Ein Lottogewinner in Kalifornien holt seinen Gewinn nicht ab. 63 Millionen Dollar. Wie kann so etwas passieren? Und was kann man daraus machen? Den Gewinner wird man nicht finden, sonst hätte er sich ja gemeldet. So saßen wir in der Themenkonferenz und grübelten. Nach einer Weile war klar, journalistisch ist da wenig drin. Aber Fantasien dazu hatten wir sofort. Warum nicht fiktive Geschichten? Von Schriftstellern, nicht von Journalisten.
Nicht alle Autoren, die wir anfragten, konnten mit dem Thema etwas anfangen. Andere reagierten umso schneller und begeisterter. Ingrid Noll zum Beispiel schrieb: »Eine Geschichte über einen nicht eingelösten Lottoschein würde mich durchaus reizen, allerdings wüsste ich gern, ob er in Deutschland spielen darf (bei den Amerikanern kenne ich mich nämlich nicht aus). Außerdem würde bei mir natürlich auch ein Mord eine Rolle spielen – wäre das in Ordnung?«
Wir schrieben, das sei in Ordnung.
Etgar Keret schrieb, er würde das Konzept spannend finden und gern eine Geschichte für uns schreiben. Allerdings hätte er noch nie eine Geschichte über ein vorgegebenes Thema geschrieben und sei nicht sicher, dass er das könnte. Aber wenn er es nicht versuchen würde, könnte er es auch nicht lernen, also würde er es versuchen. Er möchte aber dringend und früh genug warnen: Es könnte sehr gut sein, dass er keine Geschichte liefern würde, weil sie nicht gut genug werden würde.
Keret schrieb auch an seinen Verlag, mit Kopie an uns: »Ich kann der Redaktion nicht garantieren, dass eine Geschichte dabei heraus kommt. Aber ich bin sicher, dass das Projekt zeigen wird, wie groß unser Vorstellungsvermögen ist und welche unendlichen Bereiche es uns eröffnet.«
Etgar Keret hat eine Geschichte geliefert. Seine und die anderen Geschichten im Heft zeigen, wie groß das Vorstellungsvermögen der schreibenden Autoren ist. Schon die unterschiedlichen Konstellationen sind spannend. Etgar Keret hat eine Geschichte über einen Sohn und seine Mutter geschrieben. Irene Dische hat eine Geschichte über eine Angestellte und ihre Arbeitgeberin geschrieben. Thomas Glavinic hat über einen Mann im inneren Monolog geschrieben, Helmut Krausser über eine Frau. Im Rocko Schamonis Text begegnen sich ein Mann und eine Frau, die in einem amerikanischen Roman von 1939 schon einmal auftauchten. Der Mann heißt Homer Simpson.
Und in Ingrid Nolls Kurzgeschichte spielt ein Mord eine Rolle.
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