Die Glücklichen
Julius, 20, und Johanna, 18, küssen sich im »Schlappen«, einer Studentenkneipe in Freiburg. Es läuft Musik von Bob Dylan und zum Feierabend »The End« von den Doors. Julius und Johanna sehen sich an wie zwei, die nicht genug voneinander kriegen können.
Johanna und Julius turteln in Freiburg: »Wir könnten jede Minute zusammen verbringen.«
Johanna: Kennengelernt haben wir uns in einer Diskothek.
Julius: Wir sind seit vier Monaten zusammen. Superglücklich. Wir wären am liebsten den ganzen Tag zusammen.
Johanna: Wir können den ganzen Tag im Bett liegen.
Julius: Wenn sie etwas erledigen muss, warte ich auf sie. Und umgekehrt. Treue ist sehr wichtig, heutzutage.
Johanna: Ein einziges Mal haben wir uns gestritten. Bevor wir zusammen waren, hatten wir beide schon einige Geschichten.
Julius: Und dann tauchte da ein Name auf bei mir, den sie vorher nicht gehört hatte. Da gab’s Stress.
Johanna: Weil ich dachte, wir hätten uns doch schon alles erzählt.
Julius: Wir haben ganz ähnliche Zukunftsvorstellungen. Ich bin der längerfristige Typ. Ihre Eltern mögen mich, ich bin wohl ein Vorzeigeschwiegersohn.
Johanna: Als Mädchen habe ich schon die romantische Vorstellung: Heiraten, weißes Kleid, so wie Kate Middleton.
Julius: Ja, weißes Kleid. Das bin ich meinen Eltern schuldig. Mit solchen Vorstellungen bin ich groß geworden. Meine Eltern haben sich, glaube ich, überhaupt erst einmal richtig gestritten.
Johanna: Kinder möchte ich erst mal nicht, sondern im Beruf etwas werden. Ich bin auch schon im Vorstand der Jungen Union, die jüngste Repräsentantin.
Julius: Meine Mutter ist Fraktionsvorsitzende der CDU. Auch ich bin eher konservativ. Ich hätte am liebsten so bald wie möglich Kinder. Gerade mache ich ein Freiwilliges Soziales Jahr, danach studiere ich BWL.
Johanna: Nach dem Abitur nächstes Jahr möchte ich nach Südamerika und anschließend den Bachelor in Finanzdienstleistungen machen.
Julius: Erst wollte sie für ein Jahr nach Peru. Aber ich habe sie auf fünf Monate runtergehandelt.
Johanna: Wenn man sich wirklich liebt, dann geht so etwas.
Der Romantiker
Der Romantiker
Emile Stoverinck, 40, stammt aus Amsterdam, lebt in Stuttgart und hat seinen Kindern, drei und vier Jahre alt, ein Baumhaus gebaut. Emile arbeitet in einer Werbeagentur als Kreativchef.
Emile Stoverinck hatte einen Termin in Köln und steigt in Mannheim um. Der Liebe wegen lebt der Holländer in Stuttgart.
Vor sieben Jahren habe ich in einer Bar in Stuttgart eine Frau kennengelernt, die mir so gefiel, dass ich sie gleich nach Amsterdam eingeladen habe. Für das Wochenende hatte ich mir ein Superprogramm ausgedacht mit Essen am Strand und Fahrt durch die Grachten. Nur für den Montagmorgen hatte ich nichts. Da fiel mir eine alte Kirche ein, wir gingen hin, waren drinnen ganz allein. Plötzlich erklang wunderschöne Orgelmusik. Wir haben uns angeguckt – das war so ein Moment, in dem wir wussten, da ist mehr. Wir sind ein Jahr gependelt, bis wir uns eines Tages gefragt haben: Worauf sollen wir noch warten? Wir waren beide 34.
Sie ist nach Amsterdam gezogen. Für meinen Heiratsantrag hab ich die Organistin aus der Kirche gesucht, sie eingeweiht, und im richtigen Moment spielte sie den Hochzeitsmarsch. Wir sind nach Stuttgart gezogen, als sich das zweite Kind ankündigte. Jetzt erleben wir eine Phase, in der wir aufpassen müssen, dass der Alltag uns nicht auffrisst. In der Agentur, in der ich arbeite, machen wir gerade ein Führungskräftetraining, und die Trainer bieten auch ein Familienseminar an. Eine Art TÜV für ein Paar: Man bestimmt die gemeinsamen Ziele, versucht sich wieder romantische Sachen vorzunehmen und lernt, dass man ab und zu mal zu Hause anrufen und sagen muss: »Ich liebe dich.« Man darf nicht einfach zuschauen, wie die Liebe davonläuft.
Der Wilde
Der Wilde
Bielefeld, die Bar »Milestones«: Lukas Georg, 26, Student, hat bedient und trinkt ein Feierabendbier. Er hat viele Tattoos, nur der Rücken und das linke Bein sind noch frei.
Lukas Georg arbeitet in einer Bar in Bielefeld und hat dort eine »richtig geile Zeit«.
Bei mir ist es immer Liebe – ob für zwei, fünf oder zehn Minuten. Oder eine Woche. Wenn ich die Sache angehe, gehe ich die an, mit ganzem Elan. Eine Frau hat ihre Bedürfnisse, sie möchte respektiert werden, da muss man sich drauf einlassen. Sex ist doch auch eine Form von Liebe, oder? Manchmal geht es eben nur eine Dreiviertelstunde gut, manchmal länger. Ich war auch richtig verliebt. Aber es gibt nichts Schlimmeres, als eine Frau an meiner Seite unglücklich zu sehen. Und ich brauche eben meine Zeit. Zwei große Lieben hatte ich: Bei der ersten führten wir zwei Jahre eine Fernbeziehung. Ich wollte immer, dass sie da ist für mich am Wochenende. Wenn sie mal nicht konnte, habe ich das nicht verstanden – daran musste ich wachsen. Bei der zweiten war das Problem, dass sie die Dinge, die sie an mir bewunderte, auch gestört haben: meine Klappe, die Ehrlichkeit. Es gibt auch Frauen, die mich stalken. Die sitzen hier, trinken Weinschorle, gut für die Bar. Was die Mädchen an mir mögen? Frag ich mich auch. Klar, die große Klappe. Und ich sehe ganz gut aus.
Was ich nicht mag: Wenn Frauen getrunken haben und beim Sex nur auf dem Rücken liegen, in Seesternstellung. Meine Traumvorstellung: Die Frau wartet mit Strapsen zu Hause und hat eine Wurst- und Käseplatte vorbereitet.
Weißt du was, Mädchen? Dich knack ich auch noch.
Die Fürsorglichen
Die Fürsorglichen
Das Haus mit den Graffiti fällt auf im gepflegten Neuruppin. Im autonomen Jugendwohnprojekt (JWP) leben zurzeit 15 junge Leute zwischen 16 und 23. Danny ist 21 und homosexuell. Sein Vater ist nach seiner Geburt abgehauen. In seinem Heimatdorf hat Danny keine guten Erfahrungen mit seinem Anderssein gemacht. Er lebt seit fünf Jahren in dem Jugendwohnprojekt. Henny, 22, kommt aus einer Familie, in der sie alles durfte, weil ihre Mutter mit den drei Kindern überfordert war. Otti, eigentlich Oliver, ist 23 und lebt von den dreien am längsten im Jugendwohnprojekt.
Henny, Johanna, Otti, Danny und Richard in ihrem Haus (v.l. im Uhrzeigersinn). »Wir erziehen uns gegenseitig zu besseren Menschen.«
SZ-Magazin: Ist einer von euch gerade verliebt?
Danny: Ich bin in Trennung, nach drei Jahren mit meinem Freund. Wir haben lange hier in einem kleinen Zimmer gewohnt auf 13 Quadratmetern. Er hatte große Schwierigkeiten, weil ich mich mit meiner Borderline-Störung immer so kaputt gemacht habe. Jetzt ist es zwischen uns noch so ähnlich wie in einer Beziehung, aber wir nennen es nicht mehr so – um Abstand zu bekommen. Ich habe nie jemanden so intensiv gekannt wie ihn.
Ihr beide habt das alles mitbekommen?
Henny: Wir sind so etwas wie eine Familie. Es gibt sogar verteilte Rollen. Bis Otti und Heike sich – leider – getrennt haben, war sie die Mama. Sie hat Tee gekocht, wenn man krank war, und die Leute getröstet, denen es nicht gut ging. Ich kannte das gar nicht. Viele von uns kommen aus Familien, in denen sie so etwas nie erlebt haben.
Wo ist Heike jetzt?
Otti: In einem ähnlichen Wohnprojekt in Potsdam. Wir waren sechs Jahre zusammen, haben hier gelebt, die erste große Liebe. Aber die politische Arbeit an unserem Wohnprojekt hat alles aufgefressen.
Würdet ihr sagen, dass ihr euch liebt?
Danny: Wir sind eine Solidargemeinschaft. Dieses Haus ist der einzige Ort, den ich kenne, an dem es egal ist, was man ist – homosexuell, Mann, Frau. Man muss sich nicht verstellen, kann Schwächen zugeben und wird geliebt.
Wie stellt ihr euch euer weiteres Leben vor? Wollt ihr Familie haben?
Henny: Ich würde gern immer in einer WG leben. Ich fände es schön, mit den Kindern anderer Leuten zu tun zu haben und nicht allein mit den eigenen Kindern zu bleiben. Otti: Ich möchte keine Ehe, keine romantische Zweierbeziehung, sondern: fünf, sechs Leute, mit denen ich lebe, wirtschafte und arbeite. Geld in die Mitte und gucken, wie wir unsere Bedürfnisse gemeinsam erfüllen können.
Danny: Meine Idealvorstellung ist ein Selbstversorger-Bauernhof. Ein Freiraum für Künstler und Leute, die in der Gesellschaft nicht richtig klarkommen.
Otti: Es gibt ein schönes Beispiel dafür, was in solchen Projekten möglich ist, und es passt zum Thema Liebe: Richard. Richard ist Pole, hatte keine Arbeit und keine Familie. Er ist nach Deutschland gekommen, weil er dachte, hier ist es besser. Und dann ist er in Berlin auf dem Alex komplett ausgeraubt worden, er hat nicht einmal mehr einen Ausweis gehabt. Letztes Jahr im Februar hat er bei uns geklopft und mit Händen und Füßen um warmes Wasser gebeten, er konnte ja kein Deutsch. Nach dem dritten Mal haben wir gesagt: Bleib doch hier, iss was mit uns, du kannst auch hier schlafen. Seitdem wohnt er hier, hat sein eigenes Zimmer, bekommt zu essen. Wir nehmen ihn überallhin mit; auch bei unserem Ravensbrücker Workcamp ist er dabei. Da arbeiten wir mit sechzig Jugendlichen freiwillig in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers. Um da richtig etwas zu bewegen, fehlen uns übrigens noch ein paar tausend Euro.
Henny: Richard macht jetzt sogar schon alleine Fahrradtouren. Einmal hat er all die Dorfnamen abgeschrieben, von den gelben Schildern. Ein Dorf hieß: Umleitung. Total niedlich.
Otti: Henny hat für ihn mit Google Vokabeltests gemacht, damit er Deutsch lernt. Er hilft, wo er kann, und will überall mitmachen. Und er lächelt immer.
Henny: Jeder hat seinen Schrank nach Kleidung für ihn durchgeguckt, Metallica-T-Shirts und so. Von seinem allerersten Geld hat er sich ein Sweatshirt vom Jugendwohnprojekt gekauft.
Fotos: Armin Smailovic; Illustration: Olaf Breuning