Die Kinder des digitalen Zeitalters werden oft dafür bedauert, keine echten Liebesbriefe auf Papier mehr zu schreiben und zu erhalten. All ihre Liebesschwüre würden im großen Datenmeer aus SMS, E-Mails und Chatnachrichten verschwinden, und die Wahrscheinlichkeit, dass künftig romantische Chatverläufe posthum im Stil berühmter Korrespondenzen veröffentlicht werden, sei gering. Ich dagegen möchte diese Generation ausdrücklich beglückwünschen. Als Expertin auf diesem Gebiet weiß ich, dass die kurze Freude darüber, in einem Karton oder einer Schublade einen alten Liebesbrief zu finden, ungleich geringer ist als die Scham bei dem Gedanken, dass da draußen, in den Kartons und Schubladen von Thorsten, Michael, Alex, Frank und vielen mehr, meine alten Liebesbriefe liegen.
Ich habe als junger Mensch sehr viele Liebesbriefe geschrieben, getrieben von großen Gefühlen und massiver stilistischer Selbstüberschätzung. Ich hatte wenig Erfolg damit, was mich leider nicht davon abhielt, meine Sehnsucht mit dem Lamy-Füller in schwülstige Kitschprosa zu gießen. Ich weiß das, weil ich damals von manchen Briefen extra Kopien angefertigt habe, um mich später an der dichterischen Kraft meiner Gefühlsstürme ergötzen zu können. Wenn ich heute beim Aufräumen eine dieser Kopien finde, bin ich überwältigt – von Fremdscham gegenüber meinem jüngeren Ich.
Nur in einem Fall hatte ich Glück: Eine etwa drei Monate währende Teenagerliebe fiel genau in die Zeit, als das Faxgerät ein üblicher Haushaltsgegenstand wurde. Mein Freund und ich schickten uns täglich Liebesfaxe hin und her, die ich brav in einen Ordner heftete. Neulich habe ich ihn wiedergefunden. Das Thermopapier hat über die Jahre das getan, was ein fehlgeschlagenes System-Update mit digitalen Liebesschwüren macht: Alles war gelöscht, keine Schrift mehr zu erkennen, nur noch ein Ordner voller weißer Seiten. So bleibt diese Liebe eine schöne Erinnerung.
Weg mit den alten Liebesbriefen!
Unsere Autorin war eine Meisterin der Liebespost. Dachte sie zumindest als Teenagerin. Heute beneidet sie die Jugendlichen, die ihre überschwappenden Gefühle nur noch digital austauschen.