SZ-Magazin: Mr. Earp, seit Jahrtausenden dient uns die Liebe als Stoff für die schönsten Erzählungen. Nun kommen Wissenschaftler wie Sie und wollen uns weismachen, dass es sich bei der Liebe um einen neurochemischen Vorgang im Gehirn handelt. Furchtbar unromantisch, oder?
Brian Earp: Ja, die Liebe soll für uns eine mysteriöse Kraft sein, die uns den Boden unter den Füßen wegzieht. Aber es ist nun einmal so, dass bestimmte Areale des Gehirns mit körpereigenen, stimulierenden Chemikalien geflutet werden, wenn sich zwei Menschen verlieben. Zum Beispiel mit Oxytocin, dem sogenannten Kuschelhormon. Das wird ganz natürlich im Hypothalamus ausgeschüttet, etwa wenn wir Sex haben, während einer Massage, ja sogar, wenn wir etwas essen, was uns besonders gut schmeckt.
Und wenn wir Oxytocin von außen zuführen …
… können wir unsere Gefühle manipulieren, genau. Momentan gibt es zwar noch keine solchen Liebespillen, aber viele Wissenschaftler forschen bereits auf diesem Gebiet: Biologen, Neurologen, Psychologen und Philosophen wie ich, die über die ethischen Konsequenzen nachdenken. Es ist wichtig, sich schon jetzt damit zu beschäftigen, denn dass solche Mittel kommen werden, ist wohl nur eine Frage der Zeit.
Dann wird der aus Märchen und Sagen bekannte Liebestrank auf einmal Realität?
Oxytocin wirkt noch nicht wie ein Liebeszauber, eher wie ein Schubs in eine bestimmte Richtung. Aber es könnte durchaus sein, dass wir in zehn oder 15 Jahren über Drogen verfügen, die uns plötzlich Lust oder gar Liebe für eine ganz spezielle Person empfinden lassen.
Wie weit ist die Forschung heute?
Es gibt viele verschiedene Studien. In der wohl bekanntesten wurde polygamen Wühlmäusen Oxytocin injiziert. Daraufhin änderten sie ihr Verhalten und blieben bei einem festen Partner.
Kann man so einfach von Mäusen auf Menschen schließen?
Studien mit Menschen haben ähnliche Ergebnisse erbracht. Beate Dietzen von der Uni Zürich hat zum Beispiel erforscht, welchen Wirkung Oxytocin auf streitende Pärchen hat. Es stellte sich heraus, dass Paare nach einer Gabe von Oxytocin viel produktiver und stressfreier kommunizierten als die Kontrollgruppe, die ein Placebo bekommen hatte. Sie vertrauten ihren Partnern mehr.
Aber gibt es auch Studien über den Einsatz in Liebesdingen?
Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Bonn hat Männern Oxytocin verabreicht, die sich dann einer attraktiven Frau nähern mussten. Ergebnis: Jene Männer, die in einer festen Partnerschaft lebten, hielten deutlich mehr Abstand zu der Frau. Anscheinend hat das Hormon ihre Gefühle für die Partnerin intensiviert und die Treuegefühle verstärkt. Spannend sind in dieser Hinsicht auch die Untersuchungen der Anthropologin Helen Fisher. Sie hat die Gehirne von Menschen gescannt, die bereits eine halbe Ewigkeit in einer glücklichen Beziehung sind. Und sie hat eine besonders hohe Aktivität von Botenstoffen in den Belohnungszentren ihrer Gehirne gefunden, dort wo Dopamin ausgeschüttet wird, das man als »Glückshormon« kennt.
Von solchen Studien bis zu Liebesdrogen ist es aber noch ein weiter Weg.
Ja, wobei Oxytocin schon jetzt in einigen Ländern vermarktet wird. In England kann man es online bestellen, mit dem Versprechen, es sei »Selbstbewusstsein in Flaschen«. Meine Freundin kommt aus Polen, da kann man Oxytocin als eine Art Parfüm kaufen – wer es aufträgt, hofft, erfolgreicher flirten zu können. Solche dubiosen Anwendungen haben aber nichts mit den Liebespillen zu tun, von denen ich rede.
Worin sehen Sie überhaupt den Sinn der neuen Liebesdrogen? Die Menschheit ist schließlich Tausende Jahre gut ohne sie klargekommen.
Finden Sie? Klar gibt es leuchtende Beispiele von Ehepaaren, die sich auch nach fünfzig Jahren noch innig lieben. Gleichzeitig ist es kaum zu bestreiten, dass Probleme in der Liebe und Partnerschaft in unserer Gesellschaft für unendlich viel Kummer sorgen. Bedenken Sie nur, wie viele Ehen geschieden werden; in vielen westlichen Ländern sind es etwa fünfzig Prozent. Für die Partner, ihre Kinder, das ganze Umfeld ist das in der Regel mit viel Leid verbunden. Heute versucht man Ehen mit Paartherapien zu retten, bei der die Partner miteinander reden. Was wäre dagegen zu sagen, wenn solche Therapien in Zukunft durch geeignete Medikamente begleitet werden, so wie es jetzt schon in der Psychotherapie normal ist, Antidepressiva zu verschreiben?
»Unter bestimmten Voraussetzungen kann es die moralische Verpflichtung geben, Liebesdrogen zu nehmen.«
BRIAN EARP Die Berufsbezeichnung des 27-jährigen Wissenschaftlers Brian Earp von der Universität Oxford ist etwas unübersichtlich: »interdisziplinärer Forscher für kognitive Wissenschaften, experimentelle Sozialpsychologie, Philosophie und Ethik«. Earp studierte in Yale und Oxford, war Chefredakteur des »Yale Philosophy Review« und forscht gerade in Aachen über religiös motivierte Beschneidung. Er arbeitet an einem Buch über Liebesdrogen und steht, wenn es seine Zeit erlaubt, auch als Schauspieler und Sänger auf der Bühne.
Vielleicht, dass es unnatürlich ist, auf diese Weise in die Gefühlswelt der Menschen einzugreifen?
Was natürlich ist, ist nicht automatisch gut. Krebs ist natürlich, aber wir bekämpfen ihn. Ich trage Kontaktlinsen, die sind sehr unnatürlich, aber wir betrachten sie als nützlich. Was sollte denn bitte falsch sein an Verbesserungen? Wir formen unsere Umwelt und uns selbst. Wer sagt, das sei unnatürlich, dem halte ich entgegen: Menschlicher geht es nicht. Richtig ist allerdings, dass es nicht ohne Risiko ist, wenn wir unsere Biologie umrüsten, und dass wir dabei sehr vorsichtig sein müssen.
Der Charakter wird auch von Niederlagen und Enttäuschungen geformt. Bringen wir uns nicht darum, aus Fehlern zu lernen, wenn wir unsere Gefühlswelt auf solche Weise manipulieren?
Es sollen ja auch nicht alle Menschen Liebesdrogen nehmen. Aber es gibt Fälle, in denen Menschen gar nicht aus ihrer Situation lernen können, weil sie nicht in der Lage sind zu funktionieren. Es sei denn, sie nehmen Medikamente.
Wir werden in Zukunft also hormonunterstützte Paartherapien machen, als letzte Rettung vor dem Scheidungsrichter?
Ja, doch nur dann, wenn es einen tatsächlichen Grund gibt, dem Partner weiterhin zu vertrauen, es aber an der Kommunikation hapert. Dann dürfte Oxytocin hilfreich sein. Nicht jedoch wenn ich mich in einer Beziehung befinde, in der das Vertrauen komplett zerstört ist. Wird mir dann Oxytocin verabreicht, und plötzlich vertraue ich wieder, kann das gefährlich werden. Es ist keine Liebesdroge für jedermann, es kommt immer auf die Personen an und auf die Situation, in der sie sich befinden.
Wenn man keinen Weg aus einer gescheiterten Beziehung heraus findet: Sind auch Wege vorstellbar, sich synthetisch zu entlieben?
Es gibt Forschungen zu posttraumatischen Belastungsstörungen, so wie man sie von Kriegsheimkehrern kennt. Versucht wird, mit Hilfe von bestimmten Medikamenten den Inhalt ihrer Erinnerungen vom damit verbundenen traumatischen Gefühl zu trennen. Etwas Ähnliches könnte auch bei Beziehungen benutzt werden.
Wann wäre das eine gute Idee?
Zum Beispiel in Fällen von häuslicher Gewalt – wenn etwa eine Frau hoffnungslos verliebt ist in jemanden, der sie verprügelt. Sie weiß, dass die Beziehung schlecht für sie ist, aber ihr Gehirn ist quasi an den Angreifer gebunden, sie kann sich nicht distanzieren. In dieser Situation wäre es angebracht, eine Pille zu nehmen, um die emotionalen Bande zu brechen und ein neues Leben zu beginnen.
Und wenn die Frau nun aber keine Pille nehmen möchte?
Zwingen kann man sie natürlich nicht. Als Philosoph finde ich aber schon, dass es unter bestimmten Voraussetzungen die moralische Verpflichtung geben kann, Liebesdrogen zu nehmen.
Zum Beispiel?
Wenn ein Paar erfolglos traditionelle Therapien absolviert hat und wenn Kinder involviert sind, die unter der Scheidung der Eltern leiden würden. Dann sollten sich die beiden meiner Meinung nach verpflichtet fühlen, Liebesdrogen auszuprobieren und damit die Partnerschaft zu retten. Die Alternative dazu wäre eine kaputte Beziehung, die dem Nachwuchs schaden würde.
Das widerspricht der Art, wie wir seit einigen Jahrzehnten leben.
Ja, der Gedanke, dass man vielleicht eine Verpflichtung haben könnte, mit jemandem zusammenzubleiben, behagt vielen Leuten nicht. Wir neigen dazu, die Liebe wie einen offenen Markt zu sehen. Wir wollen uns verlieben, wie es uns gefällt, und wenn wir uns dann nicht mehr mögen, trennen wir uns eben wieder und treffen jemand anderen. Was mit den Kindern passiert, ist dabei erst mal zweitrangig.
Klingt so, als seien Liebesdrogen, die auf den ersten Blick progressiv erscheinen, in Wahrheit Werkzeuge einer konservativen Konterrevolution.
Wenn Sie sich da mal nicht täuschen! Es sind nämlich auch ganz andere Anwendungen denkbar als die, trennungswillige Paare zum Zusammenbleiben zu bewegen. Eine andere Möglichkeit, die emotionale Verknotung unserer Gesellschaft zu lösen, bestünde zum Beispiel darin, die Monogamie in Frage zu stellen. Wir wollen einer Person ein Leben lang treu bleiben, und trotzdem werden wir von unserem sexuellen Verlangen immer wieder in eine andere Richtung getrieben. Falls der einfachste Weg von unserer Biologie zu unserem Beziehungsleben der ist, in offenen Beziehungen oder mit mehreren Partnern gleichzeitig zu leben, und die einzige Hürde auf diesem Weg die Eifersucht ist, dann sollten wir mit Liebesdrogen vielleicht die Eifersucht eliminieren statt den Impuls, Sex mit anderen Menschen zu haben.
Das klingt jetzt aber sehr nach Science-Fiction!
Es gibt meines Wissens nach immer mehr junge Paare, die mit offenen Beziehungsmodellen oder mit Polyamorie experimentieren. Ich weiß, das funktioniert nur für wenige Menschen. Aber wer weiß? Die Monogamie hält ja offensichtlich nicht, was wir uns von ihr versprechen. Deswegen erwarte ich, dass wir im Zuge unserer gesellschaftlichen Weiterentwicklung auch Alternativen finden werden.
Können Sie sich als Experte in Sachen Liebe eigentlich selbst noch unkompliziert verlieben?
Das geht schon. Aber ich bin nicht mehr in der Lage, an das schöne Bild von Liebe und Heirat zu glauben, so wie es uns Popsongs, Gedichte und Filme verklickern wollen. Ich sehe einfach die großen Unterschiede zwischen der Liebe aus den Erzählungen und der Liebe, wie sie wirklich ist.
Foto: Tim Flach