In Finnland gibt es sogar eine nationale Sauna-Gesellschaft. Ihr Direktor Kristian Miettinen hält allerdings wenig von der Sauna-WM. »Das ist ein Wettbewerb für Verrückte«, sagt er.
Sechs kräftige Männer in Badehosen betreten die Sauna, sie wissen, es wird die Hölle, man sieht es in ihren Gesichtern. Sie setzen sich auf die Holzbank, verschränken ihre Arme über den Bierbäuchen, vergraben ihre Fingerkuppen in den Achselhöhlen und krümmen sich, als frören sie, dabei herrschen 117 Grad. Draußen, auf den Tribünen, jubeln ihnen zweitausend Zuschauer zu, sie trinken Bier aus Plastik-bechern und essen Makkara, hautfarbene Bratwürste, die nach Mehl schmecken. In den nächsten zehn Minuten wird ein neuer Sieger erkoren, es ist der Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens in Heinola, einer Kleinstadt an der finnischen Seenplatte, bekannt unter Anglerfreunden und Kajak-Enthusiasten: Das Finale der Sauna-Weltmeisterschaft hat begonnen.
Der Erste, der die Sauna verlässt, ist Markku Mustonen, ein erfahrener Saunagänger, der wöchentlich trainiert und schon einige Turniere gewonnen hat. Mustonen hält es gerade mal zwei Minuten und 15 Sekunden lang aus, so steht es im Polizeibericht, Akte 8210/S/4474/10. Kopfschüttelnd verlässt er die 16,3 Kubikmeter große Glaskiste, die von Weitem aussieht wie eine Gondel, und verzieht sich unter die kalte Dusche.
In den nächsten zwei Minuten verlassen drei weitere Teilnehmer die Sauna, in der Bedingungen herrschen wie in einem Dampfkochtopf; ihre Haut ist so rot wie die Panzer der finnischen Flusskrebse in kochendem Wasser. Übrig bleiben zwei: Timo Kaukonen, Metallarbeiter aus Lahti, blondes, halblanges Haar, fünffacher Sauna-Weltmeister, in Finnland kennt ihn so ziemlich jedes Kind. Und Wladimir Ladyschenski, ein Amateurringer aus Nowosibirsk. Ein Fremder. Ein Russe.
»Ich gewinne um jeden Preis«, hatte er zu seiner Frau und seiner Tochter gesagt, bevor er das Flugzeug nach Finnland bestieg.
T-I-M-O – T-I-M-O!, rufen die Zuschauer von den Rängen, die Sonne scheint an diesem ersten Augustwochenende 2010, die Luft ist voller Bier und Bratöl und Mücken, die Dramaturgie ist perfekt: Mann gegen Mann, Freund gegen Feind, 114 Grad Celsius, 17,2 Prozent Luftfeuchtigkeit. Der Ofen heizt schonungslos mit einer Energie von über 16 Kilowattstunden, genug für einige Einfamilienhäuser. Der Wasserdampfdruck ist so hoch, dass der Schweiß nicht mehr verdunstet und den Körper nicht mehr kühlt. Alle 30 Sekunden wird ein halber Liter Wasser auf die Steine gegossen, so will es das WM-Reglement. Timo hält den Daumen hoch, 5 Minuten 22 Sekunden, Wladimir hält den Daumen hoch, 5 Minuten 30 Sekunden, als Zeichen, dass sie noch bei Bewusstsein sind, auch das gehört zu den Vorschriften. Die Kameras filmen jede Regung aus dem Inneren und schicken die Bilder übers Internet um die ganze Welt. Die Sekunden verstreichen, die Zuschauer saufen, das Wasser in der Sauna zischt, der Dampf sticht beim Einatmen, als esse man Reißnägel, wird später einer der Finalteilnehmer sagen. Zwei Minuten darauf ist alles vorbei. Der Russe tot - die Kameras übertragen, wie er langsam verbrennt, bei 116 Grad, 23,2 Prozent Luftfeuchtigkeit. Timo verliert das Bewusstsein.
Warum ist er nicht früher aus der Sauna, warum ist er sitzen geblieben? Timo Kaukonen sitzt an seinem Küchentisch und trinkt Filter-kaffee. Wie alle Finnen mag er ihn gern schwach, dafür mit extra viel Milch. Es ist lange her seit jenen Minuten im Finale, die aus seinem Kopf verschwunden sind, alle Erinnerungen im Hirn — wie verdampft. Timo lag drei Monate im Koma, wochenlang im Spital, die Niere blockiert, 70 Prozent der Haut verbrannt, die Lungen beschädigt, der Chefarzt der Töölö-Klinik in Helsinki, Jyrki Vuola, spricht in der Tageszeitung Helsingin Sanomat von einem Mysterium: Wie kann ein normaler Mensch so was überleben?
»Ich war ein Idiot«, antwortet Timo nach einer langen Pause. Er hat starke Finger, breite Schultern, er ist einer, der sein Schicksal trägt, der die Scheiße, die das Leben so mit sich bringt, im Stillen schultert, ohne viel darüber zu reden. Den Psychologen, die ihm helfen wollten, »das Trauma zu verar-beiten«, antwortete er: »Welches Trauma?«
6 Minuten 06 Sekunden: Wasser wird auf die Steine gegossen. 115 Grad, 21,3 Prozent Luftfeuchtigkeit. 6 Minuten 10: Timo hält den Daumen hoch. Sein Gesicht wirkt laut Polizeibericht, Akte 8210/S/4474/10, aufgedunsen.
Mehr als 20 Mal hat sich Oberkommissar Sami Lilja das Video aus dem Inneren der Sauna angeschaut und immer wieder »neue Details gefunden«. Lilja hat die Untersuchung geleitet, die in Finnland über Monate für Schlagzeilen sorgte. Er ist ein erfahrener Polizist, einer, den man für die großen Dinger holt, wie das Schulmassaker von Jokela 2007, wie den Amoklauf von Kauhajoki 2008. An seinen Wänden hängen Bilder von Leichen, er sei einem Serienkiller auf der Spur, alles streng geheim, sagt Lilja in seinem kleinen Büro, Vantaa-Polizeistation, in der Nähe des Flughafens Helsinki.
»Timo ist ein Tier. Für viele Finnen war er schon vor diesem Tag ein Vorbild. Ein echter Champion. Seit dem Sommer vor zwei Jahren ist er für sie ein Held.« Warum?
»Warum? Weil er nicht davonrannte.«
Timo führt durchs Haus, vorbei an der Vitrine mit den Sauna-Pokalen, den Zinnbechern, an den Wänden hängen Indianerbilder, ein Bogen, bunte Federn. »Schon als Kind fühlte ich mich zu Indianern hingezogen«, sagt er heiser, auch seine Stimmbänder sind versengt, »als ich aus dem Koma erwachte, habe ich dauernd von Indianern geträumt. Zumindest ist meine Haut nun ähnlich rot«, sagt er ohne zu lachen. Er geht hinaus in den Garten, um die Sauna zu zeigen, die er sich gebaut hat. Doch seit den Verbrennungen kann er seine Beine schlecht beugen, weil die Haut zu sehr spannt. Timo hat sich einen Tempel aus Erlenholz gezimmert, doch er kommt kaum rein.
Drinnen riecht es, wie es immer riecht, nach Holz und Harz-warzen, nach Ruß und nassem Stein. »Ich darf seit dem Finale keine heiße Sauna mehr betreten«, er habe solche Brandnarben, dass er nicht mehr schwitzen könne. Seiner Frau sage er, sie solle die Tür offen lassen, nachdem sie drin war, damit er wenigstens die Dämpfe riecht. Den Geruch dieses Landes. Den Geruch seiner Kindheit.
Alles beginnt in der Sauna, sagen Finnen, auch Timo wuchs mit Löyly auf, dem Dampf, der nach dem Aufguss entsteht. Er hat vier Geschwister, einen abwesenden Vater, »dem ich nur in der Sauna an den Wochenenden näher kam«. Die Sauna sei der zentrale Ort der finnischen Familie, dort, wo gemeinsam gelacht, geschwiegen, gestritten wird, wo man sich gegenseitig mit Birkenzweigen auspeitscht und sich den Rücken schrubbt, sagt Kristian Miettinen, der Direktor der Sauna-Gesellschaft, der aussieht und spricht wie der englische Monty-Python-Schauspieler John Cleese. Viele Familien in Finnland warten auch heute noch den gemeinsamen Saunagang ab, um unangenehme Dinge wie Krankheiten oder Eheprobleme zu besprechen. Saunas sind geschützte Räume, ohne Ablenkung, ohne Börsenkurse, Krisengipfel, Steuererklärungen, die es den verstockten Finnen erlauben, sich ein wenig zu öffnen. Eine Sauna wirkt wie eine Beichte: Man zieht sich aus, lässt seine Uniform, seinen akademischen Titel am Garderobenhaken, setzt sich nackt auf die Bank, wartet, bis sich die Poren öffnen, lässt den ganzen Dreck hochkommen, leidet in Maßen und geht reingewaschen wieder raus. Die Finnen sagen es so: Erst wenn Schnaps und Sauna nicht mehr helfen, geht’s dir richtig beschissen.
Die Sauna ist den Finnen heilig.
Einmal pro Woche treffen sich Reijo Juopperi und Markku Mustonen zum Saunatraining. Das bedeutet: viel sitzen, wenig reden.
Wer in Finnland ein Sommerhaus an einem der 190 000 Waldseen baue, und das tut eigentlich jeder, der baue zuerst eine Sauna »und den Rest drumherum«. So wie die Soldaten der finnischen UNO-Schutztruppen, seien sie in Darfur, Afghanistan oder auf Zypern stationiert. »Saunas sind unsere letzten Rückzugsgebiete, während sich die Welt draußen überschlägt«, sagt Miettinen, der von Timo und den Weltmeisterschaften wenig hält, »mit echter Sauna hat das nichts zu tun«, es seien Wettbewerbe für Verrückte, sie schadeten dem Ruf. »Die Sauna ist uns Finnen heilig: Es ist unser Holz, unser Wasser, unsere Steine, dieses Elementare, das macht uns aus«, sagt der Direktor mit unterkühltem Pathos, es sei Teil der Identität dieses jungen Landes. »Die ochsenblutroten Holzhäuser gehören zur Landschaft, wie unsere Wälder, wie unsere Elche. Es sind finnische Ikonen.
«6 Minuten 25: Wladimir wischt sich mit der Hand übers Gesicht, dabei löst sich die Haut von seiner Stirn, rutscht langsam hinunter, wie flüssiges Kerzenwachs, sie bleibt an der Nasenspitze hängen.
6 Minuten 50: Timo atmet schwer, er schwankt, die Augen geschlossen, 116 Grad, 23 Prozent Luftfeuchtigkeit.
Im Video sieht man ihn schreien, man hört seine Worte nicht, es gibt im Inneren keine Mikrofone, das Zischen des Wassers übertönt alles, Lilja las sie ihm von den geschwollenen Lippen: »Häipykää, häipykää!«, haut ab, geht weg, wir kommen nicht raus! Das Problem war, so steht es im Schlussreport, dass keiner der Organisatoren Verantwortung übernehmen wollte. Niemand schritt ein, es gab kein Notfallszenario: dass zwei Männer so weit gehen, war nicht einge-plant. »Niemand wollte Timo daran hindern, noch einmal zu gewinnen«, vermutet der Kommissar. »Die Autopsie der Leiche ergab«, sagt Lilja, dass Wladimir verbotene Schmerzmittel eingenommen haben musste, auf seinen Hautfetzen fand man Spuren von EMLA-Creme, die in Tätowierstudios benutzt wird, um die Haut zu betäuben. Wladimir, der Ringer, der Seniorenweltmeister im griechisch-römischen Stil, ein Musterathlet, ausgezeichnet mit einer Medaille für seine Verdienste für den russischen Sport, war gedopt. Er wurde in den Runden zuvor schon von den Turnierverantwortlichen erwischt und verwarnt, muss-te sich die Haut abschrubben, weil sie fettig glänzte, doch man gab ihm noch eine letzte Chance. Auf der Homepage seiner Firma steht ein Eintrag aus dem Jahr 2008. Ein Kollege wünscht ihm alles Gute zum 60. Geburtstag: »Lieber Wladimir, du bist für uns alle ein Beispiel, dass ein Mensch, der durch die harte Schule des Kämpfens ging, sich nicht in die Knie zwingen lässt, mögen die Widrigkeiten noch so groß sein.« Timo war eine zu große Widrigkeit.
Mittlerweile ist Timos Frau Nini nach Hause gekommen, sie hat ihre Kinder vom Hockeytraining geholt. Sie trägt ein viel zu enges Hello-Kitty-Shirt, das ihre bleichen Bauchfalten freilegt, die sich im Sitzen gemütlich über den Bund ihrer Jeans rollen, aber so was ist hier egal. Es gibt selbst gebackene Zimtschnecken zum Kaffee. Warum hat sich ihr Mann solche Schmerzen zugefügt, warum tut sich ein Mensch so was an?
Nini antwortet ohne zu zögern: »Timo hat zu viel Sisu, deshalb hab ich mich auch in ihn verliebt.« Man kann das Wort nicht übersetzen, Sisu steht für Durchhaltewillen, für Kraft, für Unnachgiebigkeit. Es komme vom harten Leben in diesem dünn besiedelten Land, in dem die Biomasse der Mücken das Gesamtgewicht der fünf Millionen Finnen um ein Vielfaches übersteigt. Es kommt von der Kargheit der Landschaft, von beißenden Wintern, von vielen Monaten ohne Sonne. Das Wort fällt immer wieder, gleich, mit wem man spricht, es ist Teil des finnischen Selbstbildes, es ist, wie die Sauna, Kern der Nationenbildung. Nur dank Sisu gewannen die kleinen Finnen die Eishockey-Weltmeis-terschaften 2011 gegen die großen Schweden. Nur dank Sisu konnten die Finnen im Winterkrieg 1939 den Einmarsch der Roten Armee verhindern. Sie verloren zwar Karelien im Osten an die verhassten Russen, konnten aber ihre Unabhängigkeit bewahren. »Es wird nie ein Nicht-Finne Sauna-Weltmeister«, sagte der alte Leo Pusa, vierfacher Gewinner, in einem Zeitungsinterview, weil nur Finnen Sisu haben - und Timo hat davon mehr als alle anderen.
6 Minuten 52: Timo erbricht. Sein ganzer Körper zittert.
6 Minuten 54: Wladimir reagiert nicht mehr. Er hält auch seinen Daumen nicht mehr hoch, 116 Grad, 21,8 Prozent Luftfeuchtigkeit. Die Organisatoren brechen ab.
»Diese Konkurrenz mit den Russen haben wir Finnen in den Knochen«, sagt Oberkommissar Sami Lilja, »es ist in unserer Muttermilch.« Der Russe wollte gewinnen, wahrscheinlich um die Finnen zu demütigen, und Timo ist sitzen geblieben, da sei er sich sicher, weil er nicht wollte, dass ausgerechnet ein Russe die finnischste aller Disziplinen gewinnt. War es das? Die Fortsetzung des Winterkrieges? Die Rache für Karelien?
Die Finnen eint das Gefühl, fernab vom Zentrum der Welt zu leben. Sie sind wie die Außenseiter einer Schulklasse, wie die Nerds und Freaks, die in den hinteren Reihen sitzen, sich ihre Nischen suchen und von ihrem Image zehren. Deshalb all diese skurrilen Weltmeisterschaften, vom Elch-Rodeo bis zum Handy-Weitwurf, von der Sauna-WM zum Luftgitarren-Contest, die Finnen zelebrieren ihre Verschrobenheit.
Das ist das Erfolgsrezept eines anderen Timo, Timo Soini, dem Chef der »Wahren Finnen«, einer rechtskonservativen Partei, die 1995 gegründet wurde und bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr 20 Prozent der Stimmen holte. Ähnlich wie die Schwedendemokraten, wie die Dänische Volkspartei, profitiert Soini von der Europamüdigkeit, von der Globalisierungsangst der Menschen. Soini, der stets mit einem Fanschal des FC Millwall posiert, seinem erklärten Lieblingsverein aus der zweiten englischen Liga, ist wertkonservativ, gegen Abtreibungen und Homo-Ehen, gegen obligatorischen Schwedischunterricht, aber er ist kein Rassist, kein dumpfer Nazi, wie ihn Gegner oft nennen. Soini will ein Finnland, in dem alles so wird, wie es einst war.
»Es gibt Leute, die nennen mich einen Populisten«, sagt er, »und sie haben recht. Ich bin ein Populist. Ich nenne die Dinge beim Namen. Ich esse gern Würste, bin übergewichtig, gehe mit meinen Arbeitskollegen in die Sauna, um zu diskutieren, und ich stecke mein ganzes Geld in Pferdewetten. Ich bin stolz auf meine finnischen Wurzeln.«
Aber was macht die Finnen aus?
Soini erzählt eine Geschichte: »Vor ein paar Jahren hat mir jemand einen Computer verkauft. Er veröffentlichte eine Annonce, ich meldete mich, wir vereinbarten einen Preis. Später fand ich heraus, dass sich nach mir noch ein Interessent meldete, der einen viel besseren Preis bezahlt hätte, doch der Verkäufer lehnte ab, weil er mir schon den Zuschlag gegeben hatte. So sind die Finnen. Stur, weil sie so aufrichtig sind. Sie sind zum Verrücktwerden ehrlich.« Timo Kaukonen, sagt Soini, studierter Politikwissenschaftler und Mitglied des Europäischen Parlaments, habe nie jemand anderen beschuldigt. Nicht den Russen, nicht die Veranstalter, nicht die Saunahersteller, nicht die Medien, die Druck ausübten. »Er nahm alles auf sich, ohne Bitterkeit. Das ist schon sehr finnisch.«
»Natürlich wäre Timo früher aufgestanden, wenn Wladimir kein Russe gewesen wäre«, sagt Markku Mustonen, er steht mit den Füßen im Schlamm eines kalten Moorsees und trinkt dazu ein Bier. Die Sonne scheint schwach durch die Tannenwälder, es ist kalt, es windet. »Wir wussten alle, dass Wladimir betrügt, wir wollten es ihm heimzahlen.« Markku war im Finale dabei, er hat es zwei Minuten und 15 Sekunden lang ausgehalten. Er war der Erste, der die Sauna verließ, was ihm heute noch zu schaffen macht. »Das Atmen stach in den Lungenflügeln«, sagt er. Hastig öffnet er eine neue Dose. Markku ist an den Armen und an der Brust tätowiert und trägt einen langen Kinnbart, wie viele in dieser Gegend: Imatra, im Osten des Landes, nahe der russischen Grenze, ist ein hässliches Kaff, wo es nichts zu tun gibt, außer sich zu betrinken und sich in Saunas zu treffen.
Ein idiotischer Held.
Das Duell hat Spuren hinterlassen: Gesicht und Körper von Timo Kaukonen sind übersät mit Brandnarben.
Markku und Timo kennen sich gut, sie sind seit Jahren befreundet, Timo sei immer verrückter gewesen als all die anderen, leidenschaftlicher, fuhr mit dem Fahrrad nach Lappland, ohne Plan, ohne Vorbereitung. »Er war unzähmbar, bis zu diesem schrecklichen Finale. Ein Wilder.« Der Unfall habe ihn gebrochen. Ist er ein Held oder ein Idiot? »Beides«, sagt Markku, »ein idiotischer Held.«
Wie jeden Mittwoch trifft er sich auch heute mit Reijo, Aapo und all den anderen in Kari Pulkkinens alter Rauchsauna unten am See, um unter Extrembedingungen zu trainieren. Sie setzen sich zuoberst auf die Holzbank und krümmen ihre Rücken, es riecht wie bei einer Feuerstelle, nur dass man keine Würste grillt, sondern sich selbst. Die Männer reden wenig und wenn, dann nur wirklich Wichtiges: »In der Lufthansa kriegst du gratis Bier«, sagt Reijo nach einer Weile, worauf er eine Liste erstellt mit allen Fluggesellschaften, die Bier ausschenken, doch er kommt nur auf drei, »was für ein Jammer«, sagt er, »es ist ein Symbol für den Zustand dieser Welt«, und alle sind gleicher Meinung, »juu«, »juu-juu«, sagen sie wehmütig, schütteln ihre Köpfe, bis der Schweiß und aller Rotz in dicken Tropfen zu Boden fallen, wie bei sabbernden Hunden. »Ich war neulich in einer schwedischen Sauna«, erzählt Aapo, »es war staubig, und es stank wie in einem alten Schrank«, und wieder schütteln alle ihre Köpfe, »juu«, »juu-juu«. Nach drei Minuten, wenn die Nasenspitzen glühen, wenn sich die Hitze am Rücken anfühlt, als würde man auf Bügeleisen liegen, beginnt jeder für sich sehnsüchtig zu stöhnen.
Warum geht er in die Sauna? Auch Reijo steht jetzt bis zu den Knien im Wasser, Matsch zwischen den Zehen. Lange sagt er nichts, als habe er die Frage nicht gehört, er hält sich ein kühles Bier an die Wange, es gibt nichts Schöneres nach der Sauna, dann sagt er: »Ich will nicht alleine sein. Einsamkeit ist das Schlimmste.« Er trinkt sein Bier aus, dreht sich um und watet tiefer in den dunklen, kalten See, ein Riese mit krummem Rücken. Er seift sich die wichtigsten drei Stellen seines Körpers ein: seine Glatze, seinen Bauch und den Sack - dann taucht er ab.
7 Minuten 01: Einer der Schiedsrichter reißt die Tür auf und packt Timo am Arm, der zunächst noch versucht, allein aufzustehen. Sein Körper zittert, weißer Schaum tritt aus dem Mund, die Augen sind zu. Er kippt, stützt sich auf Wladimirs Bein ab, worauf sich dessen Haut am Schienbein in großen Fetzen löst.
7 Minuten 07: Der zweite Schiedsrichter hilft Timo auf die Beine. Sie holen ihn raus. Sie schreien Wladimir an, doch der reagiert nicht.
7 Minuten 12: Die Schiedsrichter rufen Wladimir zu, er solle rauskommen. Sie greifen seine Arme, woraufhin sich erneut ganze Hautfetzen lösen, sie schütteln ihn. Doch er reagiert nicht.
Wen trifft die Schuld?
»Ja, wen trifft die Schuld?«, fragt Ossi Arvela, der Veranstalter, der die Sauna-Weltmeisterschaften in den letzten Jahren organisiert hat. Er sitzt in einem Café in Heinola, dem Ort, an dem alles passierte, ein geknickter Mann, dem es immer wieder die Stimme verschlägt. Zehn Monate lang war Ossi der Hauptverdächtige im Verfahren von Sami Liljas Team, er hatte Albträume, nahm Beruhigungsmittel, blieb der Arbeit fern. Noch heute lassen ihn die Bilder der verbrannten Körper nicht los. »Wen trifft die Schuld?«, fragt er erneut. »Als wir 1999 mit der WM begannen, war alles ein einziger Spaß. Mit der Zeit kamen immer mehr Teilnehmer aus immer mehr Ländern, sie begannen zu trainieren, wir mussten die Bedingungen in den Saunas erschweren, weil sie sonst eine Stunde drin geblieben wären.« Täglich frage er sich, warum er nicht früher eingegriffen habe, warum er Wladimir überhaupt teilnehmen ließ, obwohl er wusste, dass der Russe eine verbotene Lotion benutzte, »es ging alles viel zu schnell«. Er stand die ganze Zeit auf der Bühne neben der Sauna, hörte die Zuschauer grölen, sah die Kameras zoomen, und alles, was er dachte, war: »Kommt jetzt bitte raus! Kommt jetzt verdammt noch mal raus!«, doch sie kamen nicht, weder Timo noch Wladimir, stattdessen zeigten sie zitternd mit ihren Daumen nach oben, bis sie verkochten. Laut Reglement wurden beide disqualifiziert, weil sie nicht mehr fähig waren, die Sauna auf eigenen Beinen zu verlassen. Gewonnen hat der Drittplatzierte, Ilkka Pöyhiä, doch noch ein Finne.
Ein gutes Ende? - »Eine Tragödie«, sagt Ossi, sein Blick wird finster. »Diese letzten drei Minuten im August 2010 haben mein Leben für immer verändert.« Als er Timo im Krankenhaus in Lahti zum ersten Mal besuchte, nachdem er aus dem Koma erwacht war, schossen ihm die Tränen in die Augen. Und Timo? Wie hat Timo reagiert? »Timo weinte nicht«, sagt Ossi, »er lachte.«
Es ist spät geworden. Draußen schieben klein gewachsene Mütter ihre blassen Babys durch leere Einkaufsstraßen. Mit Sauna wolle er nichts mehr zu tun haben, sagt Ossi, dessen Handy-Klingelton aus einem harten Heavy-Metal-Riff besteht. »Ich organisiere jetzt Mölkky-Turniere.« Ein Wurfspiel, ähnlich wie Boccia. »Das gibt höchstens blaue Flecken.«
Timo sitzt wieder an seinem Küchentisch, der Fernseher läuft, »der Unfall hat mich ruhiger gemacht«. Am Morgen, wenn er aufsteht, geht er nun spazieren, fährt Fahrrad, macht seine Krankengymnastik. Früher standen amerikanische und japanische Fernsehteams in seinem Garten, um über ihn zu berichten, über den Mann, der keine Schmerzen kennt. Sie haben Tests mit ihm gemacht, haben ihm heiße Sachen auf die muskulösen Arme gelegt, sie machten aus Timo, dem Indianer, einen Übermenschen. Heute sammelt er Beeren und kocht daraus Konfitüre, doch die Haut spannt und juckt bei jeder Bewegung, seine Brandnarben schmerzen bei kaltem Wetter. Er lebt von einer bescheidenen Invalidenrente, alles, das ganze Land, sei am Arsch, sagt er, »in Helsinki funkeln die Glasfassaden der Bürogebäude, hier draußen gibt es nichts«. Er werde auf der Straße oft von fremden Menschen angesprochen, doch er wolle ihre Hände nicht schütteln, ihre Geschichten nicht hören. »Ich will weder ihr Mitgefühl noch ihren Beifall«, sagt Timo mit seiner verbrannten Stimme.
Wenn er Wladimir und sich selbst heute im Video sieht, diese letzten beiden Minuten, was denkt er dann, was geht ihm durch den Kopf?
Wieder schweigt er eine Weile, er will nicht mehr reden, es ist alles gesagt. Er denke an seine beiden kleinen Söhne, sagt er dann, die ihm stolz erzählen, wie lange sie es bereits in der Sauna aushielten. »Geht nicht bis an eure Grenzen, versuche ich ihnen einzutrichtern, doch sie hören mir nicht zu, sie sind wie ich: Ihr Sisu ist stärker als ihr Verstand.«
7 Minuten 16: Die Schiedsrichter holen Wladimir aus der Sauna, doch er klebt fest, sein Körper ist starr, seine Augen sind geschlossen. Nur sein rechtes Bein zittert ununterbrochen.
7 Minuten 25: Die Helfer legen ihn neben Timo auf den Boden, er hat starke Krämpfe. Ein russischer Fan springt über die Absperrung auf die Bühne und versucht, Wladimir zu reanimieren. Er schlägt ihm auf den Brustkorb. Einige Zuschauer jubeln noch, weil sie nicht verstehen, was geschieht, da ist Wladimir, der Ringer, schon tot. Er verlor zuerst seine Haut, dann sein Leben.
7 Minuten 33: Timo liegt am Boden, seine Haut glüht, das Gesicht voller Schaum, Nini, seine Frau, die in der ersten Reihe sitzt, schreit beim Anblick seiner verbrannten Beine. Timos Tätowierung am Oberarm, ein Indianer, ist weggeschmolzen, für immer verschwunden, mit ihr ein Stück seiner Seele.
Die Finnen sagen: Alles beginnt in der Sauna. Manchmal endet es auch da.
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(Anmerkung: Seit dem Todesfall findet die Sauna-Weltmeisterschaft nicht mehr statt.)
Fotos: Jussi Puikkonen