Audienz [von lat. audientia, »Gehör«, »Aufmerksamkeit«], offizieller Empfang bei hohen kirchlichen oder politischen Würdenträgern. Heute wird der Begriff meist im Zusammenhang mit einem Besuch beim Papst gebraucht. Je nach Teilnehmerzahl werden bei der Papstaudienz drei Arten unterschieden: Etwa wöchentlich gibt der Papst eine Generalaudienz, meist auf dem Petersplatz vor dem Petersdom, größere Gruppen empfängt er im Apostolischen Palast (Gruppenaudienz), während Einzelpersonen oder Kleingruppen Zutritt zur Privatbibliothek des Papstes erhalten (Privataudienz). In jüngster Zeit hat v.a. die letzte Form des Empfangs eine erhebliche Umdeutung erfahren. Diente die exklusive Privataudienz ursprünglich der Belohnung, Ermahnung oder der Bildung politischer Allianzen, so begann sie sich bereits unter Papst Johannes Paul II., der dem Rockstar Bono, dem Rennfahrer Michael Schumacher und dessen Ferrari-Team A. gewährte, in eine Art gesellschaftlichen Event zu verwandeln. Seit der Wahl von ’Benedikt XVI. wächst vor allem die Zahl der bekannten deutschen Papstbesucher rasant. Benedikt empfing unter anderem den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, die CSU-Landtagsfraktion und Franz Beckenbauer. V.a. unter Münchner Prominenten gehört es inzwischen zum gesellschaftlichen Pflichtprogramm, eine A. beim Papst absolviert zu haben.
Auflaufkinder, erst seit diesem Jahr gebräuchliche Bezeichnung für Nachwuchsfußballer im Alter von ca. sechs bis zehn Jahren, die bei Bundesliga- oder Länderspielen an der Hand der Profis aufs Spielfeld laufen. Als Pionier des lange Zeit namenlosen Rituals gilt der ehem. Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Egidius Braun, der bereits am 7. Juli 1995 beim sog. Versöhnungsspiel der deutschen und niederländischen WM-Finalisten von 1974 in Aachen Kinder mit den Altstars auf den Rasen schickte. Anschließend geriet diese Praxis jedoch wieder in Vergessenheit und bürgerte sich im dt. Fußball erst Anfang des 21. Jahrhunderts nach und nach ein. Seit dem Jahr 2002 werden die Plätze neben den Fußballern von der Firma McDonald’s in einem Gewinnspiel ermittelt. Allein im Rahmen des Confederations Cup im Sommer d.J. bewarben sich ca. 200000 A. darum, an der Hand eines Spielers das Stadion zu betreten.
Baby 81, Name eines Findelkinds, das nach dem ’Tsunami vom 26.12.2004 in Kalmunai, Sri Lanka, gefunden wurde. Der dreieinhalb Monate alte Säugling gilt als Symbol für die unzähligen Kinder, die nach der Flutkatastrophe von ihren Eltern getrennt wurden. Der Junge trug den Namen B. 81, weil er als 81. Patient in das örtliche Krankenhaus eingeliefert wurde. Erst am 14.2. d.J. konnte er aufgrund eines DNA-Tests als Abilash Jeyarajha, Sohn von Junitha und Murugapillai Jeyarajha, identifiziert werden. Die Eltern hatten in der Flutwelle die Geburtsurkunde des Kindes verloren und mussten sich in einem Rechtsstreit gegen neun andere Paare durchsetzen, die ebenfalls das Baby für sich beansprucht hatten.
Brüh im Lichte, eigenwillige Interpretation von Teilen der deutschen Nationalhymne durch die Popsängerin Sarah Connor (bürgerl. Sarah Terenzi, geb. Lewe, *Delmenhorst, Niedersachsen 13.6.1980); vorgetragen anlässlich der Feierlichkeiten zur Eröffnung der Münchner Allianz-Arena am 31.5. d.J. Tatsächlich heißt es im Originaltext des 1841 von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben verfassten »Liedes der Deutschen«: »Blüh im Glanze dieses Glückes«. Ob Connor aus Unkenntnis, Nervosität oder mit Vorsatz stattdessen »B.i.L. dieses Glückes« sang, ist bislang ungeklärt. Vertraute der Popsängerin halten jedoch einen Zusammenhang dieser Variation mit der ausgeprägten Leidenschaft Connors für Solariumaufenthalte für plausibel.
Café King, Sportkneipe im Berliner Stadtteil Charlottenburg, in der Nähe des Kurfürstendamms. Die eher triste und im Stil der achtziger Jahre gehaltene Einrichtung verbindet traditionell bistro-artige Elemente mit Plastikpalmen, Halogenstrahlern und in die Zimmerdecke eingelassenen Lautsprecherboxen. Anfang dieses Jahres wurde das C.K. im Zusammenhang mit der Bestechungsaffäre um den ehemaligen Fußballbundesliga-Schiedsrichter Robert Hoyzer als Treffpunkt der sog. kroatischen Wettmafia bekannt. Der Betreiber des Cafés, Milan Sapina, sowie seine Brüder Filip und insbesondere der inzwischen zu einer knapp dreijährigen Haftstrafe verurteilte Ante sind die Verantwortlichen des Wettskandals, bei dem in den vergangenen Jahren mehrere Bundesliga- und Pokalspiele manipuliert wurden. Bei einer Razzia im C.K. am 28.1. d.J. konnte die Berliner Polizei u.a. Auszahlungsscheine von Sportwetten in Millionenhöhe, zwei Plasmabildschirme und einen Bestellschein für einen Ferrari sicherstellen. Als regelmäßiger Besucher des C.K. hat sich Hoyzer nach eigenen Angaben vom dort herrschenden Lebensstil zu seinen Schiebereien motivieren lassen. Die überregionale Bekanntheit des Cafés führte zu einer großen Nachfrage nach Speisekarten sowie nach Trikots des Berliner Bezirksligavereins SD Croatia, auf denen das Logo des C.K., ein Schriftzug mit einer Krone, abgebildet ist.
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CCTV [si:;si:;ti:;vi:, Abk. für engl. Closed-Circuit Television, »Fernsehen in einem geschlossenen Kreislauf«], Überwachungssystem, das in der Folge der beiden Londoner Bombenanschläge am 7.7. und 21.7. d.J. zur Identifizierung der Täter herangezogen werden konnte. Die Überwachungskameras beim C. sind per Kabel oder Funk mit Monitoren verbunden, die in Überwachungszentralen von Polizisten oder anderem Wachpersonal kontrolliert werden. In Deutschland existieren Schätzungen zufolge zwischen 150000 und 300000 C.-Kameras an Orten wie Kaufhäusern, Bahnhöfen oder Bankautomaten. In Großbritannien ist C. mit zwei bis vier Mio. Kameras deutlich weiter verbreitet – allein die Polizei verfügt über ca. 40000 Apparate. Kurz nach den Attentaten sorgte das Album »Stars of C.« der britischen Rockband Hard-Fi für Aufsehen und machte den in Deutschland zuvor kaum gängigen Begriff bekannt. Die Platte zeigt auf ihrem Cover das typische Hinweisschild auf C.-Überwachung und thematisiert in den Liedtexten u.a. das Leben unter den Augen der Sicherheitskameras (»We’re the stars of CCTV/making movies out in the street«).
Elefantenrunde, ugs. für die »Berliner Runde«, Treffen führender Parteifunktionäre, das seit 1987 jeweils am Abend nach einer Wahl von einem der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF ausgerichtet wird. Der Name E. beschreibt hierbei, dass die »Schwergewichte« der Parteien zusammenkommen, und ist den in den 1980er Jahren abseits der Öffentlichkeit stattfindenden Treffen der Parteivorsitzenden von CDU (Helmut Kohl), CSU (Franz Josef Strauß) und FDP (Hans-Dietrich Genscher) entliehen. Bei Landtagswahlen versammeln sich in der E. die Generalsekretäre, bei Bundestags- und Europawahlen die Vorsitzenden der Parteien. Bis 1999 noch unter dem Namen »Bonner Runde« ausgestrahlt, galt die Zusammenkunft zuletzt nur noch als müde Repetition des politischen Schlagabtausches, erfreut sich aber seit dem staunenswerten Auftritt von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am Abend nach der Bundestagswahl vom 18.9. d.J. wieder großer Beliebtheit. Ungeachtet eines knappen, aber deutlichen Wahlsiegs von CDU-Spitzenkandidatin Angela Merkel beharrte Schröder darauf, Bundeskanzler zu bleiben. Auf seine hohe persönliche Wertschätzung beim Wähler anspielend, sagte er: »Ich mein, wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Die Deutschen haben doch in der Kandidatenfrage eindeutig votiert, das wollen Sie doch nicht ernsthaft bestreiten.« Schröder brachte damit die kämpferisch-aggressiven Elemente eines TV-Duells in die E., die eigentlich der Analyse einer Wahl dienen soll. Wenige Tage später bedauerte Schröder seinen Auftritt; noch während der E. geäußerte Mutmaßungen, Schröder habe möglicherweise Alkohol oder andere Stimulanzmittel zu sich genommen (der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle: »Ich weiß nicht, was Sie vor der Sendung gemacht haben«), konnten nicht belegt werden.
Feinstaub, buntes Gemisch von Schmutzteilchen in der Atemluft, die nach europäischer Definition kleiner als zehn Mikrometer (= ein tausendstel Millimeter), nach US-amerik. Definition kleiner als 2,5 Mikro- meter sind. F. besteht hierzulande vor allem aus Dieselruß und Industrie-Emissionen, aber auch aus Reifenabrieb, Tabakrauch, Hautschuppen, Tonerpartikeln von Laserdruckern, Sand aus der Sahara, Salzen, Pollen und Mikroorganismen. Die »Luftqualitätsrahmenrichtlinie« der EU, die seit dem 1.1. d.J. in Deutschland gilt, begrenzt den Anteil des F. auf fünfzig Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Dieser eher willkürlich gesetzte Grenzwert wurde im Frühjahr d.J. in zahlreichen Städten mehrfach überschritten, woraufhin die Kommunen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge älteren Baujahrs diskutierten und Experten eine Pflicht zum Einbau von Rußfiltern forderten. Die EU plant inzwischen, die Feinstaubrichtlinie zu lockern und den Städten auf diese Weise längere Übergangsfristen zu gewähren. Obwohl die Diskussion zeitweise durchaus hysterische Züge aufwies, wurde sie Mitte April jäh vom Tod des Papstes aus den Schlagzeilen verbannt.
Heuschrecken [von veraltet schrecken, »springen«]; 1) Insekten, Sammelbegriff für Feld- und Laub-H.; 2) metaphorische Bezeichnung für Investoren von Fondsgesellschaften und zentraler Begriff der sog. Kapitalismusdebatte, die der damalige Parteivorsitzende der SPD, Franz Müntefering, im Frühjahr dieses Jahres angestoßen hatte, um das sozialpolitische Profil seiner Partei zu stärken. Auslöser war u.a. die Äußerung Münteferings in einem Interview mit der Illustrierten »Bild am Sonntag«: »Manche Finanzinvestoren bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie H.schwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.« Vertreter der Wirtschaft verglichen Münteferings Rhetorik mit jener der Nationalsozialisten, die ihre Feinde mit Begriffen aus dem Reich der Insekten belegt hatten. Sprachforscher hingegen warnten vor einer irreführenden Metaphorik, da Kapitalisten selten in Schwärmen von bis zu 100 Mio. Exemplaren aufträten. Gleichzeitig versuchten Tierschützer, das negative Image der hierzulande teilweise vom Aussterben bedrohten H. zu korrigieren. Auf dem Höhepunkt der Debatte verfasste die SPD schließlich eine Liste von Unternehmen, deren Geschäftsgebaren nach Einschätzung der Partei besonders fragwürdig ist. Eine dieser Firmen berichtete später, die gesamte Diskussion habe sich sehr positiv auf die Branche ausgewirkt. Besonders die von der SPD beständig erwähnten hohen Renditen der Fondsgesellschaften hätten das Neukundengeschäft erheblich gesteigert.
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Jamaika-Koalition, seit der Bundestagswahl vom 18.9. d.J. gebräuchliche Bezeichnung für eine Koalition aus den Parteien CDU/CSU, Die Grünen und FDP, auch »Schwampel« (schwarze Ampel) genannt. Der Begriff J.-K. nimmt auf die mit einer solchen politischen Allianz in Verbindung gebrachten Farben Bezug (Schwarz, Grün, Gelb). Diese sind identisch mit den Farben der jamaikanischen Nationalfahne, wobei Grün in der Landesmythologie für Hoffnung steht, Gelb für die Schönheit des Sonnenlichts und Schwarz für die Armut und die Härten der Vergangenheit. Der Ursprung der Bezeichnung J.-K. ist umstritten. Noch am Abend der Bundestagswahl machte der Fernsehsender ARD geltend, sein Moderator Jörg Schönenborn habe die Formulierung als Erster gebraucht. Wenig später reklamierte der Fernsehsender ZDF die Entdeckung des Begriffs für seinen Experten, den Politologen Karl-Rudolf Korte. Tatsächlich hatte der Bürgermeister von Dormagen, Reinhard Hauschild (CDU), mit dem Ausdruck J.-K. seine Partei bereits im Oktober 2004 für eine Koalition mit FDP und Grünen zu gewinnen versucht. Hauschild wurde drei Tage später in einer Stichwahl abgesetzt.
kärchern, Reinigen stark verschmutzter Objekte mithilfe eines Hochdruckreinigers der schwäbischen Firma Kärcher (auch »abdampfen« oder »dampfstrahlen«). Seit dem Elbehochwasser 2002 vor allem in Ostdeutschland gebräuchliches Verb; wurde Anfang November d.J. vom französischen Innenminister Nicolas Sarkozy als wirkungsvolles Mittel zur gründlichen Säuberung der Pariser Vorstädte von »Abschaum« und »Gesindel« vorgeschlagen (»On va nettoyer au Kärcher la cité«, frz. »Wir werden die Stadt mit dem Kärcher sauber machen«). Am 27.10. d.J. waren zwei arabischstämmige Jugendliche auf der Flucht vor Polizisten in einem Transformatorenhäuschen ums Leben gekommen, was zunächst in ihrem Heimatort Clichy-sur-Bois, später in mehreren Pariser Vororten Krawalle mit zahlreichen Sachbeschädigungen und Brandstiftungen ausgelöst hatte. Die Äußerungen Sarkozys, der Sohn eines ungarischen Einwanderers ist und 2007 französischer Präsident werden möchte, führten dazu, dass sich die Unruhen verstärkten und auf weitere französische Städte ausdehnten. Mehr als drei Wochen lang lieferten sich Jugendliche und Polizisten nächtliche Straßenschlachten; dabei gingen mehr als 9000 Autos in Flammen auf.
Linda, Name einer als »Königin der Kartoffeln« beschriebenen festkochenden Kartoffelsorte mit würzig-buttrigem Geschmack. Lizenz- und Verwertungsrechte hält die Pflanzenzuchtfirma Europlant. Da die Lizenz 2004 nach dreißig Jahren ausgelaufen war, hatte das Unternehmen geplant, L. vom Markt zu nehmen, um so zu verhindern, dass Bauern die Kartoffel anpflanzen, ohne Lizenzgebühren zu zahlen. Stattdessen will Europlant seine neue Sorte »Belana« etablieren. Unter dem Namen »Rettet L.« bildete sich deshalb i.d.J. eine Initiative aus Bauern und Verbraucherschützern, deren Arbeit zu massiven Auseinandersetzungen mit Europlant führte. In einem Vergleichsverfahren vor dem Oberlandesgericht Celle einigten sich beide Seiten darauf, die Auslauffrist für L. bis 2007 zu verlängern. Zu vermuten ist, dass die Streitigkeiten danach erneut ausbrechen, da Europlant schon jetzt deutlich gemacht hat, keine weitere Verlängerung akzeptieren zu wollen, und L. als »eine alte Dame« bezeichnete, die ihre Zeit gehabt habe.
Livestrong, das, zentimeterbreites gelbes Armband aus Silikon, das die Unterstützung der gleichnamigen Stiftung für Krebsforschung des Radrennsportlers Lance Armstrong signalisiert. Das L. wird von der Firma Nike produziert, ist farbecht und kann daher auch beim Duschen, Schlafen und Sporttreiben getragen werden. Armstrong hat rund 50 Mio. L. zum Stückpreis von einem US-$ verkauft, jeweils 75 Cent kommen seiner Stiftung zugute. Nach dem Vorbild von L. illustrieren inzwischen andersfarbige Silikonarmbänder die Hilfsbereitschaft des Trägers für unterschiedlichste Zwecke: ein pinkfarbenes Armband für den Kampf gegen Brustkrebs, ein weißes für die Arbeit des Afrika-Hilfswerks Oxfam. Werden ein schwarzes und ein weißes Armband zusammen getragen, soll ein Zeichen gegen Rassismus in Fußballstadien gesetzt werden; ein orangefarbenes Band am Handgelenk dokumentiert den Einsatz gegen Multiple Sklerose. Ein Paradox stellen einzeln getragene schwarze Armbänder dar – sie sollen signalisieren, dass der Träger es grundsätzlich für unsinnig hält, mithilfe von Armbändern Botschaften zu vermitteln.
Lustreise, Fahrt ins Ausland, die mit der festen Erwartung angetreten wird, grundlegende menschliche Bedürfnisse nach gutem Essen, Alkohol und sexuellen Handlungen zu befriedigen. Im Sommer 2005 wurde bekannt, dass der Automobilbauer Volkswagen offenbar Betriebsratsmitgliedern und anderen Angestellten L. nach Indien, Tschechien oder auf die Andamanen finanziert hatte. Ziel der Unternehmungen im Wert von mehreren hunderttausend Euro soll es gewesen sein, die Interessen von Arbeitnehmervertretern und Arbeitgebern enger aufeinander abzustimmen. In diesem Zusammenhang leitete die Staatsanwaltschaft Braunschweig u.a. Ermittlungen ein gegen den ehemaligen VW-Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert und den früheren VW-Manager Klaus-Joachim Gebauer. Letzterer hat nach eigenen Angaben zahlreiche L. organisiert und wurde von Teilnehmern regelmäßig gefragt: Gebauer, wo bleiben die Weiber? Überrascht nahm die Öffentlichkeit zudem zur Kenntnis, dass der renommierte frühere VW-Personalvorstand Peter Hartz von den L. gewusst und nach Angaben seiner Sekretärinnen selbst die Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen haben soll. Als Reaktion auf die Vorfälle hat VW die Genehmigungs- und Kontrollmodalitäten für Reisekosten und Spesen mittlerweile erheblich verschärft.
Mosi, Spitzname für den Herrenausstatter, Autor und Prominenten Rudolph Moshammer (*München 27.9.1940, †München 14.1.2005). Mit lackschwarzen Haaren, die an die Frisur Ludwigs II. erinnerten, mit Wimperntusche, teuren Anzügen und dem stets in der Beuge des rechten Armes platzierten Yorkshireterrier Daisy galt M. als Paradebeispiel der sog. Münchner Schickeria. Dort stach er aber nicht nur durch sein oftmals groteskes Äußeres, sondern ebenso durch Selbstironie, Volksnähe und soziales Engagement hervor. M. hatte seinen alkoholkranken und gewalttätigen Vater, der später als Obdachloser starb, schon als Teenager gemeinsam mit seiner Mutter verlassen. Zusammen eröffneten sie 1968 die Edelboutique »Carnaval de Venise« [frz., »Venezianischer Karneval«] in der Münchner Maximilianstr. 14. Die von M. entworfene extravagante Mode wurde in Teilen der Münchner Gesellschaft schon bald zu einem Statussymbol; zu seiner internationalen Kundschaft zählten u.a. Arnold Schwarzenegger und José Carreras. Trotz eines starken Hangs zur prunkvollen Selbstinszenierung engagierte sich M. für die Münchner Obdachlosenzeitung »Biss« und sammelte mit seiner Stiftung Licht für Obdachlose e.V. jährlich bis zu 500000€. M. wurde am 15.1. d.J. ermordet in seinem Reihenhaus im Münchner Prominentenviertel Grünwald aufgefunden, am 21.11. wurde der 26-jährige Iraker Herisch Ali Abdullah für die Tat vom Schwurgericht München zu lebenslanger Haft verurteilt. Abdullahs Aussagen zufolge hatte M. ihn im Münchner Bahnhofsviertel für Liebesdienste engagiert, anschließend waren beide jedoch über das Honorar in Streit geraten. Fast 15000 Menschen, darunter allerdings nur wenige Prominente, nahmen am 22.1. d.J. von M. Abschied, es war der größte Trauerzug in München seit der Beerdigung von Franz Josef Strauß 1988.
Osthoff, Susanne, Archäologin (*München 1962), erste Deutsche, die seit dem Einmarsch der US-Truppen im Frühjahr 2003 im Irak entführt worden ist. O. wurde am 25.11.d.J. gemeinsam mit ihrem irak. Fahrer Chalid al-Schimani auf der Strecke zwischen Bagdad und Arbil von der Gruppe Saraja al-Salasil [arab., »Sturmtruppen der Erdbeben«] in Geiselhaft genommen. Neben ihrer Tätigkeit als Archäologin hatte sich O. auch karitativ im Irak engagiert und war nach Ende der Kriegshandlungen einer der ersten humanitären Helfer in Bagdad. Nach dem Bekanntwerden der Entführung richtete die Bundesregierung umgehend einen Krisenstab ein, in eindringlichen Appellen an die Geiselnehmer forderten Mutter und Schwester die Freilassung von O.; der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Nadeem Elyas, bot sich den Geiselnehmern selbst im Austausch für O. an. Die öffentliche Empörung über ihre Entführung blieb jedoch weit hinter vergleichbaren Fällen in Italien und Frankreich zurück. Dies lag u.a. an dem Eindruck, O. habe sich trotz mehrfacher Warnung leichtsinnig selbst in Gefahr gebracht. Seit dem Einmarsch der US-Truppen sind im Irak mehr als 200 Ausländer entführt worden. Mindestens 35 wurden von ihren Geiselnehmern erschossen oder enthauptet. Kurz nach der Entführung von O. fragte die »Bild«-Zeitung daraufhin in der Hauptschlagzeile: »Wird sie geköpft?« Am 19.12. d.J. wurde O. überraschend freigelassen; ungeklärt ist, ob die Bundesregierung Lösegeld bezahlt hat.
Papstgolf, VW Golf IV in Graumetallic, Erstzulassung 1999, 115 PS, Lederlenkrad, Klimaanlage, TÜV bis Januar 2007. Die Transformation vom gewöhnlichen Pkw zum P. vollzog sich am 19.4.d.J., als sein ehemaliger Besitzer, Joseph Kardinal Ratzinger, zum Nachfolger von Johannes Paul II. gewählt wurde. Der Zivildienstleistende Benjamin Halbe aus Olpe, der das Auto im Januar d.J. für 9500€ gekauft hatte, bot den P. daraufhin auf Ebay mit der Bemerkung an, dass er nun »himmlisch fährt«. Im Verlauf der zehn Tage währenden Auktion verzeichnete Ebay den Rekord von 8,4 Mio. Zugriffen auf die entsprechende Seite, am Ende bekam das Online-Casino »Golden Palace« für 188938,88 € den Zuschlag. Der hohe Preis erstaunte auch deshalb, weil völlig ungeklärt ist, ob Benedikt XVI. jemals im P. saß oder ob er nur seinem damaligen Sekretär erlaubt hatte, den Wagen unter seinem Namen anzumelden, denn Ratzinger stand bereits als Kardinal eine Dienstlimousine mit Fahrer zur Verfügung. Er selbst verfügt nicht über eine Fahrerlaubnis.
Pianomann, Synonym für Andreas Graßl (*Waldmünchen, Bayer. Wald 25.10.1984). Nicht zu verwechseln mit dem Klavier Kaiser. Der damals 20-Jährige war am 7.4.d.J. an einem Strand der englischen Ortschaft Sheerness in der Grafschaft Kent angespült worden. Da er nicht sprach und die Kleidung keine Anhaltspunkte auf seine Herkunft gab, konnte seine Identität monatelang nicht geklärt werden. Als einziger Hinweis auf seine früheren Lebensumstände galt ein Blatt Papier, auf das er ein Piano gemalt hatte. Da er in psychiatrischer Behandlung zudem begann, Klavier zu spielen, tauften ihn die Medien P. und hielten Andreas Grassl wahlweise für einen tschechischen Konzertvirtuosen oder ein schiffbrüchiges Wunderkind. Nach vier Monaten brach er in der englischen Klinik sein Schweigen und löste das Rätsel seiner Herkunft. Gründe für die Flucht aus Deutschland und die mysteriösen Umstände seines Auffindens sind in der Öffentlichkeit bislang nicht bekannt gegeben worden, liegen aber offenbar in einer schizophrenen Störung begründet. Seine Klavierkenntnisse brachte sich der P. selbst mit einem Keyboard bei; in der Schule galt er als intelligenter Einzelgänger.
Schnappi, junges Krokodil mit ungewöhnlich großen Augen und einem für ein Raubtier ebenso ungewöhnlich freundlichen Gemüt, Protagonist des 2001 veröffentlichten, damals völlig unbekannt gebliebenen Kinderliedes »S., das kleine Krokodil«. Nachdem ein Unbekannter das Lied als MP3-Datei ins Internet gestellt hatte, verkaufte es sich Anfang 2005 innerhalb kürzester Zeit 1,4 Mio. Mal und stand zehn Wochen lang auf Platz eins der deutschen Charts, ohne dass dies durch besondere Marketingmaßnahmen unterstützt worden war. Auch in Ländern wie der Schweiz, Norwegen oder Neuseeland war der Song ein Nummer-eins-Hit; eine Veröffentlichung in den USA steht kurz bevor. Die Geschichte von S. wird interpretiert von der zum Zeitpunkt der Aufnahme fünfjährigen Joy Gruttmann, deren Tante Iris Gruttmann das Lied für die »Sendung mit der Maus« komponiert hatte. Durch den häufig wiederholten Refrain »schni, schna, schnappi/schnappi, schnappi, schnapp« ist es besonders eingängig und trifft damit das Bedürfnis vieler Menschen nach einer Rückkehr zu vergleichsweise einfachen künstlerischen Ausdrucksformen. Im Dezember d.J. erschien das Album »Schnappi’s Winterfest« mit der Singleauskopplung »Jing Jingeling! Der Weihnachtsschnappi!«
Stele, die [griech., »Säule«], senkrecht im Boden stehende schmale Steinplatte, in der Antike zumeist als Grabstein, später auch als Weihgeschenk und Schrifttafel verwendet; oftmals mit Reliefs geschmückt. Am 10.5.d.J. wurde in Berlin das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet, das aus einem Feld von 2711 Stelen besteht. Diese sind 0,95 Meter breit, 2,38 Meter tief und zwischen 0,2 und 4,7 Meter hoch. Sie wurden von der Wilhelmshavener Firma Geithner, die auch die Fassade des Bundeskanzleramtes mitgestaltete, nach einer speziellen Betonrezeptur gefertigt und mit einer schützenden Schicht aus Protectosil (s. Lexikon 2004) überzogen.
Telenovela [span., »Fernsehroman«], Form einer täglichen Fernsehserie, die besonders in spanischsprachigen Ländern verbreitet ist. Ihre Ursprünge hat die T. in den Fortsetzungsromanen, die im 19. Jh. in lateinamerik. Zeitungen abgedruckt wurden. In den 1930er Jahren wurden die Fortsetzungsgeschichten zunächst für das Radio und später für das Fernsehen dramatisiert und genießen bis heute große Popularität. Die T. unterscheidet sich von der Seifenoper amerik. Prägung durch ihre abgeschlossene Struktur; die erzählte Geschichte hat einen Anfang und ein fest definiertes, glückliches Ende. In jeder T. steht eine Frau im Mittelpunkt, Hauptthema ist die Liebe. Am 1.11.2004 startete der Fernsehsender ZDF die erste dt. T. mit dem Titel »Bianca – Wege zum Glück« mit 224 Episoden. Im Februar d.J. reagierte Sat.1 mit der T.-Produktion »Verliebt in Berlin«, die hohe Zuschauerquoten erreichte und deshalb entgegen der dramaturgischen Regel der T. um sechs Monate verlängert wurde. Der ursprüngliche Titel »Alles nur aus Liebe« wurde wegen der möglichen Abkürzung »ANAL« geändert.
Unterschichtenfernsehen, Bezeichnung für Sendungen und Sendeformate privater Fernsehanstalten, geprägt vom Berliner Historiker und Soziologen Paul Nolte in seinem 2004 erschienenen Buch »Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik«. Nolte beschreibt die Entstehung einer »neuen Unterschicht«, die eher durch mangelnde Bildung als durch Armut gekennzeichnet ist und deren Klassenzugehörigkeit sich in erster Linie kulturell ausdrückt, u.a. durch bestimmte Fernsehgewohnheiten. Der Begriff U. wurde von dem TV-Entertainer Harald Schmidt Anfang 2005 popularisiert und löste eine vehemente Mediendebatte aus. V.a. die Repräsentanten des U. selbst empfanden den Begriff als geschäftsschädigend, da die sog. Unterschicht eine für Werbekunden wenig interessante Zielgruppe darstellt.
World of Warcraft [engl., »Welt des Kriegshandwerks«], in diesem Jahr eines der weltweit erfolgreichsten sog. Massively Multiplayer Online Role Playing Games [engl., etwa: »Internet-Rollenspiel für eine extrem hohe Anzahl von Teilnehmern«], bei dem hunderttausende Menschen gleichzeitig gegen- und miteinander spielen. Über Maus und Tastatur können die Teilnehmer ihre Figuren durch eine virtuelle Fantasiewelt namens Azeroth steuern, allein und in Gruppen kämpfen, wertvolle Gegenstände sammeln und so ihre Erfahrungspunktzahl verbessern. W.o.W. kostet neben dem einmaligen Grundpreis von 44,95€ eine monatliche Abonnementgebühr von mind. 10,99€. Professionelle Spieler können dafür ihre durch zahlreiche Spiele gut ausgebildeten Figuren und Teile ihrer virtuellen Ausrüstung bei Ebay gegen echtes Geld verkaufen.
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