bewahrt wird: natürlich das SZ-Magazin.