Zweimal Liebe, einmal echt, einmal idealisiert: Renata Juras und ihr 27 Jahre jüngerer Freund Erwin auf dem heimischen Sofa, darüber "Der Kuss" von Gustav Klimt.
Wiener Neustadt, sechzig Kilometer südlich von der Hauptstadt Österreichs. Am Ortsrand, in einem zweistöckigen Haus, leben Renata Juras, 42, und Erwin U., 15. Sie haben sich beim Handball kennengelernt; sie trainierte die Mannschaft, in der er als Nummer 7 spielte. Sie verliebten sich, schliefen miteinander, der Stiefvater des damals 13-jährigen Jungen erfuhr davon und zeigte die Frau an. Bald breiteten die österreichischen Medien den Skandal aus.
Es ist ein heißer Spätsommertag, Erwin U. trägt eine kurze Jeans, blaues T-Shirt. Er wohnt eigentlich mit seiner Mutter und seiner zwei Jahre jüngeren Schwester im Obergeschoss. Aber die meiste Zeit verbringt er bei seiner Freundin, die, kurz nachdem ihre Liebesgeschichte bekannt wurde, den ersten Stock des Hauses bezog, zusammen mit ihrer Tochter, die einige Monate älter ist als Erwin U. Während des Gesprächs sitzt Renata Juras, die ebenfalls blaue Shorts und ein blaues Top trägt, neben ihrem Freund auf dem Sofa. In den nächsten Tagen wird ihr Buch 41 und 14 – Meine unmögliche Liebe zu einem Teenager erscheinen. Sie hört ruhig zu, nur hin und wieder streut sie einen Kommentar ein.
Wie spricht man einen Jungen überhaupt an, den die Zeitungen abwechselnd als hilfloses Missbrauchsopfer und österreichischen James Dean darstellen? »Duzen wäre mir am liebsten«, sagt Erwin U.
SZ-Magazin: Du bist seit mehr als zwei Jahren mit Renata zusammen. Erstaunt es dich manchmal, dass eure Beziehung schon so lange hält?
Nein, ich bin nicht der Typ, der eine Beziehung nach der nächsten sucht. Wenn es nach mir ginge, blieben wir für immer zusammen.
Hast du mit 13 auch so gedacht, als du sie kennengelernt hast?
Ja. Wenn man sich auf eine Beziehung wie die unsrige einlässt, denkt man wahrscheinlich viel intensiver nach, als das zwei Gleichaltrige tun. Ich habe wochenlang gegrübelt, ob das, was ich für sie empfinde, wirklich so stark ist oder nur eine momentane Begeisterung. Aber dann war ich mir hundertprozentig sicher.
Was zieht dich so an ihr an?
Ich weiß noch, als ich das erste Mal zu ihr ins Handballtraining kam, im September 2009. Ich ging in die Halle rein, da stand sie schon und lächelte mich an. Ich habe mich gleich wohlgefühlt bei ihr. Sie war nett, offen, sah gut aus und hatte Ahnung von ihrem Job. Nach einem Monat habe ich mich gefragt: Kann es sein, dass ich mich in meine Trainerin verliebt habe?
Welche Rolle spielte für dich ihr Alter?
Ein Freund von mir war damals in der Schule der Mädchenschwarm. Der hatte auch Freundinnen aus höheren Klassen. Ich hatte immer das Gefühl: Eigentlich muss der Mann älter sein. Aber nun stellte ich mir auf einmal selber vor, wie ich mit Renata über meine Gefühle für sie spreche. Ich hatte natürlich Angst, dass sie mich für komplett verrückt hält. Aber Ende 2009 habe ich es nicht länger ausgehalten: Wir saßen nach dem Training noch bei »McDonald’s«, es war fast leer. Da habe ich ihr gesagt, wie sehr ich sie mag. Zum Glück sagte sie, dass es ihr genauso geht und sie mich sehr interessant findet.
Wann wurde aus der gegenseitigen Zuneigung Liebe?
Drei Monate später. Renata gab mir damals auch Nachhilfe in Chemie. Ich hatte Probleme in dem Fach, und sie hatte Chemie im Abitur gehabt. Am nächsten Tag stand eine Prüfung an, wir waren gerade fertig, sie wollte gehen. Da überkam es mich: Ich fasste Renata an den Händen und fing an, sie zu küssen.
War sie sehr überrascht?
Sie hat mich etwas abgeblockt, aber nicht sehr lange.
Hattest du mit diesem Auftreten schon bei früheren Freundinnen Erfolg?
Ich hatte bisher nur eine Freundin, mit zwölf. Harmlose Geschichte, mal zusammen ins Kino, das war’s.
Wann haben deine Eltern von eurem Verhältnis erfahren?
Meine Mutter schon am Tag nach dem ersten Kuss. Renata legte großen Wert darauf, dass meine Eltern zustimmen. Sie wollte keine Heimlichtuerei.
Es muss ein ziemlicher Schock für deine Mutter gewesen sein.
Sie hat längst geahnt, was los ist. Als ich ihr alles erzählen wollte, wusste ich erst nicht, wo ich anfangen soll. Da fragte sie: Bist du in die Renata verliebt, Erwin? Darauf ich: Wie kommst du denn darauf? Meine Mutter: Na ja, wie du sie gestern angeschaut hast.
Hat sie nicht versucht, dir die Sache auszureden?
Nein. Sie wollte wissen, was Renata und ich füreinander empfinden. Dann hat sie in den nächsten Tagen mehrmals mit Renata allein gesprochen. Anschließend war sie einverstanden. Bei meinem Stiefvater ging es noch schneller, Renata und ich haben mit ihm mittaggegessen, er hatte keine Einwände.
Wenige Wochen später hat er das Jugendamt alarmiert und Renata bei der Polizei angezeigt. Woher der Sinneswandel?
Der kam wohl, als ich ihm erzählt habe, dass ich mit Renata geschlafen habe. Er sagte nichts weiter dazu, meldete uns aber kurz darauf bei den Behörden. Das nehme ich ihm bis heute übel.
Kannst du nachvollziehen, dass es manche Menschen befremdlich finden, wenn ein 13-jähriger Junge mit einer 39-jährigen Frau ein Verhältnis hat?
Schon. Die meisten Leute denken bei einem 13-Jährigen in erster Linie an ein Kind. Geht mir ja genauso. Aber es stimmt einfach nicht, was mein Stiefvater unterstellte: dass ich von Renata verführt worden bin. Die Initiative ging von mir aus. Im Nachhinein ist mir klar, dass wir gegen ein Gesetz verstoßen haben und besser bis zu meinem 14. Geburtstag gewartet hätten.
Was hast du gedacht, als die Zeitungen wenig später titelten: »Sex-Krimi: Trainerin, 40, verführt 13-jährigen Buben«?
Ich war wütend, weil noch viel mehr Unsinn geschrieben wurde: In einem Bericht war ein Foto von einem Jungen zu sehen, einen Kopf kleiner als ich, darunter stand mein Name. Unsere Geburtsdaten wurden falsch wiedergegeben, von Renata hieß es, sie sei Slowakin, obwohl sie aus Kroatien kommt. Am meisten aufgeregt hat mich ein Psychologe, der in einem Interview sagte, ich wollte sicher nur Spaß haben. Dabei hat er nie mit mir geredet. Wie kann er da eine Diagnose abgeben?
»Ich will Renata später einmal etwas bieten«
In Deutschland ist kürzlich ein Politiker zurückgetreten, als bekannt wurde, dass er ein Verhältnis mit einem minderjährigen Mädchen hatte. Hast du davon gehört?
Ja. Ich finde es seltsam, wie die Leute reagieren. Ich verstehe nicht, was so schlimm daran ist, wenn sich eine jüngere Frau und ein älterer Mann wirklich lieben.
Viele Menschen würden argumentieren, dass eine gleichberechtigte Partnerschaft kaum möglich ist, wenn der Altersunterschied groß und einer der beiden auch noch minderjährig ist.
In der Regel mag das ja sein. Aber unsere Beziehung ist halt kein Normalfall.
Bist du reifer als deine Altersgenossen?
Keine Ahnung. Ich höre nur immer von anderen, dass ich älter wirke. Kürzlich habe ich die Schule gewechselt. Da meinten mehrere Mitschüler und Lehrer, ich sei sicher ein-, zweimal sitzen geblieben.
Bist du ernsthafter als deine Altersgenossen?
Als die anfingen zu rauchen, weil sie das cool fanden, habe ich jedenfalls nicht mitgemacht. Alkohol trinke ich fast gar nicht, Partys mag ich sowieso nicht.
Renata Juras: Seine Mutter hat erzählt, dass er immer so war. Als sie sich scheiden ließ, war er elf. Trotzdem konnte sie mit ihm über ihre Probleme reden wie mit einem Erwachsenen. Als er ihr nun sagte, dass er verliebt sei, wusste sie deshalb: Er meint es ernst.
Hast du dich in den letzten zwei Jahren sehr verändert?
Auf jeden Fall strenge ich mich in der Schule mehr an. Schließlich will ich Renata später einmal etwas bieten. Ich besuche zurzeit eine Schule mit Schwerpunkt Hochbau, vielleicht kann ich mal ein Haus für uns bauen. Manchmal komme ich mir nutzlos vor, weil ich noch kein Geld verdiene.
Wie machst du Renata eine Freude?
Ständig SMS schreiben, dass ich sie liebe. Und wenn ich in der Schule eine Freistunde habe, rufe ich sie sofort an. Einmal, als sie den ganzen Tag unterwegs war, habe ich zu Hause Staub gesaugt, Geschirr gewaschen, Abendessen zubereitet und Kerzen aufgestellt.
Und was, wenn du merkst, dass sie traurig ist?
Dann nehme ich sie in den Arm und versuche sie aufzumuntern.
Kannst du mit ihr über alles reden?
Ja, alles.
Gilt das auch umgekehrt?
Denke ich schon.
Renata Juras: Wenn ich nicht mit ihm reden könnte, wären wir nicht seit zwei Jahren zusammen. Das war es ja, was mich so an ihm fasziniert hat: seine Intelligenz. Wenn Erwin 60 gewesen wäre, hätte ich mich genauso in ihn verliebt.
Lässt du dich manchmal auch von ihr bemuttern?
Um Gottes willen, nein. Ich habe eine Mutter und brauche nicht noch eine zweite.
Deine Freundin hat einen hohen Preis für eure Liebe bezahlt: Zuerst verlor sie ihren Job als Handballtrainerin, dann verurteilte sie das Gericht zu 22 Monaten auf Bewährung, wegen Missbrauchs eines Minderjährigen. Hast du ein schlechtes Gewissen?
Das hat mich schon beschäftigt, denn eigentlich war es ja meine Schuld. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden wäre. Aber Renata hat mir nie Vorwürfe gemacht.
Renata Juras: Ich wusste von Anfang an, was auf uns zukommt. Dass es schrecklich werden würde, wenn die Zeitungen kommen und das Fernsehen. Dass ich meinen Job verliere. Ich hätte das nie riskiert, wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, dass Erwin und ich zusammenpassen. Als es dann so kam, war es für Erwin natürlich schlimm, dass er mich nicht schützen konnte. Nicht vor dem Gericht, nicht vor den Leuten, vor niemandem.
Das Einzige, was ich tun konnte: Ich habe für das Gericht eine DVD aufgenommen, auf der ich aussagte, wie sehr ich sie liebe. Das Gleiche habe ich auch im Fernsehen wiederholt.
Das würde sicher nicht jeder verliebte Teenager machen. Musstest du dich sehr überwinden?
Eigentlich nicht. Natürlich hatte ich keine Lust, mein ganzes Privatleben in der Öffentlichkeit auszubreiten. Aber nachdem wir bis zum Prozess nicht mit
den Medien gesprochen hatten, war es einfach an der Zeit, unsere Sicht darzustellen. Schwieriger fand ich die Fragen, die mir Polizei und Gericht stellten. Die wollten alles ganz genau wissen: Wie oft wart ihr miteinander im Bett, hattet ihr auch Oral- oder Analsex? Das war schon komisch.
Wurdest du wegen der Geschichte viel gehänselt in der Schule?
Überhaupt nicht. Als der erste Zeitungsbericht über uns erschien, habe ich das erst gar nicht mitbekommen. Aber ein Freund hatte ihn gelesen und sagte morgens in der Schule: He, Erwin, du bist jetzt fame.
Hast du jetzt, wo du mit Renata zusammenlebst, überhaupt noch Zeit für deine eigenen Freunde?
Doch, doch. Renata liest sehr viel, in der Zeit bin ich oft mit meinen Freunden auf dem Sportplatz.
Wie stellst du dir das Leben in fünf bis zehn Jahren vor?
Wenn alles so bliebe, wie es jetzt ist, wäre es super. Natürlich hoffe ich, dass ich dann einen Beruf habe und Geld verdiene.
Und heiraten?
Das haben wir auf jeden Fall vor.
Sobald es das Gesetz erlaubt?
Ja. Ich habe im Internet gelesen, dass man mit 16 heiraten kann. Dazu muss einen ein Gericht für mündig erklären.
Hast du dir überlegt, was du gemacht hättest, wenn dir deine Eltern vor zwei Jahren den Umgang mit Renata verboten hätten?
Ich hätte die Sache trotzdem nicht abgebrochen, sondern tausend Gespräche mit meinen Eltern geführt. Und wenn sie mich eingesperrt hätten, dann wäre ich mit 16 vors Gericht gegangen, um ihr Sorgerecht anzufechten. Mir war die Sache ernst.
Muss ein Mann um eine Frau kämpfen, wenn er sie liebt?
Ja, sicher.
Foto: Paul Kranzler