SZ-Magazin: Frau Trissenaar, Herr Neuenfels, Wie haben Sie sich kennengelernt?
Elisabeth Trissenaar: Mit 18 ging ich ans Max-Reinhardt-Seminar. Er war zwei Semester über mir. Als er für eine Regieprüfung Brechts Baal inszenieren wollte, brauchte er eine Sophie. Bei den Proben lernten wir uns näher kennen. Ich fand ihn sehr piefkinesisch, wie wir in Wien zu sagen pflegen, und er hielt mich für ein kleines Wiener Mädel.
Hans Neuenfels: Am Seminar gab es einen Club, der aus Ulrich Wildgruber, Martin Sperr, Franz Xaver Kroetz und mir bestand. Wenn wir zusammenkamen, beobachteten wir natürlich die Damen. Ich fand dich schrecklich fleißig, aber als Sophie warst du sehr gut. Und dann sind wir irgendwann mal tanzen gegangen.
Trissenaar: Das hat aber ein halbes Jahr gedauert.
Neuenfels: Nach der Abschlussprüfung sind wir beide in die Schweiz gegangen. Sie hatte mit 900 Franken im Monat das bessere Engagement in Bern, ich mit 550 Franken das schlechtere in Luzern. Dass ich weniger verdiente, verschwieg ich ihr vier Monate lang. Dann brach meine Eitelkeit über meiner Zahlungsunfähigkeit zusammen. Daraufhin lieh sie mir ihr Erspartes.
Haben Sie das Geld zurückgezahlt?
Trissenaar: Nein, er war schon am Seminar ein Leihgenie. Wenn er kein Geld für die Straßenbahn hatte, ließ er sich mit der Taxe ins Seminar fahren. Wenn eine Taxe vorfuhr, hieß es immer: »Achtung, jetzt kommt der Neuenfels!« Und weg waren wir. Wir wussten, er sucht ein Opfer, das ihn auslöst.
Neuenfels: Das war eine Überlebenstechnik. Ich konnte ja nicht immer zu Fuß gehen. Wien ist schließlich eine größere Stadt.Trissenaar: Alle Reinhardt-Seminaristen aßen im Gasthaus »Tauber«, weil es dort so billig war. Nur er sonderte sich ab und pflegte im Vorderraum besser zu tafeln. Doch statt zu bezahlen, ließ er seinen Wintermantel hängen. Wenn dann seine Mutter zu Besuch kam, wurde der Mantel von ihr wieder ausgelöst. Oder erzähle ich das verkehrt?
Neuenfels: Nein, nein, das stimmt schon. Mich mit der Organisation der Existenz zurechtzufinden finde ich auch heute noch äußerst schwierig.
Trissenaar: Er weigert sich zum Beispiel, den Computer zu berühren.
Neuenfels: Aber nicht, weil ich gegen Computer bin.
Trissenaar: Nein, weil du zu faul bist. Die dümmsten Leute lernen das.Neuenfels: Ja, aber bei mir wirkt ein Computer wie Mathematikunterricht in der Schule: Er stürzt mich in eine physische Verwirrung. Mir wird schwindlig und ich kriege Kreislaufstörungen und Schweißausbrüche.
Trissenaar: Da muss man durch.
Neuenfels: Zum Durchmüssen komme ich gar nicht, weil ich mich vorher mit anderen Dingen aus meiner Verwirrnis befreien muss, um wieder zu mir selbst zu finden.
Trissenaar: Na ja.
Ihr Mann war siebzig Mal Ihr Regisseur. Wie oft empfanden Sie es als zerstörerisch, Privatleben und Beruf zu vermischen?
Trissenaar: Nie! Da wir schon als Studenten miteinander gearbeitet haben, war das irgendwie selbstverständlich für uns.
Sie sind seit fünfzig Jahren ein Paar. Wie haben Sie das geschafft?
Neuenfels: Ich finde es äußerst erstaunlich, dass wir immer noch zusammen sind. Es ist doch die höchste Unnatur und die größte Absurdität, dass zwei Menschen ein halbes Jahrhundert lang Tag und Nacht miteinander verbringen. Dass wir nicht längst auseinandergelaufen sind, liegt an unserer Zusammenarbeit. Das gemeinsame Fremdgehen im Theater hat uns Luft und Erweiterung gegeben. Die Auseinandersetzung mit den Figuren reißt Horizonte und Welten auf, die wir sonst nie kennengelernt hätten.
Trissenaar: Wir sind uns über Gedanken nahe gekommen. Über sich selbst oder den Partner zu sprechen wird doch irgendwann total langweilig und öde. Aber sich gemeinsam in der Sprache eines Dramas zurechtzufinden, ist für uns Glück. Unser Bindeglied ist die Neugierde auf Texte.
Ihr Mann sagt, er neige bei Proben zu Ausbrüchen und zu an die »Psychopathie reichenden Exzentrikerekstasen«. Wie gehen Sie damit um, dass der eigene Mann bei der Arbeit zum Springteufel wird?
Trissenaar: Das ist mir völlig egal. Ich weiß auch gar nicht, was »mein Mann« bedeuten soll. Ich lasse es nicht zu, zu denken, dass er mein Ehemann ist. Wir haben immer die Angewohnheit gehabt, uns beim Nachnamen zu nennen. Ich sage »der Neuenfels«, und er sagt »die Trissenaar«. Das hat sich gut bewährt. Es klingt schlicht, aber …
Neuenfels: Nicht schlicht. Herb.
Trissenaar: Sachlich. Ich mache mir da nichts vor.
Als Sie 1980 in Frankfurt Goethes Iphigenie inszenierten, lagen Sie mit Ihrer Frau künstlerisch über Kreuz. Es folgte eine schwere Beziehungskrise.
Neuenfels: Ich fand, der Text schwang nicht in ihr. Es suppte. Es gibt nichts Schlimmeres, als nichts zu spüren, wenn der geliebte Mensch auf der Bühne spricht. Wir entfernten uns voneinander. Es tat physisch weh. Das ließ mich fremd werden. Da stand mehr auf dem Spiel als das Gelingen einer Inszenierung. Wir haben damals gewisse Sachen über Gebühr ernst genommen. Wir konnten nicht anders. Wenn man heute drüber nachdenkt, war es lächerlich.
Trissenaar: Ich hatte aber recht, die Rolle so zu spielen.
Neuenfels: Ja, das war das Tolle. Dein Anteil bei Iphigenie war größer als meiner. Die
Betrachtung des Stücks und der Rhythmus der Inszenierung stammen von dir.
Was macht man, wenn einen der Probenplan zwingt, trotz eines privaten Krachs zusammenzuarbeiten?
Neuenfels: Man umlauert einander, und natürlich merken die Assistenten, was los ist. Wenn du dann den ersten Krächzer auf der Bühne hörst, denkst du: Um Gottes willen, jetzt geht das schon wieder los! Die Bühne hat uns aber auch objektiviert. Wenn wir nach einem schrecklichen Krach zur Probe kamen, mussten wir in den ersten zwanzig Minuten erst mal einen Ton finden, verdeckt, damit die Kollegen nicht merkten, dass wir kurz vor der Trennung standen. Nach 25 Minuten war der Streit dann weg. Die Bühne hatte uns gereinigt.
Trissenaar: »Gereinigt« klingt so metaphysisch. Auf der Bühne geht es um einen Text, und der lässt diesen ganzen Privatkäse plötzlich völlig banal erscheinen.
Ihre Kollegen sagen, auch Sie werden bei Proben zur Furie.
Trissenaar: Ich weiß, dass ich aufbrausend bin und manchmal dominant wirke. Wenn ich etwas nicht verstehe, reagiere ich mit Aggressivität. Damit verscheucht man zwar alle …
Neuenfels: Das ist wahr.
Trissenaar: … aber man gewinnt Zeit, um nachzudenken.
Ihre Frau schrie Sie einmal bei einer Medea-Probe an: »Nichts verstehst du, du Idiot! Mit einem Schwein bin ich verheiratet, mit einem Schwein!« Was war passiert?
Neuenfels: Ich hatte ihr vorgeschlagen, dass die Medea einen ihrer beiden Söhne dem Kreon zum Vögeln gibt. In Griechenland herrschte ja Päderastie. Da ist sie explodiert. Dieses Gelände mochte sie als Mutter nicht.
Trissenaar: Ich habe sofort losgeballert. Dass Medea ihren Buben zum Vögeln anbietet, war mir einfach zu hart – aber nicht lange. Irgendwann habe ich begriffen, dass es richtig gut war, es so zu spielen. Du hättest als Regisseur sanftmütiger mit mir umgehen müssen. Der Ton macht die Musik.
Neuenfels: Jaja. Ich bin aber kein Stratege, der eine Schauspielerin beiseite nimmt und behutsam fragt: »Können wir das aus den und den Gründen vielleicht mal so machen?« Es war nach 23 Uhr, und ich wusste nur eines: An dieser Stelle muss jetzt was Unerhörtes passieren!
»Solange man liebt, ist es bequem, die Wahrheit zu sagen.«
Wenn Ihre Frau mit anderen Regisseuren arbeitete, schlichen Sie sich manchmal heimlich in die Proben. Warum?
Neuenfels: Ich wollte überprüfen, ob sie mich auch dann noch fasziniert, wenn sie mit anderen Regisseuren arbeitet. Die Frage war auch, ob sie gelöster und überraschender ist als bei mir. Ich stellte aber zufrieden fest, dass sie ihr Wesen nie veränderte.
Trissenaar: Als er mir später seine heimlichen Visiten gestand, war ich eher belustigt. Es ist ja mein Beruf, dass man mir zuguckt. Umgekehrt war ich schon ein paar Mal eifersüchtig, nicht auf Schauspielerinnen, mit denen er arbeitete, sondern auf seine Inszenierungen, die ohne mich stattfanden. Es war sentimentaler Quatsch, dass mich das geschmerzt hat, aber es war so.
Als Rainer Werner Fassbinder im Garten Ihres Hauses In einem Jahr mit 13 Monden drehte, sagte er Ihnen: »Ich wette, Neuenfels steht am Küchenfenster und beobachtet uns.«
Trissenaar: Ich habe gelacht, weil ich sicher war, dass es stimmte. Und es stimmte auch.
Neuenfels: Natürlich. Das Medium Film faszinierte dich, und ich hatte Angst, dass mir das wichtigste Wesen meiner Existenz von einer anderen Kunstform geraubt wird. Deshalb musste man im Auge behalten, was da lief.
Vor 26 Jahren haben Sie Ihrer Frau eine Postkarte mit einem selbst verfassten Gedicht geschickt:
»ELISABETH TRISSENAAR
HANS NEUENFELS
Rücken an Rücken
Das Theater dazwischen
Wenden wir uns zueinander
Und sehen UNS«
In welcher Situation haben Sie das Gedicht geschrieben?
Neuenfels: Ich war irritiert, zweifelnd. Du warst in dieser Zeit unglaublich umtriebig und …
Trissenaar: Ich war immer umtriebig – in Haus und Küche!
Neuenfels: … du bist oft weggeflogen. Es war ein ewiges Hin und Her. Das Gedicht war ein Appell an unsere Bindung. Wir hatten ja früh ein Kind, das ... (unverständlich).
Trissenaar: Hans, du nuschelst! Und was unseren Sohn angeht: Ein Kind kann keine Beziehung zusammenhalten. Im Gegenteil. Ich wusste immer, es muss zwischen uns etwas geben, was nur uns gehört, unser Geheimnis gewissermaßen. Ein Zustand, der ungreifbar und unsichtbar ist wie ein Astralleib. Da kriegst du Halsschmerzen, oder?
Neuenfels: Ja. Das klingt wie die letzten Briefe zwischen Heinrich von Kleist und Henriette Vogel.
Ein Lieblingssatz Ihres Mannes stammt aus Schnitzlers Das weite Land: Man müsse in der Liebe »ehrlich bis zur Orgie« sein.
Trissenaar: Solange man liebt, ist es bequem, die Wahrheit zu sagen. Erst wenn man nicht mehr liebt, wird es unbequem.
Neuenfels: Schnitzlers Satz meint doch auch, dass man zugeben soll, wenn man mit mehr als einer Frau schlafen will. Die Frage ist, ob ein Mensch, der lieben kann, seiner Natur nach der Liebe treu bleibt und nicht der Treue. Das ist ein sehr delikates Thema. Du würdest Untreue nicht akzeptieren, weil sie gegen dein Ich ist.
Trissenaar: So, so. Ich bin ein Ehrlichkeitstrampel, aber diese Art Ehrlichkeit finde ich gar nicht so wichtig, solange es nur um ein Panscherl geht.
Kennt man den anderen immer weniger, je länger man mit ihm zusammen ist?
Neuenfels: Am Ende des Lebens kommt es immer dazu, dass zwei Menschen sich im Blick treffen wollen und sich verfehlen. Im Grunde weiß man gar nichts vom anderen.
Trissenaar: Man kennt sich immer genauer und wird sich immer fremder. Was mir auf die Nerven geht, ist das Alltägliche mit dir. Es ist eine solche Wiederkehr des Gleichen, dass es richtig gemein vom Leben ist. Es wäre schön, wenn man es komisch nehmen könnte, aber da ist die Zahnbürste und das Handtuch und der Schuhstrecker – und das nervt!
Was ist Ihnen am anderen ein Rätsel?
Trissenaar: Wir haben seit hundert Jahren die FAZ abonniert. Er hat sie selten ganz gelesen. Jetzt geht er ins Bibliothekszimmer, setzt sich auf den weißen Stuhl und liest diese Zeitung höchst genau. Man kommt zum Klischee des zeitunglesenden Mannes im Hause zurück. Verblüffend.
Neuenfels: Du hältst an vielen Dingen fest, die ich längst aufgegeben habe. Wenn ich keine Termine habe, lebe ich wie ein verbummelter Student. Man will sich kurz mit jemandem treffen, und dann wird es lang, und der Tag ist weg. Das würde dir nicht passieren.
Trissenaar: Weil ich weiß, dass ich verkomme, wenn ich loslasse. Eigentlich wäre ich gerne faul.
Neuenfels: Wirklich?
Trissenaar: Ja!
Neuenfels: Natürlich trage ich immer den Dreck raus – aber zu meiner Zeit. Sie will es jetzt haben. Das ist mir ein Rätsel. Wir sind doch ungebunden.
Trissenaar: Ich würde ihn gern jeden Morgen aus dem Bett rausjagen und sagen: »Mach was! Geh meinetwegen um den Block.«
Neuenfels: Brechen wir das Thema ab.
Trissenaar: Finde ich auch. Das ist ein Aggressionsthema von mir.
Ist zur Liebe nur fähig, wer die eigene Einsamkeit akzeptiert?
Trissenaar: Ich kann meine Einsamkeit sehr gut akzeptieren. Mich würde es total hysterisch machen, so wie du dauernd mit Assistenten rumzusitzen, von denen man gar nicht so genau weiß, warum sie einem überhaupt zuhören.
Neuenfels: Du bist ja auch Schauspielerin. Ich bin Regisseur und brauche meine Mitarbeiter wie trocken Brot.
Trissenaar: Du musst immer reden. Das ist anstrengend.
Neuenfels: Als ich meine Autobiografie geschrieben habe, saß ich wochenlang stumm und allein am Schreibtisch.
Trissenaar: Du bist doch dauernd gekommen und hast mich alles mögliche gefragt.
Neuenfels: Ich bin manchmal zu dir gegangen und habe gefragt, ob man Applaus mit einem oder zwei p schreibt.
»Der Alkohol drückt Ängste weg und legt sich wie ein wohliger Mantel um einen.«
Der Schauspieler Will Quadflieg sagte einmal: »Alles, was in Kunst übersetzt ist, berührt mich mehr als mein privates Schicksal. Über Figuren in Dramen kann ich weinen, aber den eigenen Gefühlen gegenüber bin ich seltsam distanziert. Meine Frau fragt manchmal: ›Warum lernst du mich nicht einmal auswendig?‹«
Neuenfels: Ein brillant formulierter Satz! Ich muss zugeben, dass mich Hamlet oder Medea oft mehr interessieren als meine privaten Wehwehchen.
Trissenaar: Ich bin mit den eigenen Gefühlen sehr aufwendig und verschleudere damit meine Kräfte. Was das angeht, habe ich mich nie geschont, weder auf der Bühne noch
im Privatleben. Ich bin die Donau, und er ist der Rhein. Das sind tausend Kilometer Entfernung.
Neuenfels: Deshalb verstehst du auch nicht, dass es ein Ritual des Rheinlandes ist, dass man mehrmals am Tag kurz in eine Kneipe verschwindet. Jedes Mal ein kleines Kölsch, das ist Gesetz. Ihr Alkoholkonsum ist berühmt-berüchtigt.
Neuenfels: Ich bin ein Suchtmensch, aber man kann nicht sagen, dass meine Inszenierungen die eines Betrunkenen seien. Der Alkohol drückt Ängste weg und legt sich wie ein wohliger Mantel um einen. Er hat eine bewusstseinserweiternde und beglückende Wirkung. Die Flachversteher werden jetzt auflachen, aber ohne Alkohol hätte ich viele Höhepunkte nicht erlebt. Durch eine kalte Analyse kommst du nicht auf Dinge. Du musst dich anders aufreißen als über den Intellekt, sonst bleibt es bei einem Beruf. Alkohol lässt auch Nähe entstehen zwischen Menschen und schafft eine höhere Intimität der Gedanken. Gleichzeitig negiert er die Zeit. Und es ist sehr schön, die Zeit zu vergessen.
Trissenaar: Ich trinke selbst. Ich bin keine feine Dame, die den ganzen Abend lang an einem Glas Champagner nippt. Ich kann schon ganz schön trinken, aber nicht so viel wie er.
Neuenfels: Du trinkst im Verhältnis zu mir zwei Drittel weniger.
Trissenaar: Ich muss ja Texte lernen.
Neuenfels: Manchmal ist das Trinken ein Tanz auf einer heißen Herdplatte.
Trissenaar: Um wieder zur Liebe zu kommen: Ich finde es idiotisch, das Schicksal so auszureizen, dass man früher im Krepier-Zustand ist. Wenn man sich frühzeitig abschaffen will, braucht man nicht von Liebe zu säuseln. Dann liebt man den Alkohol mehr als die Liebe.
Neuenfels: Sehr katholisch.
Trissenaar: Du brauchst nicht immer Kritik zu üben, wenn du zu Hause bist. Hier bist du kein Regisseur.
Gab es Trennungen?
Neuenfels: Ja. Die längste dauerte fast ein dreiviertel Jahr. Das war ein ganz schwerwiegendes Ereignis, eine Fast-Zerstörung. Ich litt so entsetzlich, dass ich nicht essen konnte und immer dünner wurde. Wir waren beide ausgezogen, mit allem Drum und Dran, weil wir nicht weiterwussten. Sie hatte vornehmlich mich über. Ist ja klar: Sie war 47, ich fünfzig.
Trissenaar: Was genau meinst du damit?
Neuenfels: Der Grund der Trennung war, dass du dich gelangweilt hast und unsere
Beziehung verbraucht fandest.
Trissenaar: Dieser Punkt war schon sehr gravierend, aber der Killer waren deine Jahre als Intendant der Freien Volksbühne in Berlin. Ich wollte nie eine Intendantengattin sein. Plötzlich hatte ich den Stempel, ein machtheischendes Weib zu sein, eine Lady Macbeth. Wegen deiner Überforderung musste oft ein Notarzt gerufen werden. Ja, ich wollte weg! Für mich begannen dann große Lehrstunden.
Neuenfels: Als wir uns wiederbegegneten, waren wir zwei ausgemergelte und verwundete Gespenster. Es begann die Knochenarbeit der Seelen.
Trissenaar: Gibst du bitte auf deine Asche acht! Sonst gibt es noch mehr Brandlöcher im Teppich.
Neuenfels: Ich erstaune, dass es sich wieder zusammengefügt hat mit uns. Wir werden niemals wissen, ob wir füreinander der größte Fluch sind oder das größte Glück. Wir wissen aber, dass wir inoperabel verbunden sind wie siamesische Zwillinge. Wir wettern, dass wir zusammen sind, und wir sind selig, dass es bis heute so ist.
Deutschland Pionierarbeit. Vor zehn Jahren gab es so etwas ja noch gar nicht.«
ELISABETH TRISSENARR entstammt einer Wiener Familie, zu deren Besitz der berühmte Musik- verlag Doblinger gehörte. Ihre Mutter litt an paranoider Schizophrenie und verbrachte den Großteil ihres Lebens in Nervenkliniken. Trissenaar, 69, spielte bis heute 160 Rollen in Theater, Film und Oper, siebzig davon unter der Regie ihres Mannes. Der gemeinsame Sohn Benedict ist ein preisgekrönter Kameramann und Filmemacher.
HANS NEUENFELS wuchs als Sohn eines Oberregierungsrates in Krefeld auf und veröffentlichte mit 17 Jahren den Gedichtband »Ovar und Opium«. Nachdem er ein Jahr Assistent bei dem Maler Max Ernst in Paris war, wurde er Theater- und Opernregisseur und erwarb sich den Ruf eines skandalumtosten Provokateurs. Der 71-Jährige blickt auf knapp 150 Inszenierungen zurück. Vor drei Jahren brachte er in Bayreuth Wagners »Lohengrin« auf die Bühne.
Fotos: Felix Brüggemann c/o brigitta-horvath.com
Fotos: Felix Brüggemann Illustration: George Butler