So ähnlich inszenierte Armin Rohde sich schon als junger Mann - in der Hoffnung, entdeckt zu werden.
SZ-Magazin: Herr Rohde, Ihr Großvater Franz Bayer hat im Warschauer Getto Hunderte Menschen getötet. Können Sie sich vorstellen, ihn zu spielen?
Armin Rohde: Dafür weiß ich zu wenig über den. Ich weiß, dass er kein guter Familienvater war, er war ein selbstmitleidiger Sadist, der hat die Familie terrorisiert.
Was hat er genau im Getto gemacht?
Der wurde von seinen SS-Kollegen als schießwütig bezeichnet.
Selbst von denen.
Wenn die Kollegen den schon als schießwütig bezeichnen, dann muss sich das in einer Dimension bewegt haben, die einen nur gruselt. Er hat an der Tür des Dienstzimmers seine Abschüsse mit Kreide vermerkt, das fanden die anderen lustig. Der zog dann abends gerne noch mal mit geladener Waffe alleine los.
Auch wenn er keinen direkten Befehl zum Töten erhielt?
Ja. Meine Lieblingstante Irmel, die kürzlich gestorben ist, hat erzählt, dass sie als Kind die Fotos gesehen hätte von Leichen. Er hat die Fotos wie Urlaubsansichtskarten auf einem Stapel in seinem Zimmer zu Hause liegen gehabt.
Götz George hat seinen Vater Heinrich gespielt, der in der NS-Zeit eine große Karriere gemacht hat und nach dem Krieg im Internierungslager der Sowjets starb.
Götz Georges Vater war eine Künstlerpersönlichkeit; während ich von meinem Großvater nicht mehr weiß, als dass er ein Sadist, ein Denunziant, ein Killer, ein Schläger war.
Ein Mann, der aus Freude tötete?
Ja. Der stand schon Anfang der Dreißigerjahre, als der Druck noch gar nicht so groß war, mit seinem Fotoapparat vor jüdischen Geschäften, um Kunden zu denunzieren. Der war ganz vorn dabei.
Also ein militanter Antisemit?
Ich weiß nicht, ob es Antisemitismus war. Er hatte überhaupt Lust am Quälen und Machtausüben. Und die politischen Strukturen damals – das war wie geschaffen für solche Leute. Der hat es nicht verdient, dass ich ihn spiele. Diese Art Denkmal will ich ihm nicht setzen.
Haben Sie ihn noch gekannt?
Der ist gestorben, da war ich vier, ich hab keine Erinnerung. Es wäre unerträglich gewesen, wenn ich den als lieben Großvater gekannt hätte, der gestorben wäre, als ich sechzehn oder siebzehn war. Einer, der mir vielleicht noch Taschengeld zugesteckt oder gesagt hätte, komm her, Junge, der Opa macht das schon. Und im Nachhinein zu erfahren was er getan hat.
Wie wurde in der Familie über Ihren Großvater geredet?
Meine Mutter nannte ihn auch immer nur »Vader«, mit dieser distanzschaffenden Aufweichung des Mittelkonsonanten. Diese Aufweichung vom T zum D war wie ein Schutzschild.
Stimmt es, dass Ihre Mutter unter diesem Vater so gelitten hat, dass sie einen Teil ihres eigenen Lebens verleugnet hat?
Ja, sie wollte nicht, dass ihr Name nach ihrem Tod auf einem Grabstein steht. Sie hat verfügt, dass ihre Asche ins Meer gestreut wird.
Hat Sie die Qual Ihrer Mutter erschreckt?
Das ist mir erst später klargeworden. Die Sache mit dem Großvater wurde ja erst nach dem Tod meiner Mutter entdeckt. Da habe ich allerdings einiges über meine Mutter begriffen.
Was zum Beispiel?
Ihre Art, über Dinge nicht zu sprechen. Ihr »Ach, es ist nix, ist schon gut.« Von ihrer Schwester, eben dieser Tante Irmel, habe ich das mit dem Großvater erfahren. Die war robuster und hatte nicht diese Scham, darüber zu reden, wie meine Mutter.
Wusste Ihr Vater davon?
Wie viel mein Vater wusste, weiß ich nicht. Er hat meine Mutter kennengelernt, als mein Großvater noch lebte. Keine Ahnung, wie der sich meinem Vater gegenüber präsentiert hat. Wohnraum war knapp. Sie mussten sich alle zusammen in einer Unterkunft arrangieren, wo die Verhältnisse beengt waren. Ich selbst habe mein erstes Lebensjahr noch in einer Baracke gelebt.
Wie wichtig ist der Vater für einen Sohn?
Der ist so wichtig, wie er genommen wird oder wie er sich selber werden lässt. Ich glaube, dass es Väter gibt, von denen man sagen würde, hättest du den mal besser nicht gehabt. Das, was Mutter Gutes im Sinn hatte, hat er konterkariert, also: Besser wäre, der wäre gar nicht da gewesen. Andererseits glaub ich, dass es gut ist, wenn ein Junge oder ein Mädchen ein Rollenmodell vorgelebt bekommt. Wobei das schwieriger geworden ist. So einfach wie früher – Mann, Ernährer der Familie – ist das ja heute gar nicht mehr. Da kamen die Sechziger-, die Siebzigerjahre, als das Mannsein in Frage gestellt wurde.
Haben Sie sich selber als Mann in Frage gestellt?
In der Emanzipationsdiskussion kam man als Mann schnell in die Kategorie Vergewaltiger und Ausübender sexueller Macht. Wo Jungs wie ich sehr nachdenklich wurden; ich habe versucht, ein guter Feminist zu sein in den Siebzigerjahren. Ist mir nur teilweise gelungen. Das war eine große Herausforderung.
»Ich bin froh, wenn ich im Hotel die Zimmertür zuziehe, mir hört keiner zu, ich schau nur blöd aus dem Fenster, das ist für mich Luxus.«
So kennt man ihn nicht: Armin Rohde, links mit Hosenträgern und Fliege, ist 1955 geboren und der Älteste der Brüder. In der Mitte Erwin, rechts Uwe.
War Ihr Vater ein starker Vater?
Mein Vater war eine mächtige Gestalt, obwohl er nicht viel da war. In der Zeit, an die ich mich bewusst erinnere, hat der nur gearbeitet. Er hatte seine Fabrikarbeit und am Wochenende seine Tauben, hat bei Meisterschaften mitgemacht, und nachmittags ging er bei anderen Leute die Bude tapezieren für nen Appel und n Ei.
Wie schafft man sich als Junge in einer solchen Welt seine Nischen?
Da gibt es nicht so viele, allein durch die räumliche Beengung: Wir hatten eine Werkswohnung, 76 Quadratmeter, zwei Zimmer für vier Kinder, das Mädchen hatte ein Zimmer für sich und wir Jungen haben in Etagenbetten gestapelt geschlafen. Bis zu meinem 20. Lebensjahr habe ich so gelebt. Ich hab mich in Bücher geflüchtet – obwohl ich es nicht als Flucht gesehen habe; ich wollte in diesen Geschichten sein. Ich will gar nicht so viel psychologisieren, man könnte sagen, das Lesen sei ein Ersatz gewesen, andererseits war das Leseerlebnis so stark, dass man sich fragen kann: Wofür war es bitte schön ein Ersatz?
Wünschen Sie sich, in einer Familie aufgewachsen zu sein, wo Ihnen Bildung und Kunstverständnis auf dem Silbertablett serviert worden wären?
Das weniger, ich habe eher im Nachhinein die Töchter meiner Schwester beneidet. Sie hat ein Haus gebaut, da gab es für jedes Kind ein Zimmer und ein weiteres kleines Zimmer, das man mit einer Leiter erreichen konnte. Dieses Für-mich-Sein ist mir heute noch wichtig. Wenn ich Drehschluss habe, treff ich mich selten mit Kollegen an der Bar. Ich bin froh, wenn ich im Hotel die Zimmertür zuziehe, mir hört keiner zu, ich schau nur blöd aus dem Fenster, das ist für mich Luxus.
Sie lebten damals in Wuppertal, saßen Tag für Tag im Café, inszenierten sich mit Zigarette, rauchten und warteten. Worauf eigentlich?
Darauf, dass ich entdeckt werde. Ja, das Gefühl hatte ich jahrelang. Dieses aufgeregte Gefühl, wie wenn man sich verliebt hat und sich eine gewisse Chance ausrechnet, dass sie zurückruft. Und mein Leben ist ja dann auch aufregend geworden. Ich weiß nicht, ob das eine Vorahnung war oder ob das Gefühl die Energie dafür geschaffen hat. Aber das Grundgefühl war: Das, was jetzt passiert, ist noch nicht das, was das Leben wirklich mit mir vorhat.
Sie waren also verliebt in Ihr späteres Leben?
Ja, weil ich diese eigenartige Gewissheit hatte, dass etwas passieren würde.
Da muss man sich doch jeden Tag großartig fühlen.
Nicht unbedingt. Das kann einen auch erschöpfen. Aber generell war es eher ein gutes Gefühl, ja. Als all des Knaben Blütenträume reiften …
Sie haben sich dann doch an der Essener Folkwangschule beworben und wurden angenommen. Von da an haben Sie sehr unterschiedliche Männertypen gespielt: Polizisten, Richard II. oder Mackie Messer. Ist das auch immer ein Versuch gewesen, verschiedene Männermodelle auszuprobieren?
Das ist es, wenn man von schräg oben drauf guckt. Ich würde das nicht so beschreiben. Mit vierzehn habe ich angefangen, Psychologiebücher zu lesen. Aber mich hat diese Küchenpsychologie immer abgestoßen. Inzwischen ist jeder ein Psychologe und weiß genau, warum dies in seinem Leben passiert ist und das nicht. War bei mir nie so. Ich hatte den Wunsch, in die Haut anderer Menschen zu schlüpfen um zu gucken: Wie riecht die Welt für den?
Kriegt man das denn raus?
Man kommt fast so weit. Dabei gerate ich aber in keinen pathologischen Zustand. Diese hysterische Empathie brauche ich wirklich nicht.
Beobachten Sie so etwas bei Kollegen?
Wenn ich so jemanden erlebe, ist mir das ein bisschen peinlich. Wie man einem Journalisten vorwirft, er wahre die journalistische Distanz nicht, würde ich bei dem sagen, der wahrt die schauspielerische Distanz nicht. Es gibt Kollegen, die sagen: Sprich mich nicht an, ich bin in der Rolle. Ich sag dann einfach: Entschuldigung, ich wollte dir nur n Kaffee mitbringen. Mir ist es ziemlich peinlich, wenn sich jemand dermaßen hysterisch auflöst oder so tut. Wenn du die Distanz zum Arbeitsgeschehen verlierst, wirst du irgendwann bekloppt und bist sozial kaum noch kompatibel.
Gab es Situationen bei Ihnen, in denen es kippte? Sie können sich ja schwer vom Set trennen, heißt es.
Ja, vom Arbeitsvorgang. Nicht von der anderen Identität, sondern von der Freude, die es mir bereitet, dieser anderen Identität nachzuspüren und ihr Gestalt zu verleihen.
Ich will auch ein bisschen Küchenpsychologie betreiben. Kommt das Vertrauen ins Handwerk aus dem Elternhaus, wo der Vater als Bergmann arbeitet und nachmittags die Zimmer der Kumpel tapeziert?
Ich bin fasziniert von Handwerk und Leuten, die Handwerker sind. Wenn so ein Fachmann sagt: Gib mir mal den Fünfzehner-Schlüssel, halt fest, etwas höher, so läuft das. Oder ein Innenausstatter, der in einem Raum steht, zu dem mir nicht viel mehr einfällt als: Da hinten kann man ein Poster hinhängen und hier vorn einen Stuhl hinstellen. Und der sagt, pass auf, hier hauen wir was weg, dann wird das ein Schmuckstück.
Wären Sie ein anderer Schauspieler geworden, wenn Sie in Hamburg als Sohn eines Rechtsanwalts geboren wären?
Wahrscheinlich, wobei ich mir da nicht sicher bin: Ich glaube schon, dass die Aromatisierung und die Durchfärbung der Begabung davon geprägt ist, dass ich in einem Handwerkerhaushalt groß geworden bin. Wobei man für Begabung ja nichts kann, da kann man auch nicht stolz drauf sein. Man kann sich drüber freuen, aber stolz bin ich, wenn ich fünfzig Liegestütze schaffe oder alle kurzen Wege nicht mehr mit dem Auto, sondern mit dem Rad mache und mit dem verdammten Rauchen aufhöre.
Wann wird die Nähe der Rolle für einen Schauspieler gefährlich?
Das beste Beispiel dafür ist Romy Schneider: Bei allem, was man von ihr liest, glaubt man, die hat überhaupt keine Möglichkeit gehabt sich abzugrenzen. Mich ekeln diese Liebeserklärungen an Romy Schneider an. Dass man die Wundheit ihrer Seele in ihren Augen lesen konnte, in jeder Pore ihrer Haut. Ich könnte mir den Finger gar nicht so tief reinstecken in den Hals, wie ich da kotzen möchte. Das ist bürgerliches Gewäsch, der Wunsch des Bürgers nach Überhöhung – aber fehlgeleitet. Sie tut mir leid für ihre Komplexe und ihre Wehrlosigkeit.
(Kinderfoto: privat)
Foto: Markus Jans