Ich bin nicht zum Tanzen geboren. Es gibt eine Menge Sportarten, die ich lieber mag und besser beherrsche: zum Beispiel laufen, Rad oder Ski fahren. Das ist eher meine Welt.
Unseren Hochzeitswalzer 1990 mussten Angelika und ich einige Wochen üben. Auf fremden Hochzeiten haben wir erst getanzt, wenn die meisten Gäste schon gegangen waren. Meine Frau hat geführt: zwei Schritte hin und zwei her – keine gewagten Figuren. So lebte ich ein Schattendasein jenseits der Tanzfläche, bis unser 15-jähriger Sohn Peter vor einem Jahr einen Tanzkurs belegte. Das Problem: Bei einem Abschlussball müssen auch die Eltern tanzen.
Mitte Oktober fragte mich meine Frau zum ersten Mal, ob ich Lust auf einen Kurs hätte. Ich habe nicht lang gezögert und sofort Nein gesagt. Keine Chance. Wenn man den ganzen Tag in der Arbeit ist, will man abends einfach mal die Füße hochlegen und nicht noch mal rausgehen und schon gar nicht tanzen. Aber Angelika hat nicht lockergelassen und mich immer wieder gedrängt. Von wegen keine Chance! Nach ein paar Wochen kam sie mit der Hiobsbotschaft: »Ich habe uns jetzt einfach mal zum Tanzkurs angemeldet.« Da habe ich tief Luft geholt und laut geseufzt. »Schneckchen«, habe ich gesagt, »muss das denn sein?« Dabei muss ich wohl dermaßen traurig geschaut haben, dass meine Frau zugab, dass es nur ein schlechter Scherz war. Da habe ich nachgedacht: Ich gehe jeden Tag zur Arbeit, meine Frau kümmert sich um den Haushalt und das Kind. Wir gehen nicht mehr gemeinsam zum Skifahren, seit sie Knieprobleme hat. Sport mache ich meist allein. Manchmal begleite ich Angelika beim Nordic Walking, aber das strengt mich nicht an, deshalb jogge ich hinterher noch. Bloß miteinander essen und trinken ist zu wenig für eine Beziehung. Es war an der Zeit, dass ich etwas für Angelika mache. Also habe ich mir einen Ruck gegeben und Ja zum Tanzkurs gesagt. Von der Entscheidung habe ich nur zwei Kollegen erzählt. In meiner Abteilung arbeiten nämlich noch zehn Damen, die hätten mir auf der Weihnachtsfeier keine ruhige Minute gelassen.
Anfang November. Die erste Stunde in der Münchner Tanzschule Wolfgang Steuer: Angelika trug eine schwarze Hose und schwarze Bluse, ich Pullover und Jeans. »Willst du so zum Tanzkurs gehen?«, hatte sie noch gefragt. »Wenn die mich nicht so wollen, sollen sie halt wegschauen«, habe ich geantwortet. Ist doch wahr. Und ich hatte Recht: Die meisten der zwanzig Paare waren so alt wie wir, zwischen vierzig und fünfzig, und ganz normal angezogen. Wir saßen an Tischen um eine Tanzfläche he-rum, jeder hat mit seinem Partner geflüstert. Es war wie vor einer Prüfung. Als Christoph, der Tanzlehrer, mit seiner Partnerin hereinkam, verstummte das Geflüster. »Wer von den Männern ist freiwillig hier?«, fragte er als Erstes. Zwei hoben deutlich die Hände, zwei eher gezwungenermaßen, damit sie keinen Ärger mit ihren Partnerinnen bekommen. Zuerst zeigte uns Christoph den Grundschritt des Foxtrott: zwei vor, eins links, zwei zurück, eins links, wenn ich mich recht erinnere. Nach einer Weile hatten wir den Schritt drauf. »Super, ihr beiden«, kommentierte Christoph, »und jetzt das Ganze noch im Takt.« Den hatte ich völlig vergessen. Vor mir lagen noch neun weitere Stunden. Aber jedes Mal lief es besser. Und dann machte es auf einmal »klick« und wir haben tatsächlich getanzt, mit den gleichen Schritten und der ganzen Gruppe im Karree. Angelika meint, ich hätte vor Freude gejauchzt. Unbewusst natürlich. Wir wurden von Stunde zu Stunde besser. Am Ende des Kurses hat sich meine Frau widerstandslos von mir führen lassen. Ein erhebendes Gefühl! Wenn wir tanzen, bewegen sich zwanzig Paare im Raum. Aber die haben wir gar nicht wahrgenommen. Diese Momente gehörten nur uns, nachdem wir 15 Jahre lang immer das Kind dabeihatten. Wir haben ein gemeinsames Hobby entdeckt.
Dann kam der Abschlussball von Peter. Wir haben erst mal nur geschaut. Als wir gesehen haben, dass viele Eltern einfach wild drauflostanzten, haben wir uns auch auf die Tanzfläche gewagt. Peter war wahnsinnig stolz auf uns. Mittlerweile habe ich auch einen zweiten Tanzkurs hinter mir: Lateinamerikanisch. Da ist viel mehr Pep dahinter, da glüht alles. Diese fließenden Bewegungen liegen mir mehr. Allerdings habe ich gehört, dass es später schwieriger werden soll. Dann müssen wir halt ein bisschen mehr üben. Aber das ist ja das Schöne.